Wir wollen die politische Achse verschieben

Rede von Petra Pau auf der Hauptversammlung der LINKEN Marzahn-Hellersdorf am 17. Oktober 2009

[Audio, mp3, 10 MB]

1. 

zum Wahlkampf
Meine erste Botschaft an Euch heißt: Danke! Wir haben einen hervorragenden Wahlkampf hingelegt. Und damit meine ich alle, die im Wahlkampf unterwegs waren:
egal, ob sie Plakate auf- und auch wieder abgehängt haben,
egal, ob sie Nachbarn zur Briefwahl bewegt haben,
egal, ob sie Werbematerial in Briefkästen gesteckt haben,
egal, ob sie mit Info-Ständen unterwegs waren,
egal, ob sie Veranstaltungen vorbereitet und begleitet haben,
egal, ob sie unsere Web-Angebote gepflegt oder eine DVD kreiert haben.
Alles war wichtig. Alle waren wichtig. Und deshalb nochmals: Danke!

2. 

Erfolgsgeschichte LINKE
In keinem westlichen Bundesland erhielten wir weniger als 6 Prozent. Das war vor vier Jahren noch undenkbar. In nahezu allen östlichen Ländern wurden wir besser gewählt, als die CDU oder die SPD. Das bestätigt uns als Volkspartei. DIE LINKE hat im Westen zugelegt und im Osten ebenso. Auch das war nicht sicher und das ist wichtig für Künftiges.
Bundesweit haben uns weit über 5 Millionen Bürgerinnen und Bürger gewählt - im Westen übrigens mehr, als im Osten! Die west- und osteuropäischen Linksparteien kriseln, die LINKE in Deutschland hat kräftig zugelegt. Auch das gehört zur Bilanz.
 
Zur Erinnerung: Am 17. Juni 2007 hatten wir im Berliner Hotel „Estrel“ einen Bundes-Parteitag. Ich hatte die Vormittags-Versammlung geleitet. Und so konnte ich sagen: „Hiermit ist die Partei DIE LINKE gegründet!“ Das ist gerade mal zwei Jahre und vier Monate her. Journalisten schlossen damals Wetten ab, wann sich die neue LINKE wieder zerlegt. Und sehr viele ließen nichts unversucht, dabei zu helfen. Wir haben sie - trotz alledem - eines Besseren belehrt. Die kurze Geschichte der Partei DIE LINKE ist bislang eine Erfolgsgeschichte. Das soll auch so bleiben. Und dafür müssen wir auch weiter streiten. Aber nach solch einem Wahlerfolg darf man sich auch mal aufrecht freuen.

3. 

Hase und Igel
Ich will gar nicht verhehlen: Nach dem eher müden EU-Wahlkampf war ich sehr skeptisch. Nun habt ihr mich eines besseren belehrt. Wohin ich auch kam: Die Basis war schon da oder das Pau-Team war schon da oder das Bezirksamt war schon da oder alle waren schon da. In einer internen Auswertung wurde gesagt: Die linken Igel waren immer längst da, ehe SPD-Hase Rudi Kujath endlich ankam. Das war ein Erfolgsrezept unseres Wahlkampfes. Es gab weitere. Die Ideen waren wichtig. Die praktische Tat war noch wichtiger.
 
Das sage ich auch jenen unter uns, die erklärtermaßen nicht mit uns sein wollten. Ihr habt euch und uns keinen Gefallen getan. Vielleicht überlegt ihr ja wirklich, ob ihr bei der DKP besser beheimatet seid. Die hat es übrigens bundesweit auf 1.904 Stimmen gebracht. DIE LINKE indes konnte allein in Marzahn-Hellersdorf 51.662 Zweitstimmen auf sich vereinen. Das sind sensationelle 40,8 Prozent. Und wir können ja gerne ideologisch streiten. Letztlich wurde DIE LINKE als Partei für den Alltag und nicht für Traumtänze gewählt.

4. 

neue Fraktion
Die neue Bundestagsfraktion hat sich inzwischen konstituiert. Sie ist größer, bunter, weiblicher und westlicher als die alte. Und sie war bereits für eine Überraschung gut. Ihr wisst es: Oskar Lafontaine kandidiert nicht mehr für den Fraktionssitz. Seither wird spekuliert, wie die Doppelspitzen der Fraktion und der Partei gestrickt sein könnten. Mein Name wurde auch schon ins Spiel gebracht. Deshalb will ich hier ganz klar allen Gerüchten vorbeugen: Ich stehe für solche Spielereien nicht zur Verfügung. Zumal: Was ist die Botschaft? Noch konnte DIE LINKE nicht einen Sachantrag stellen, aber schon streitet sie sich um Posten. Das wäre fatal!
 
Wir haben plakatiert: "Sozial, auch nach der Wahl!" Und das gilt. In diesem Sinne hat sich die Fraktion auf ein 10-Punkte-Programm geeinigt. Ihr könnt es nachlesen. Es ist ein Sofort-Programm und es beschreibt unsere ersten parlamentarischen Initiativen in der neuen Legislatur. Wir fordern Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden. Das sind Markenzeichen der Linkspartei und zugleich Prüfsteine für die anderen. Die erste Initiative aus meinem Arbeitskreis "Bürgerrechte und Demokratie" wird ein Arbeitnehmer-Datenschutzgesetz sein. Das ist überfällig - nicht nur wegen der Skandale bei der Telecom, bei LIDL und der Bahn. Wir brauchen generell einen besseren Datenschutz. Und so werden wir Punkt für Punkt aus unserem Wahlprogramm abarbeiten. Wir stehen bei unseren Wählerinnen und Wählern im Wort!

5. 

Landtagswahlen
Im Vorfeld und parallel zur Bundestagswahl gab es Landtagswahlen: im Saarland, in Thüringen, in Brandenburg und in Schleswig-Holstein. Im Focus der Medien waren natürlich die Länder, in denen DIE LINKE in Regierungsverantwortung kommen könnte. Gleichwohl sollten wir nicht übersehen: DIE LINKE wurde in Schleswig-Holstein und damit in das sechste Landesparlament-West gewählt. Und wie heißt es so schön: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Die nächste Landtagswahl findet im Mai 2010 in Nordrhein-Westfalen statt. Schaffen wir es dort ins Landesparlament, dann knacken wir demnächst auch Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.
 
Aber schon jetzt gilt: Die Zeit ist vorbei, in der sich vier Parteien landauf, landab einrichten konnten. Wir haben ein 5-Parteien-System. Die letzte Störung im Einerlei der Etablierten gab es mit den Grünen. Die anderen Parteien hatte damals die ökologische Frage ignoriert. Nun gibt es die Partei DIE LINKE, weil alle anderen Parteien die soziale Frage erst negiert und dann mit der „Agenda 2010“ zugespitzt haben. Das ist der tiefere Grund für den Absturz der SPD. Und nicht, wie Noch-SPD-Chef Müntefering aktuell meinte, ein Verrat von Oskar Lafontaine. Und, mit Verlaub: Eine Partei, die behauptet, ein einzelner Saarländer habe sie umgeschupst lässt, muss wahrlich auf tönernen Füßen stehen.
 
Doch zurück zu den Landtags-Wahlen. In Brandenburg wächst die Wahrscheinlichkeit, dass es demnächst eine rot-rote Regierung gibt. Ich wünsche unseren Brandenburger Genossinnen und Genossen dabei die innerparteiliche Solidarität, die wir Berliner lange Zeit vermisst haben.
Wir haben diese Woche Senatorin Heidi Knake-Werner verabschiedet. Sie agierte geradezu Sinn bildend für die Berliner LINKE. Mit ihr haben wir die Privatisierungs-Orgien beendet, den Krankenhaus-Verbund „Vivantes“ saniert und in öffentlicher Hand behalten. Mit ihr haben wir den Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungs-Sektor durchgesetzt - gegen alle Widerstände. Und mit ihr hat die Berliner Linke "Hartz-IV"- Modalitäten erkämpft, die Betroffene nicht massenhaft zu Zwangsumzügen trieb. Ich wurde immer wieder gefragt - in Bayern, in Thüringen, in Rheinland Pfalz oder Schleswig-Holstein - was treibt ihr da eigentlich in Berlin. Und ich habe immer wieder geantwortet: Wenn ihr das durchsetzt, was wir in Berlin durchgesetzt haben, dann wären wir alle schon weiter.
 
Indes tobt noch immer der Hessische Irrsinn. Die SPD verhindert weiterhin Politik-Wechsel. Sie erweist sich als nicht koalitionsfähig. In Thüringen hievt eine SPD, die zur Abwahl der CDU aufgerufen hatte, dieselbe abgewählte CDU ohne Not wieder ins Amt. Das ist Matschi! Und im Saarland tun die Grünen dasselbe. Das ist Quatschi! Oder wie der Ober-Grüne Cohn-Bendit findet: Da sind Mafiosi am Werk. Und Cohn-Bendit hat richtig erkannt: Bei der NRW-Wahl braucht DIE LINKE nur noch zu plakatieren: „Wer grün wählt, wird schwarz sehen!“ In Thüringen rebellieren immerhin Teile der SPD gegen ihren Landesvorsitzenden.

6. 

zur SPD
Deshalb noch ein paar Gedanken zur SPD: Die SPD hat bundesweit das schlechteste Ergebnis seit 1893 erreicht. Damals, nach dem Fall des Sozialistengesetzes, war sie im Aufwind. 2009 ist sie weiter im Abwind. Das ist eine fürwahr historische Niederlage. Binnen zehn Jahren hat die SPD die Hälfte ihrer Mitglieder und die Hälfte ihrer Wählerschaft verloren. Das macht sich insbesondere in den alten Ländern bemerkbar, aber nicht nur da. Aus diesem tiefen Tal wird die SPD nur herauskommen, wenn sie sich grundlegend erneuert: personell, strukturell, programmatisch. Und das ist, wie allein ein Blick nach England zeigt, kein allein deutsches Problem, sondern ein internationales.
 
Gleichwohl bitte ich euch die Niederlage der SPD weder mit Schadenfreude noch mit Häme zu quittieren. Und das aus drei Gründen:
Erstens ist es so lange noch nicht her, dass wir als PDS ein ähnliches Desaster durchlitten haben. Ich spreche von 2002, wo wir erst den Einzug in den Bundestag verpassten und dann mit dem Geraer-Parteitag beinah auch noch die Existenz der PDS verspielt hatten.
Zweitens, weil die Schwäche der SPD die vermeintliche Stärke der CDU/CSU und der FDP begründet. Schwarz-Gelb ist die denkbar schlechteste Konstellation, allemal wenn es um die drei entscheidenden globalen Herausforderungen geht: Krise, Klima, Krieg. Und drittens: Auf absehbare Zeit scheint es auf Bundesebene nur eine Alternative zu Schwarz-Gelb zu geben, nämlich Rot-Rot-Grün. Natürlich nicht als pures Farbenspiel, sondern als linkes Zukunftsmodell. Deshalb mein Appell: Spott und Arroganz helfen niemandem, auch uns nicht. Wir haben unser erstes Wahlziel erreicht, indem wir bundesweit deutlich zugelegt haben. Aber das eigentliche Ziel ist weitergehend. Wir wollen die politische Achse in Deutschland und Europa deutlich nach links verschieben und dafür politische Mehrheiten gewinnen. Das ist jedenfalls mein Ziel. Es sollte unser aller Ziel bleiben.

7. 

programmatische Debatte
Gregor Gysi hat jüngst gesagt: „Die SPD muss ganz weit auf die LINKE zukommen und die LINKE ein paar Schritte auf die SPD!“ Nun habe ich zwei Bitten. Erstens: Legt das Zitat nicht auf die Goldwaage. Zweitens: Orakelt nichts hinein, was nicht drin ist. Die SPD muss ihre Probleme klären. Aber wir haben auch noch Hänge-Partien aufzuarbeiten. Ich meine zum Beispiel die Programm-Debatte. Und da reicht es nicht, ewige Wahrheiten aufzupolieren oder alte programmatische Versatzstücke neu zu sortieren. Natürlich bleibt es dabei, dass wir nicht nur Hartz IV ablehnen, sondern die ganze unwürdige Philosophie, die dahinter steckt. Natürlich bleibt es dabei, dass wir nicht nur den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan ablehnen, sondern Krieg als Mittel der Politik überhaupt. Und natürlich bleibt es dabei, dass wir nicht nur Ost-West-Benachteiligungen ablehnen, sondern Diskriminierungen jedweder Art. Aber das reicht nicht. Wir sind im 21. Jahrhundert. Und das 21. Jahrhundert ist schneller, als das 20. Jahrhundert.
 
Wir brauchen neue Antworten und erkennbare Leitlinien. Ich will euch daher nur drei Fragen stellen, um die es mir dabei geht.
Erstens: Wie können wir mit einem globalen System brechen, in dem das Kapital über die Politik herrscht und die Demokratie erdrückt wird?
Zweitens: Wie können wir Kriege verhindern, die drohen, weil weltweit immer mehr Menschen das Nötigste zum Leben verwehrt wird?
Drittens: Wie können wir Freiheit und Bürgerrechte in einer Welt stärken, die immer virtueller und undurchschaubarer wird? Dazu gehört auch, dass DIE LINKE ein positiv-kritisches Verhältnis zur EU und zur UNO entwickelt. Internationalismus statt Nationalismus.
Ich freue mich auf eine spannende und erhellende Debatte. Ein interner Flügel-Kampf indes wäre das Gegenteil davon. Schaffen wir aber eine gute Zukunfts-Debatte, dann werden wir auch für junge Leute interessanter. Allein das wäre aller Mühen wert.

8. 

zu meinem Direktmandat
Abschließend wenige Gedanken zu meinem Direktmandat: Natürlich bin ich stolz auf nunmehr fünf Direktmandate: einmal im Land, viermal im Bund. Aber ihr kennt mich und seid versichert: Ich bleibe mit eurer Hilfe daheim verwurzelt und weltweit unterwegs. Letzteres setzt voraus, dass ich wieder zur Vize-Präsidentin des Bundestages gewählt werde. Am 27. Oktober werden wir klüger sein. Als Vize-Präsidentin ist man auch Diplomatin. Und ihr könnt davon ausgehen: Ich bleibe immer auch Botschafterin für Marzahn-Hellersdorf.
 

 

 

17.10.2009
www.petra-pau.de

 

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