Der Programm-Entwurf vernebelt Streitpunkte
Rede von Petra Pau auf dem Landesparteitag der LINKEN Berlin
Berlin, 24. April 2010
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Ich beginne mit der guten Nachricht: Wir haben endlich einen Entwurf für ein Grundsatzprogramm der Linkspartei. Die schlechte Nachricht: Ich würde dem Entwurf, so wie er ist, nicht zustimmen. Er ist mir zu Schwarz-Weiß. Er ist mir zu widersprüchlich. Er ist mir zu beliebig.
Im Februar gab es noch zwei Programm-Entwürfe. Sie galten als intern. Inzwischen wurden sie zu einem Entwurf vermengt. Man könnte auch zuspitzen: Es war eine Zwangsvereinigung. Man wollte die Partei nicht überfordern und die Öffentlichkeit nicht verwirren, höre ich.
Die Absicht mag löblich sein. Aber herausgekommen ist ein Mix, aus dem jede und jeder herauslesen kann, was gerade gefällt. Der Programm-Entwurf ist interpretierbar. Das ist keine Stärke, sondern eine Schwäche. Damit gewinnt man weder Zustimmung noch Zukunft.
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Nun weiß ich auch, dass andere den Entwurf als innerparteilichen Sieg feiern, als klare Kampfansage gegen den Kapitalismus und als Schutzschild gegen Abweichler in den eigenen Reihen. Ich bedaure dies, denn so lässt sich schlecht für ein besseres Programm diskutieren.
An drei Beispielen sei illustriert, was mich frustriert.
 
Erstens: Am 20. März gab es einen Artikel in der jungen Welt. Der Autor befand, der Programm-Entwurf sei super und sollte möglichst Satz für Satz beschlossen werden. Ihn störe nur, dass der Begriff Sozialismus noch immer durch das Adjektiv demokratisch verwässert werde.
 
Nun traue ich der jungen Welt manches zu. Aber der Autor - Thies Gleiss - ist Mitglied des Vorstandes unserer Partei. Und von solchen erwarte ich, dass sie aus dem Scheitern des Sozialismus sowjetischer Prägung gelernt haben und deshalb Demokratie besonders schätzen.
 
Zweitens: Ebenfalls noch vor der Veröffentlichung des Programm-Entwurfs gab es eine Vor-Warnung aus dem Marxistischen Forum. Sinngemäß: Sobald sich DIE LINKE als Bürgerrechtspartei begreife, verlasse sie den Pfad der Tugend als Partei der Unterdrückten.
 
Dem widerspreche ich ausdrücklich. DIE LINKE muss immer eine Partei der sozialen Gerechtigkeit sein. DIE LINKE muss immer eine Partei des Friedens sein. Aber eine moderne LINKE muss immer auch eine sozialistische Bürgerrechtspartei sein.
 
Genau dieser Anspruch aber wurde im Programm-Entwurf getilgt. Auch die grundsätzliche Absage der PDS an den Stalinismus als System kommt im vorliegenden Entwurf nicht mehr vor. Ich halte dies für einen Rückschritt. Wir sollten das nicht zulassen.
 
Drittens: Der Programm-Entwurf plädiert dafür, lebenswichtige Ressourcen der kapitalen Vermarktung zu entziehen. Er wirft die Eigentumsfrage völlig zu Recht neu auf. Dabei ist Verstaatlichung ein Schlüsselwort. Auch darüber lässt sich trefflich streiten.
 
Es wird aber widersinnig, wenn der Staat einerseits als Retter in der Not hofiert wird und zugleich Regierungs-, also Staatsbeteiligungen, der Partei DIE LINKE nahezu als Teufelswerk beschrieben werden. Wer das tut, ist nicht selbstbewusst, sondern hasenfüßig.
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Bleibt die bekannte Frage: Was tun? Ich finde, wir sollten eine wirkliche Programm-Debatte führen. Und das heißt für mich wiederum Dreierlei:
 
ad 1: Der Entwurf vernebelt innerparteiliche Streitpunkte. Wir sollten sie offenlegen und diskutieren. ad 2: Der Entwurf reizt dazu, sich an Halbsätzen und Kommata festzubeißen. Genau das sollten wir nicht tun. ad 3: Wir sollten dazu einladen, mit uns zu diskutieren, also unsere Programm-Debatte für Außensichten zu öffnen.
 
Mein Vorschlag an den Landesparteitag und an den Landesvorstand lautet daher: Lasst uns im Früh-Herbst einen eigenen Programm-Konvent anbieten. Noch besser wäre eine regionale Konferenz, mit Brandenburg, Sachsen-Anhalt oder anderen Landesverbänden. So, wie wir es 2006 schon einmal in Potsdam gemeinsam praktiziert hatten.
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Nun will ich noch einmal Öl ins innerparteiliche Feuer gießen. Oskar Lafontaine hatte uns beim Neujahrs-Empfang der Saar-Linken ins Stammbuch diktiert: DIE LINKE müsse man daran erkennen, was mit ihr auf keinen Fall zu machen sei. Das teile ich. Aber das ist mir zu wenig.
Eine gefragte LINKE muss vor allem erklären, was sie will. Warum und wodurch. Und mit wem. Ich will keine abgrenzende Nein-Sager-Partei. Ich will eine einladende Mut-Macher-Partei. Und dafür ist Weniger oftmals Mehr, auch in der Programmatik.
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Schlussgedanke: Linke sind gern revolutionär. Auch deshalb berufen wir uns im Programm ja auf sechs Klassiker: Marx und Engels, Luxemburg und Liebknecht, sogar auf Brandt und Gorbatschow. So viel zum Rückblick. Aber wir stecken aktuell inmitten zweier Revolutionen.
 
Das Internet ist Synonym für neue Informations-, Produktions- und Lebensweisen. Und eine solare Revolution ist möglich. Warum also stellt sich DIE LINKE nicht an die Spitze der Bewegung? Mit dem Programm-Entwurf tut sie das nicht - und wenn doch, dann höchst konspirativ.
 
Auch deshalb: Kein Gesetz kommt aus dem Bundestag so heraus, wie es herein kam. Ich hoffe sehr, dasselbe Prinzip gilt auch für den Programm-Entwurf. Die Diskussion ist eröffnet. Wir Berliner Linken sollten das unsere für ein besseres Pogramm beitragen - konstruktiv und offen.
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