Demokratischer Sozialismus bleibt Ziel

Rede von Petra Pau auf dem Landesparteitag der LINKEN in Mecklenburg-Vorpommern
Sternberg, 24. Oktober 2009

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1. 

zum Wahlkampf
Meine erste Botschaft an Euch heißt: Danke! Wir haben einen hervorragenden Wahlkampf hingelegt. Und was noch wichtiger ist: Wir haben erfolgreich gekämpft.
In keinem westlichen Bundesland erhielten wir weniger als 6 Prozent. Das war vor vier Jahren noch undenkbar.
In nahezu allen östlichen Ländern wurden wir besser gewählt, als die CDU oder die SPD. Das bestätigt uns als Volkspartei.
DIE LINKE hat im Westen zugelegt, im Osten aber ebenso. Auch das war nicht sicher und das ist wichtig für Künftiges. Bundesweit haben uns weit über 5 Millionen Bürgerinnen und Bürger gewählt - im Westen übrigens mehr, als im Osten!
 
Zur Erinnerung: Am 17. Juni 2007 hatten wir im Berliner Hotel „Estrel“ einen Bundes-Parteitag. Ich hatte die Vormittags-Versammlung geleitet.
Und so konnte ich sagen: „Hiermit ist die Partei DIE LINKE gegründet!“ Das ist gerade mal zwei Jahre und vier Monate her. Journalisten schlossen damals Wetten ab, wann sich die neue LINKE wieder zerlegt. Und sehr viele ließen nichts unversucht, dabei zu helfen. Wir haben sie - trotz alledem - eines Besseren belehrt. Die kurze Geschichte der Partei DIE LINKE ist bislang eine Erfolgsgeschichte.

2. 

neue Fraktion
Die neue Bundestagsfraktion hat sich inzwischen konstituiert. Sie ist größer, bunter, weiblicher und westlicher als die alte. Und sie war bereits für eine Überraschung gut. Ihr wisst es: Oskar Lafontaine kandidiert nicht mehr für den Fraktionssitz. Prompt wird spekuliert, wie die Doppelspitzen der Fraktion und der Partei gestrickt sein könnten. Ich bitte euch alle: Lassen wir das sein! Denn was ist die Botschaft? Noch konnte DIE LINKE nicht einen Sachantrag stellen, aber schon streitet sie sich um Posten.
 
Wir haben plakatiert: „Sozial, auch nach der Wahl!“ Und das gilt. In diesem Sinne hat sich die Fraktion auf ein 10-Punkte-Programm geeinigt. Ihr könnt es nachlesen. Es ist ein Sofort-Programm und es beschreibt unsere ersten parlamentarischen Initiativen in der neuen Legislatur. Wir fordern Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden. Das sind Markenzeichen der Linkspartei und zugleich Prüfsteine für die anderen.
 
Die erste Initiative aus meinem Arbeitskreis „Bürgerrechte und Demokratie“ wird ein Arbeitnehmer-Datenschutzgesetz sein. Das ist überfällig - nicht nur wegen der Skandale bei der Telecom, bei LIDL und der Bahn. Wir brauchen generell einen besseren Datenschutz. Und so werden wir Punkt für Punkt aus unserem Wahlprogramm abarbeiten. Wir stehen bei unseren Wählerinnen und Wählern im Wort!

3. 

Landtagswahlen
Im Vorfeld und parallel zur Bundestagswahl gab es Landtagswahlen: im Saarland, in Thüringen, in Brandenburg und in Schleswig-Holstein. Im Focus der Medien waren natürlich die Länder, in denen DIE LINKE in Regierungsverantwortung kommen könnte. Gleichwohl sollten wir nicht übersehen: DIE LINKE wurde in Schleswig-Holstein und damit in das sechste Landesparlament-West gewählt. Die Zeit ist vorbei, in der sich vier Parteien landauf, landab einrichten konnten. Wir haben ein 5-Parteien-System. Die letzte Störung im Einerlei der Etablierten gab es mit den Grünen. Die anderen Parteien hatten damals die ökologische Frage ignoriert. Nun gibt es die Partei DIE LINKE, weil alle anderen Parteien die soziale Frage erst negiert und dann mit der „Agenda 2010“ zugespitzt haben.
 
Das ist der tiefere Grund für den Absturz der SPD. Und nicht, wie Noch-SPD-Chef Müntefering jüngst meinte, ein Verrat von Oskar Lafontaine. Und, mit Verlaub: Eine Partei, die behauptet, ein einzelner Saarländer habe sie umgeschupst, muss wahrlich auf tönernen Füßen stehen. Und auch das ist euch sicherlich nicht entgangen. Nach der Bundestagswahl tagte noch einmal die alte Bundesregierung.
Sie kürzte unter der Federführung des SPD-Arbeitsministers Scholz die Wohngeldzuschüsse des Bundes für Langzeitarbeitslose. Was nur zeigt: Die Hartz-IV-Gilde der SPD hat noch immer nichts begriffen. Es steinmeiert weiter, als sei nichts geschehen
 
Doch zurück zu den Landtags-Wahlen. In Brandenburg wächst die Wahrscheinlichkeit, dass es demnächst eine rot-rote Regierung gibt. Ich wünsche unseren Brandenburger Genossinnen und Genossen dabei die innerparteiliche Solidarität, die wir Berliner lange Zeit vermisst haben. Anderswo tobt noch immer der Hessische Irrsinn. Die SPD erweist sich als nicht koalitionsfähig und verhindert weitere Politik-Wechsel.
In Thüringen hievt eine SPD, die zur Abwahl der CDU aufgerufen hatte, dieselbe abgewählte CDU ohne Not wieder ins Amt. Das ist Matschi!
Und im Saarland tun die Grünen dasselbe. Das ist Quatschi! Oder wie der Ober-Grüne Cohn-Bendit befand: Da sind Mafiosi am Werk. Cohn-Bendit hat auch richtig erkannt: Bei der NRW-Wahl braucht DIE LINKE nur noch zu plakatieren: „Wer grün wählt, wird schwarz sehen!“

4. 

zur SPD
Trotzdem oder gerade deshalb noch ein paar Gedanken zur SPD: Die SPD hat bundesweit das schlechteste Ergebnis seit 1893 erreicht. Damals, nach dem Fall des Sozialistengesetzes, war sie im Aufwind. 2009 ist sie weiter im Abwind. Das ist eine fürwahr historische Niederlage. Binnen zehn Jahren hat die SPD die Hälfte ihrer Mitglieder und die Hälfte ihrer Wählerschaft verloren. Aus diesem tiefen Tal wird die SPD nur herauskommen, wenn sie sich grundlegend erneuert: personell, strukturell, programmatisch.
 
Gleichwohl bitte ich euch die Niederlage der SPD weder mit Schadenfreude noch mit Häme zu quittieren. Und das aus drei Gründen:
Erstens ist es so lange noch nicht her, dass wir als PDS ein ähnliches Desaster durchlitten haben. Ich spreche von 2002:
Erst hatten wir den Einzug in den Bundestag verpasst und dann mit dem Geraer-Parteitag beinah auch noch die Existenz der PDS verspielt.
Zweitens, weil die Schwäche der SPD die vermeintliche Stärke der CDU/CSU und der FDP begründet. Schwarz-Gelb ist die denkbar schlechteste Konstellation, allemal wenn es um die drei entscheidenden Herausforderungen geht: Krise, Klima, Krieg.
Und drittens: Auf absehbare Zeit scheint es auf Bundesebene nur eine Alternative zu Schwarz-Gelb zu geben, nämlich Rot-Rot-Grün.
Natürlich nicht als pures Farbenspiel, sondern als linkes Zukunftsmodell. Deshalb mein Appell: Spott und Arroganz helfen niemandem.
 
Wir haben unser erstes Wahlziel erreicht und DIE LINKE bundesweit verankert. Aber das eigentliche Ziel ist weitergehend. Wir wollen die politische Achse in Deutschland und Europa deutlich nach links verschieben und dafür politische Mehrheiten gewinnen. Das ist jedenfalls mein Ziel. Es sollte unser aller Ziel bleiben - ehrgeizig und engagiert, im Bund, im Land, vor Ort.

5. 

programmatische Debatte
Nun hat Gregor Gysi jüngst gesagt: „Die SPD muss ganz weit auf die LINKE zukommen und die LINKE ein paar Schritte auf die SPD!“ Das finde ich auch. Trotzdem bitte ich. Erstens: Legt das Zitat nicht auf die Goldwaage. Und Zweitens: Orakelt nichts hinein, was nicht drin ist. Die SPD muss ihre Probleme klären. Aber wir haben auch noch Hänge-Partien aufzuarbeiten. Ich meine zum Beispiel die Programm-Debatte. Und da reicht es nicht, ewige Wahrheiten aufzupolieren oder alte programmatische Versatzstücke neu zu sortieren.
 
Natürlich bleibt es dabei: Wir lehnen nicht nur Hartz IV ab, sondern die ganze unwürdige Philosophie, die dahinter steckt.
Es bleibt es dabei: Wir sind nicht nur gegen den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. Wir lehnen Krieg als Mittel der Politik überhaupt ab.
Und es bleibt dabei: Wir sind nicht nur gegen Ost-West-Benachteiligungen. Wir lehnen Diskriminierungen grundsätzlich ab. Aber auch das reicht nicht. Wir sind im 21. Jahrhundert. Und das 21. Jahrhundert ist schneller, als es das 20. Jahrhundert war. Wir brauchen neue Antworten und erkennbare Leitlinien. Ich will euch daher nur drei Fragen anheim stellen.
 
Erstens: Wie können wir mit einem globalen System brechen, in dem das Kapital über die Politik herrscht und die Demokratie erdrückt wird?
Zweitens: Wie können wir Kriege verhindern, die auch deshalb drohen, weil weltweit immer mehr Menschen das Nötigste zum Leben fehlt?
Und Drittens: Wie können wir Freiheit und Bürgerrechte in einer Welt stärken, die immer virtueller und dabei auch undurchschaubarer wird?
Dazu gehört für mich auch: DIE LINKE muss wahrnehmbarer ein positiv-kritisches Verhältnis zur EU und zur UNO entwickeln. Links heißt von je her: Internationalismus statt Nationalismus! Jeden gegenteiligen Eindruck müssen wir überzeugend widerlegen. Ich freue mich jedenfalls auf eine spannende und erhellende Debatte. Ein interner Flügel-Kampf indes wäre das Gegenteil davon. Schaffen wir aber eine gute Zukunfts-Debatte, dann werden wir auch für junge Leute interessanter. Allein das wäre aller Mühen wert.

6. 

sozialistische Bürgerrechtspartei
Nun scheint es einen internen Streit zu geben, wann und wie die Programm-Debatte losgehen sollte. Ich teile die Argumente aller, die sagen: Drei Jahre nach Gründung der LINKEN sollten wir endlich programmatisch klären, was unklar ist. Das beginnt beim Ziel der Linken. In den programmatischen Eckpunkten wird diese offene Differenz geschickt umschrieben. Mein Ziel heißt „Demokratischer Sozialismus“ und mitnichten nur ein Tapetenwechsel im Kapitalismus. Lasst uns dafür streiten.
 
Ich lese aber auch Empfehlungen, denen ich energisch widerspreche. Ich zitiere einen Sprecher des Marxistischen Forums: „DIE LINKE (braucht) ein reformpolitisches Profil, das die Interessen der abhängig Beschäftigten in den Mittelpunkt (...) stellt.“ Und weiter: „Alle Versuche, DIE LINKE zu einer ‚Bürgerrechtspartei' umzuwandeln, würde der Erfolgsstrategie für linke Politik ein jähes Ende bereiten.“ Bezeichnend für diesen Beitrag ist, dass Uwe Hiksch das Wort „Bürgerrechtspartei“ auch noch in Anführungszeichen setzte.
 
Ich bleibe dabei! DIE LINKE muss immer eine Partei der sozialen Gerechtigkeit sein! Und DIE LINKE muss immer eine Partei des Friedens sein! Aber DIE LINKE muss immer zugleich eine moderne sozialistische Bürgerrechtspartei sein, als Lehre aus der Vergangenheit, als Programm für den Alltag und als Vision für die Zukunft!
Und was die Fokussierung auf die abhängig Beschäftigten angeht: Natürlich engagieren wir uns für sie und mit ihnen, was sonst. Aber so verengt hätte Steffen Bockhahn in Rostock niemals ein Direktmandat gewonnen. Also Steffen: Willkommen im Klub!
 
Wann also sollte die Programm-Debatte offiziell beginnen? Viel spricht dafür: besser heute als morgen. Ich kenne aber ebenso gute Gründe für die Position: Lasst uns erst alle Kraft bündeln, damit wir bei der NRW-Wahl erfolgreich sind. Denn wenn wir in NRW gewinnen, dann knacken wir demnächst auch noch Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Der Parteivorstand will im November einen Plan beschließen. So oder so soll das neue Programm 2011 beschlussreif sein. Dietmar Bartsch ist bei alledem auch noch so optimistisch, dass er dem neuen Programm 15 bis 20 Jahre Laufzeit prophezeit. Ich bin aus Erfahrung der zurückliegenden 20 Jahre mit Langzeit-Prognosen etwas zurückhaltender. Aber schauen wir mal. 2030, lieber Dietmar, werden wir beide uns ja möglicherweise im Rat der Alten wiedersehen. Dann können wir ganz weise noch mal drüber reden.

7. 

neue Koalition
In wenigen Tagen wird sich die Schwarz-Gelbe Koalition mit ihren Vorhaben präsentieren. Aber eines ist schon jetzt klar: Die alles entscheidende Frage wird Schwarz-Gelb nicht beantworten: Wie ist die aktuelle Krise zu meistern ist und die nächste zu verhindern? Denn die tiefere Ursache liegt nicht etwa bei durchgeknallten Bankiers, sondern bei der anhaltenden Umverteilung von Unten nach Oben. Unten fehlt es am Nötigsten zum Leben in Würde. Und Oben werden Reichtümer gehortet und ungebändigt beim Finanzroulette verzockt. Das ist des Pudels Kern. Aber weder die SPD, noch die Grünen, schon gar nicht die CDU/CSU oder die FDP rücken diesem Übel zu Leibe. DIE LINKE wird es weiterhin tun. Auch das ist Bestandteil unseres 10-Punkte-Sofort-Programms. Das bleibt unser Markenzeichen.

8. 

Peter Ritter
Eine Geschichte zum Schluss. Sie liegt zehn oder elf Jahre zurück. 1998 war ich überraschend in den Bundestag gewählt worden. Damals tobte eine Debatte zur Einwanderungspolitik. Ihr erinnert euch: Kanzler Schröder wollte Inder mit ihrem Laptops anwerben. Jürgen Rüttger (CDU) konterte damals bekannt nationalistisch mit seinem Slogan "Kinder statt Inder". Damals wagte ich als frischgebackene Innenpolitikerin etwas Unerhörtes. Ich stellte ein eigenes Einwanderungskonzept für die PDS zur Diskussion.
 
Wie zu erwarten brachte sich die innerparteiliche Sittenpolizei in Stellung: Schließlich gelte doch offene Grenzen für jede und jeden. Da erschien im Neuen Deutschland überraschend ein zustimmender Leserbrief. Sein Tenor: Endlich packt mal jemand dieses heiße Eisen an. Diese ermutigende Wortmeldung kam damals von Peter Ritter, seinerzeit frisch gewählter Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern. Es gibt übrigens, lieber Peter, noch eine Gemeinsamkeit. Auch ich gab als Landesvorsitzende 2001 nach einem Jahrzehnt den Staffelstab weiter. Auch ich konnte das - so wie Du jetzt - nach einem Wahlerfolg tun. Und so kommt mein Dank an Dich auch aus tiefstem Herzen. Wir danken dir!
 

 

 

24.10.2009
www.petra-pau.de

 

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