Aktuelle Notiz: programmatische Löcher

von Petra Pau
Berlin, 5. Februar 2010

1. 

DIE LINKE und die interessierte Öffentlichkeit warten seit langem auf den Start der programmatischen Debatte. Sie soll 2012 gekrönt werden. Bereits 2007 wurde eine Kommission beauftragt, binnen Jahresfrist einen diskussionswürdigen Pogramm-Entwurf vorzulegen. Dies soll dem Vernehmen nach nun (spätestens) im Mai 2010 nachgeholt werden. Die selbstgestellte Programm-Uhr läuft und die Zeit rennt.

2. 

Zur allgemeinen Beruhigung wird auf die vorhandene Programmatik der Linkspartei verwiesen. Dazu gehören mehrere Wahlprogramme und die programmatischen Eckpunkte von 2007. Durchaus zu Recht, zumal DIE LINKE gerade in den Eckpunkten - ehrlich, wie keine andere Partei - offene Fragen ausweist. Aber dieses moralische Plus dreht sich zum strategischen Minus, wenn ihre Klärung weiter verschleppt wird.

3. 

Stattdessen werden so genannte Halte-Linien und Marken-Kerne ins Terrain gerammt. „Weg mit Hartz IV“, „raus aus Afghanistan“, „keine Rente ab 67“ und so weiter. Jede Partei braucht Markenzeichen, die sie auszeichnen, auch DIE LINKE. Aber diese berechtigten Forderungen ergeben - von Ausnahmen abgesehen - bestenfalls einen Aktionsplan für Gewerkschaften. Sie ersetzen kein linkes Zukunftsprogramm.

4. 

Es gibt noch nicht einmal einen Konsens über das einende Ziel. Das führt zu absurden innerparteilichen Scharmützeln. Gerade jene, die das Adjektiv „antikapitalistisch“, und den Titel „Linke“ für sich reklamieren, beargwöhnen niemanden so sehr, wie jene, die sich als Forum Gleichgesinnter zum „demokratischen Sozialismus“ bekennen. Zuweilen möchte man meinen: Der „Hauptfeind steht in der eigenen Partei!“

5. 

Ebenso offen ist: Wie ist der (weltweite) Kapitalismus zu überwinden? Mit wem soll dies vollbracht werden? Und was unterscheidet den ‚neuen' Sozialismus grundsätzlich von dem untergegangenen ‚alten' sowjetischer Prägung? Dazu gehört übrigens auch das programmatisch ungeklärte Verhältnis zwischen sozialen, Bürger- und Freiheitsrechten. Auch das ist eine Hängepartie aus den programmatischen Eckpunkten.

6. 

Die Liste der offenen Fragen ist noch viel länger. In welchem politischen Verhältnis sollten künftig National-Staaten, Kontinental-Verbünde und die Welt-Organisation stehen und agieren? Allemal angesichts globaler Herausforderungen, zu denen mehr als „Klima“ und „Energie“ gehören. Allein die Forderungen nach einem „politischen Generalstreik“ oder nach mehr betrieblicher Mitbestimmung dürften als Antwort nicht reichen.

7. 

Und dann fehlt bislang noch etwas ganz Wesentliches, jedenfalls mir. Denn ein praller Katalog, gefüllt mit allen guten Vorsätzen, ist noch kein Programm. So wie die Grünen ihren grünen Faden spinnen, braucht DIE LINKE einen roten Faden. Wohl bemerkt: EINEN, der schlüssig erscheint und geeignet ist, andere mitzureißen. Das 2003er PDS-Programm lebte immerhin von der zentralen Idee unabdingbarer „Freiheitsgüter“ für alle.

8. 

Möglicherweise ist auch die Rückeroberung der Politik und die Wiederbelebung der Demokratie der Schlüssel für alle zunehmend verriegelten Türen. Auch darüber wäre zu diskutieren. In Hauptsätzen! Der beliebte Streit unter Linken über Kommata und Nebensätze ist da nur hinderlich, nicht selten auch widerlich. Kurzum: DIE LINKE braucht zu alledem einen Kultur-Sprung - nach innen und nach außen.
 

 

 

5.2.2010
www.petra-pau.de

 

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