Effizienter Staat

„Keine ganz andere Gesellschaft“

Petra Pau zur Beamtenpolitik und zum Staatsverständnis der PDS

(BS) Die stellvertretende Vorsitzende der PDS, Petra Pau, gilt als eine der engagiertesten Modernisiererinnen ihrer Partei. So hat sie - nicht zur ungeteilten Freude aller, insbesondere älteren Genossen - maßgeblich die Entschuldigung für die Zwangsvereinigung von KPD und SPD oder die Erklärung zum Unrecht des Mauerbaus mitformuliert. Im Bundestag vertritt häufig sie die Positionen der Partei zur Innenpolitik und speziell zu Fragen der Beamtenpolitik. Im Interview mit dem Behörden Spiegel nimmt Pau Stellung zu Status und Funktion des Beamtentums, der künftigen Rolle des Staates, zum Zusammenwachsen von Ost und West und zum Stasi-Unterlagen-Gesetz. Mit Petra Pau sprach Matthias Köhler.

Behörden Spiegel: Sind Sie Helmut Kohl eigentlich dankbar?

Pau: Nein, warum?

Behörden Spiegel: Weil er sich, es geht da nicht um Sie persönlich, bei den Stasi-Akten gegenüber Marianne Birthler durchgesetzt hat.

Pau: Gar nicht, ganz im Gegenteil. Ich denke, wir brauchen eine Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, um den unterschiedlichen Bedürfnissen nachzukommen. Es muss Forschung möglich sein zur weiteren Aufklärung der Strukturen im realen Sozialismus, und das geht nun einmal vor allem über die Bestände dieser Behörde. Das sind schließlich die einzigen Akten, die nicht über Jahrzehnte hin verschlossen sind.
Mir geht es also nicht so sehr um die einzelne Person. Da ist inzwischen auch vieles an Auskunftsbedürfnissen erledigt. Der Schwerpunkt wird sich zur Forschung verlagern. Dazu werden Regelungen gebraucht. Wir werden entsprechende Gesetzesvorschläge daraufhin prüfen, ob sie diesem Zweck dienen. Es geht aber auch - darauf mache viele Historiker aufmerksam - um die Akten von 1933 bis 1945 in der Gauck-Behörde, weil die zum großen Teil in der DDR beim MfS gelagert waren.
Ich habe nur damit ein Problem, wenn der Eindruck erweckt wird, manche Menschen sind gleicher. Über ein Jahrzehnt wurde der Einspruch der Menschen im Osten gegen die öffentliche Verwertung auch intimster Fakten nicht gehört, erst bei Helmut Kohl ist man auf die Idee gekommen, dass das eventuell auch ein schutzwürdiges Recht ist. Aber Helmut Kohl als Person der Zeitgeschichte muss wie die, die in der DDR Verantwortung getragen haben, damit leben, dass außer seinen ganz persönlichen Angelegenheiten die Dinge öffentlich werden.

Behörden Spiegel: Thema unseres letzten Kongresses war die „Partizipation in einer Online-Gesellschaft“. Welchen Stellenwert geben sie dem im Rahmen von Otto Schilys Modernisierungsprogramm insgesamt? Wird das Thema überschätzt?

Pau: Ich halte das für viel versprechend. Man muss aber auch sehen, dass es immer Teile der Bevölkerung geben wird, die nicht in der Lage sind, damit umzugehen - aus sozialen Gründen oder wegen mangelnder Fähigkeiten. Wenn ich beispielsweise online wählen kann, muss ich vorher motiviert sein, überhaupt zur Wahl zu gehen. Das ist für mich eine Möglichkeit mehr, Dinge im Verhältnis zwischen Bürger und Staat zu erledigen. Es entspricht den neuen Arbeits- und Lebensverhältnissen. Mir persönlich wäre es sehr recht, wenn ich spät abends nach Hause komme und nicht nur meine Bankgeschäfte, sondern auch manches im Verhältnis zu Ämtern lösen könnte. Das eine wird das andere nicht ersetzen können.
Natürlich sind so auch Arbeitsabläufe innerhalb der Behörden effektiver zu gestalten, wenn nicht alles nebeneinander existiert, sondern tatsächlich vernetzt ist. Man kann das zum Beispiel in den Berliner Bürgerämtern sehen - dort, wo sie tatsächlich existieren und funktionieren. Das bringt dem Bürger Entlastung und Zeitersparnis und bietet den Beschäftigten die Möglichkeit, auch anspruchsvollere Aufgaben auszuüben; also nicht bloß einen Vorgang zu bearbeiten, sondern die unterschiedlichen Dienstleistungen, die gegenüber dem Bürger zu erbringen sind. Auf diese Art und Weise lässt sich auch anders mit den Klienten kommunizieren. Insgesamt bin ich hier also sehr aufgeschlossen, aber es muss in einem vernünftigen Verhältnis stehen.

Ein effizienter Staat lebt nach Ansicht der stellvertretenden Vorsitzenden der PDS, Petra Pau, auch von der Motivation der Beschäftigten durch sinnvolle Tätigkeiten: „In dieses Nachdenken sollte man die Mitarbeiter einbeziehen. Das geht allerdings nur wenn man angstfrei ist, sich selbst dadurch überflüssig zu machen.“ Foto: BS/Archiv

Behörden Spiegel: Wie viele ihrer Parteimitglieder bzw. Mandats- und Funktionsträger sind eigentlich Beamte?

Pau: Ich weiß, dass es in unserer Wählerschaft sehr viele Beamte und auch Angestellte des Öffentlichen Dienstes gibt, die offensichtlich mit der PDS und ihren Themenschwerpunkten soziale Gerechtigkeit, Einigung von Ost und West und Friedenspolitik sympathisieren. Ich habe keine statistischen Erhebungen, was die Mitgliedschaft betrifft, kann mir aber vorstellen, dass dies nicht ganz so viele sind. Wie Sie wissen, zeichnet sich unsere Partei durch eine etwas eigenwillige Altersstruktur aus. Wir haben sehr viele Rentner in unseren Reihen und vielleicht noch Nachholbedarf, was die Gewinnung von neuen Mitgliedern angeht.

Behörden Spiegel: Auf welcher Ebene sehen Sie ihre Stärken, bei Bund, Ländern oder Kommunen?

Pau: Das zieht sich quer durch die Ebenen. Wir erleben gerade in den Kommunen im Osten einen starken Bezug zu Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes - unabhängig von deren Status. Vor allem durch Briefe und E-mails kann ich aber feststellen, dass wir inzwischen auch insbesondere in Westberlin und den großen Flächenländern Akzeptanz in den Landesbehörden gefunden haben. Dabei geht es nicht mehr nur um die Interessenvertretung von Beamten oder Angestellten, sondern auch um die Politikfelder der PDS.

Behörden Spiegel: Sie selbst haben davon gesprochen, dass Sie ein etwas schizophrenes Verhältnis zum Beamtentum hätten. Grundsätzlich halten Sie nicht viel davon, wollen sich aber für die Belange der Beamten einsetzen. Wie lebt man damit?

Pau: Wir halten es hier ähnlich wie mit der Bundeswehr: Eigentlich wollen wir sie abschaffen, aber solange es sie gibt, sollen diejenigen, die dort ihren Dienst tun, in ihren Arbeitsbedingungen sozial gerecht behandelt werden. Wir wollen das Beamtentum als solches auch nicht vollständig abschaffen, stellen aber schon die Frage, ob alle Bereiche, in denen Beamte arbeiten, so hoheitlichen Charakter haben, dass sie mit diesem besonderen Status verbunden sein müssen.
Vor allen Dingen bin ich der Ansicht, dass die demokratische Teilhabe durch den Beamtenstatus behindert wird und wir hier eine Gleichstellung erreichen müssen. Der Begriff Schizophrenie war sicherlich zugespitzt. Ich fühle mich also nicht krank, sondern glaube, dass wir in der gesellschaftlichen Wirklichkeit immer wieder überprüfen müssen, inwieweit die Strukturen effizient sind, nicht nur in Bezug auf die Arbeit des Öffentlichen Dienstes, sondern auch auf die Mitarbeiter.

Behörden Spiegel: In welchen Bereichen könnte man denn auf die hoheitliche Wahrnehmung von Aufgaben verzichten? Was ist etwa mit Lehrern?

Pau: Ich habe ja viel Verständnis für den Drang der Kollegen im Osten, sich verbeamten zu lassen. Das zeigt den ganzen Unsinn dieser Regelung. Dieser Drang ist vor allem entstanden durch die Unsicherheit, bei abnehmenden Schülerzahlen keine Chance mehr zu haben gegenüber West-Kollegen, auch an der Schule zu bleiben. Wir haben das in Berlin erlebt, aber auch in den anderen Neuen Bundesländern. Ich. halte es nach wie vor nicht für notwendig, dass der Lehrer Beamter sein muss. Viel wichtiger ist, dass wir eine gesellschaftliche Aufwertung des Lehrerberufs bekommen. Lehrer werden nicht deshalb mehr geachtet, weil sie Beamte sind. Nur, wenn die Arbeit der Lehrer anerkannt wird und nicht die Schuld für alle gesellschaftlichen Missstände bei ihnen abgeladen wird, können sie ihre besondere Rolle in dieser Gesellschaft einnehmen.

Behörden Spiegel: Die Arbeits- und Rahmenbedingungen für Beamte können aber doch nicht so schlecht sein, wenn alles in diesen Status hineindrängt?

Pau: Ich habe in den vergangenen Jahren mit vielen Lehrern gesprochen - unter dem Strich kam heraus: Wir wollen nicht diejenigen sein, die als erste abgebaut werden. Die sozialen Rahmenbedingungen waren dabei nicht das Wichtigste. Wir dürfen uns aber auch nichts vormachen: Auf diese Weise werden finanzielle Lasten für die Altersversorgung aufgeschoben und der nächsten Generation aufgebürdet. Insofern ist das etwas unehrlich. Wir erleben, dass in einigen Kommunen durch die Verbeamtung versucht wird, aktuell Geld einzusparen. Ich halte das für Augenauswischerei, die zum Schluss auch auf dem Rücken der Kollegen ausgetragen wird. Damit wird auch das Bild vom Beamten, der dem Rest der Gesellschaft auf der Tasche liegt, erzeugt. Das ist natürlich ungerecht.

Behörden Spiegel: Man könnte fast sagen, dass Sie in ihren sozialpolitischen Forderungen für das Beamtentum etwa vom Beamtenbund gar nicht weit entfernt sind, eine Nähe, die man zunächst nicht vermuten würde.

Pau: In den aktuellen Auseinandersetzungen dieser Legislaturperiode, beim Versorgungsänderungsgesetz, Beamtenrechtsrahmengesetz und bei der Dienstrechtsreform, habe ich große Übereinstimmung festgestellt. Ich sehe überhaupt nicht ein, warum Probleme der gesamten Gesellschaft auf dem Rücken der Beamten ausgetragen werden sollen. Ich habe schon die Riester-Rente kritisiert, weil sie der Einstieg in den Ausstieg aus der solidarischen Rentenversicherung war.
Das Versorgungsänderungsgesetz ist für die Beamten aber doppelt ungerecht. Da ist Riester nicht nur wirkungsgleich übertragen worden, sondern den Beamten wurde noch mehr in die Tasche gegriffen und der Osten noch mehr benachteiligt. Das betrifft auch die Anerkennung von Dienstzeiten. Und alle, die demnächst die Pensionsgrenze erreichen, haben keine Chance mehr, privat vorzusorgen. Außerdem hat der Staat als Arbeitgeber bei den Arbeitsbedingungen dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht durch Berufskrankheiten in die Frühpensionierung gedrängt werden.

Behörden Spiegel: Beamte stehen in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis. Ist das nicht insbesondere in Sicherheitsbereichen durchaus sinnvoll?

Pau: Natürlich. Ich möchte gerne das Gewaltmonopol des Staates erhalten. Was aber etwa die Mitbestimmung betrifft, stammen manche Regelungen für Beamte wirklich aus dem vorvorigen Jahrhundert. Polizeibeamte sind beispielsweise auf die Verfassung und die Gesetze verpflichtet, sollten aber auch an der Debatte über die gesellschaftliche Weiterentwicklung teilhaben können. Das Beamtentum sollte auf Kernbereiche begrenzt werden. Hier ist manche Chance durch die Herangehensweise der Vereinigung von Ost und West 1989/90 vertan worden. Auch in der alten Bundesrepublik gab es Veränderungsbedarf. Man hätte einiges auslaufen lassen können, natürlich ohne den Vertrauensschutz zu gefährden. Wenn man etwa darüber nachgedacht hätte, wie Referendare in anderer Form abgesichert werden können, hätte man langfristig mehr erreicht.

Behörden Spiegel: Wie sieht Ihr Staatsverständnis aus, welche Rolle kann und soll der Staat heutzutage spielen?

Pau: Der Staat ist für die Daseinsvorsorge zuständig, deswegen darf er sich aus bestimmten Bereichen auch nicht ausklinken. Die öffentliche Sicherheit, die Schulpolitik oder die Gesundheitsvorsorge sind staatliche Aufgaben auch im Sinne des Ausgleiches, der Chancengleichheit. Erst dann wäre zu entscheiden, in welchen Strukturen das im Auftrag des Gesetzgebers stattfindet. Sicherlich muss nicht alles durch den Öffentlichen Dienst geleistet werden. Über gesetzliche Rahmenbedingungen kann auch ein entsprechender Standard gesetzt werden. Ich möchte aber zum Beispiel nicht, dass weiter öffentliche Sicherheit in private Hände übergeht und auf diese Weise Viertel entstehen, in denen Sicherheit gewährleistet ist, weil man es sich leisten kann, und andere, in denen das nicht der Fall ist.

Behörden Spiegel: Die PDS ist an mehreren Landesregierungen zumindest indirekt beteiligt gewesen. Nun sind weder Mecklenburg-Vorpommern noch Sachsen-Anhalt dadurch aufgefallen, dass sie unbedingt an der Spitze des Fortschritts marschieren. Sie liegen in allen wesentlichen Kennziffern weit hinten. Hat das vielleicht auch mit Ihrem Staatsverständnis zu tun, zu viele Dinge gewährleisten zu wollen?

Pau: Wir wollen nicht vergessen, wer da vorher regiert hat. Außerdem gab es bei allen Problemen in Mecklenburg-Vorpommern zumindest einen Zuwachs an Arbeitsplätzen und Lehrstellen. Die Strukturentscheidungen bei der Werftindustrie oder bei der Airbus-Ansiedlung waren übrigens nicht im Lande zu verantworten. Auch in Sachsen-Anhalt zeigen sich die Probleme der Politik gegenüber dem Osten insgesamt. Die Zahlen unterscheiden sich nämlich gar nicht so sehr von Thüringen oder Sachsen, außer dass es dort noch einige industrielle Kerne mehr gibt. Gescheitert ist hier eher die Bundespolitik insgesamt. Solange man meint, man müsse dort nur genügend Geld hineinpumpen, um die Leute ruhig zu stellen, wird das nichts werden.
Die sechs neuen Bundesländer brauchen eine eigenständige Funktion. Sie können beim Zusammenwachsen von Ost- und Westeuropa eine große Rolle spielen. Sonst werden wir weiterhin das Altenheim der Bundesrepublik sein. Die Jugend wird abwandern - das kann man ihr überhaupt nicht übel nehmen, wenn es dort keine Chance gibt. Das, was es noch an Forschung und Wissenschaft gibt, das Potenzial und die Sprachkenntnisse der Menschen, die dort leben, die Kenntnis der osteuropäischen Mentalität und Strukturen sollten aktiviert werden. Dazu genügt nicht ein Sommerbesuch des Kanzlers oder des Kandidaten, es müssen zukunftsträchtige Bereiche und Technologien angesiedelt werden. Keiner will Leuna oder Buna wieder so aufbauen, wie sie waren, aber es steht auch nirgendwo geschrieben, dass in alten Fabrikhallen nur Fitness-Studios angesiedelt werden dürfen. Die jungen Leute brauchen eine Ausbildung, mit der sie auch in zehn Jahren noch etwas anfangen können. Dieses Thema ist in dieser Legislaturperiode auf Bundesebene versäumt worden.

Behörden Spiegel: Dennoch handelt es sich bei der Abwanderung etc. wohl um Prozesse, die sich mehr oder weniger fortsetzen werden. Wie kann man sich darauf einstellen? Es werden teilweise Wegzugs- und Rückkehrprämien gezahlt, das mutet doch chaotisch an.

Pau: Ich halte hier die Lösung von Mecklenburg-Vorpommern für richtig. Dort werden keine Rückkehrprämien gezahlt, aber man bietet den Menschen an, den Kontakt in die Region zu halten, kümmert sich um sie. Wenn sich interessante Dinge dort tun, wird darüber informiert, um vielleicht auch einmal einen umgekehrten Trend in Gang zu setzen. Diese Prämien bringen jedenfalls nichts und das Jammern auch nicht.

Behörden Spiegel: Der Artikel 36 des Grundgesetzes hat die regionale Ausgewogenheit bei der Stellenbesetzung in Bundesbehörden zum Thema. Manche Leute sagen, das sei überholt und komme kaum noch zur Anwendung, aber es steht nun einmal da. Gerät man dabei nicht in Konflikt mit dem Leistungsgedanken?

Pau: Da haben wir vielleicht ein Stück Nachholbedarf, was den Osten betrifft. Deshalb bin ich im Moment dafür, nicht nur an dem Artikel festzuhalten, sondern auch zu sehen, wie das umgesetzt werden kann. Dazu muss man den Leistungsgedanken nicht beiseite legen.
Das würde auch dem derzeit noch nicht abgeschlossenen Prozess der Identifikation mit der Bundesrepublik, so wie sie jetzt verfasst ist, dienen. Das gilt nicht nur für den Öffentlichen Dienst. Im Grundgesetz wird ja nicht gesagt, der Bayer soll dem Mecklenburger ähnlich werden, dort steht etwas über Chancengleichheit und den gemeinsamen Zugang zu dem, was die Gesellschaft gewährleistet.
Das beginnt bei der Finanzausstattung und endet noch lange nicht bei der öffentlichen Sicherheit. Wenn wir hier keine gleichen Lebensverhältnisse gewährleisten, sind wir auf dem Weg in eine ganz andere Gesellschaft und das wollen wir nicht.

Berliner Behördenspiegel Juni 2002

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25.6.2002
www.petra-pau.de

 

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