Akademischer Abend, Podium mit Dr. Norbert Madloch, Petra Pau und Dr. Rainer Zilkenat; Foto: Axel Hildebrandt„Aktuelle Fragen der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus“

3. akademischer Abend der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der PDS-Fraktion im Bundestag

Rund 70 Interessierte waren am 15. Mai 2002 zum 3. akademischen Abend der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der PDS-Fraktion im Bundestag in den Galeriesaal im Schloss Biesdorf gekommen. Am Klavier überzeugte Matthias Bockheim. Die Einführung oblag Dr. Dieter Schlönvoigt. Die Debatte wurde moderiert und zusätzlich inspiriert durch Dr. Norbert Madloch und Dr. Rainer Zilkenat.

Task-Force ist Droge - keine Lösung
Aus der Rede von Petra Pau

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Einführung

von Dr. Dieter Schlönvoigt (Rosa-Luxemburg-Stiftung)

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie zum nunmehr 3. akademischen Abend, den die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit der PDS-Fraktion im Bundestag veranstaltet. Wir sind das zweite Mal hier, im Schloss Biesdorf. Und so können wir hoffen - es entwickelt sich eine gute Tradition.

Petra Pau wird heute in das Thema einführen. Zu ihrer Person möchte ich gar nicht viel sagen. Die meisten Anwesenden kennen sie und wer noch mehr über sie erfahren will, dem sei Petras Web-Seite empfohlen.

Deshalb nur einige Anmerkungen, die eine einleitende Brücke zwischen Petra Pau und unserem Thema des Abends - Nachdenken über Rechtsextremismus und Gegenmittel - schlagen können.

Wer Petras PDS-Weg kennt, weiß: Das Thema Rechtsextremismus begleitete sie von Anfang an und sie hat es aktiv aufgenommen: Als Bezirksverordnete in Hellersdorf, als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhaus, als PDS-Landesvorsitzende, allemal, seit sie im Bundestag und als stellvertretende PDS-Vorsitzende spezielle Zuständigkeiten erwarb.

Allerdings: Es gab es ein Schlüssel-Ereignis, ein schlimmes, das Petra besonders nahe ging und auch persönlich traf. Das Attentat vom 19. Februar 1997 in Berlin-Marzahn. Der Neo-Nazi Kay Diesner schoss auf den Buchhändler Klaus Baltruschat, der seither zeitlebens gezeichnet ist. Treffen wollte Diesner die PDS, aus systematisch antrainierten und angestachelten ideologischen Hass.

Die rechtsextreme Vorgeschichte, das politische Umfeld und die juristische Aufarbeitung diese und eines weiteren Attentats sind nachzulesen. Der Landesvorstand der Berliner PDS hatte dazu eine sehr kompakte und zugleich erhellende Broschüre mit einem Vorwort von Lothar Bisky und Petra Pau herausgegeben.

Die schlimmen Ereignisse im Februar 1997 hatten eine unmittelbare Vorgeschichte. Die NPD hatte einen Aufmarsch in Hellersdorf angemeldet. Dagegen regte sich ein breiter Widerstand. Am Bahnhof Wuhletal eskalierte es. Ein NPD-Funktionär stellte danach Strafanzeige gegen Gregor Gysi und Petra Pau, unter anderem wegen „Anstiftung bzw. Beihilfe zu versuchtem Mord“.

Der damalige CDU-Innensenator Schönbohm erklärte umgehend: Die PDS habe dazu aufgerufen, auf junge Menschen „Hatz zu machen“. Das war alles weder belegbar, noch haltbar. Petra hat sich trotzdem nicht pauschal in Stellung bringen lassen, auch nicht gegen die CDU.

Statt dessen verstärkte sie, vielfach nachlesbar, ihr Credo (Zitat Petra Pau): „Rechtsextremismus ist kein Randphänomen. Er speist sich aus der Mitte der Gesellschaft - ergo kann Rechtsextremismus auch nur im Ringen um die Gesellschaft und nicht gegen diese bekämpft werden.“ Ein linker Ansatz, der unter Gleichgesinnten nicht unumstritten ist. Er bestimmte aber Petras politisches Handeln.

Einerseits lässt sie den Rechten in der sogenannten Mitte nichts durchgehen. Erst jüngst stellte sie in München die Studie von Dr. Gerd Wiegel, Uni Marburg, vor: „Die Union und der rechte Rand - zur Strategie der CDU/CSU-Fraktion im Umgang mit Parteien der extremen Rechten“.

Und zugleich müht sie sich um möglichst breite gesellschaftliche Bündnisse. Weit über jene hinaus, die sich selbst als links verstehen und bis hinein in Kreise, die sich in der CDU aufgehoben fühlen.

Petra ist weder pflegeleicht, noch bequem. Sie scheut auch nicht den Konflikt in den eigenen Reihen. Und das sind bekanntlich die schwierigsten Auseinandersetzungen.

Ein Streitpunkt innerhalb der PDS lässt sich vielleicht grob so skizzieren: Rechtsextremismus ist eine urwüchsige Ausgeburt des kapitalistischen System, also eher die Regel, denn die Ausnahme. Sagen die einen. Rechtsextremismus fand auch Humus im real-sozialistischen System, auch in der DDR. Sagen die anderen. Die Konsequenzen, die dem jeweiligen Ansatz entspringen, sind gegenläufig, zumindest aber unterschiedlich.

Die zweite Annahme, nämlich das auch im Real-Sozialismus Ursachen für rechts-extreme Gefahren liegen könnten, hat für viele in und bei der PDS zudem eine emotionale Komponente. Sie berührt das Selbstverständnis und das Lebenswerk vieler, die sich seit 1945 und vielfach leidvoll schon zuvor dem faschistischen Ungeist entgegen gestellt haben.

Petra spart die unbequemen Fragen dennoch nicht aus. Sie achtet hoch, was viele Antifaschistinnen und Antifaschisten geleistet, gewagt und häufig erlitten haben. Sie drängt aber auch auf bessere Antworten, als solche, die sie zu DDR-Zeiten gelernt, geglaubt, wohl auch gelehrt hat und die auch bei manchen West-Linken noch fortleben.

Ein Letztes: Petra hat für sich den Anspruch definiert: Die PDS müsse sich zu einer glaubwürdigen, modernen sozialistischen Bürgerrechts-Partei weiterentwickeln, was immer auch Antifaschismus und Antirassismus einschließe.

Gleichwohl: Allein der Anspruch klingt manchen suspekt. Die einen monieren die „Bürgerrechts“-Partei, weil sie damit Leute oder Ereignisse assoziieren, die nichts mit „Sozialismus“ zu tun hätten. Andere bekommen in ihrem Verständnis SED-PDS und Bürgerrechte nicht zusammen. Auch sie haben dabei einen historischen Hintergrund.

Petra hat ihren Anspruch inzwischen so oft wiederholt, dass man wohl Grundsätzliches dahinter vermuten darf. Dazu kann sie aber selbst sprechen oder befragt werden.

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Task-Force ist Droge - keine Lösung

Aus der Rede von Petra Pau

1. Weite Fragen - enge Antworten

auf dem  Akademischer Abend der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Schloss Biesdorf; Foto: Axel HildebrandtGute Politiker - so will es das allgemeine Image - sind Wisser, Macher und Wegweiser. Das gilt für beiderlei Geschlecht. Und wenn sie dabei auch noch sympathisch daherkommen, dann sind sie obendrein wählbar. So befindet das allgemeine Klischee und es ist wohl mehr als ein Klischee.
 
Hinzu kommt: Politiker sind umso wählbarer, je mehr sie die allgemeine Stimmungslage treffen, aktuelle Fragen aufgreifen und vermeintliche Antworten wohlfeiler darbieten, als ihre Konkurrenten - wieder beiderlei Geschlechts.
 
Wie die allgemeine und ob aktuelle Stimmungslagen getroffen werden, das hat sicher etwas mit Demokratie zu tun. Was die allgemeine Stimmungslage prägt, allemal die aktuelle, das wiederum ist vielfach unwägbar. Was ein strukturelles Problem offenbart. Politikwissenschaftler weisen gelegentlich daraufhin.
 
Denn durch die vergleichsweise kurzen Wahlrhythmen - also vier- oder fünf Jahresscheiben - wird allzu viel und oft politisch kurzsichtig gedacht, getan oder gelassen.
 
Fragen, die eines langen Atems und ebenso viel Weitsicht bedürfen, haben es dagegen schwerer. Sie sind aber in aller Regel die wirklich großen und entscheidenden Fragen, die sich - früher oder später - katastrophal bemerkbar machen.
 
Eines dieser großen Themen ist die überfällige Wende in der Energie-Frage. Ich bin keine Klima-Expertin. Aber die Zeichen mehren sich: Es ist allerhöchste Eisenbahn, um die vielbeschriebene Katastrophe noch abzuwenden. Gleichwohl: In der aktuellen Politik und im Alltagsbewusstsein spielt sie derzeit kaum eine Rolle.

Im Gegenteil: Es gibt zwar eine zaghafte Öko-Steuer. Nur hat sie mit wirklich Öko soviel zu tun, wie die „Riester-Rente“ mit sozialer Gerechtigkeit.

Ich will die PDS aus dem Dilemma gar nicht ausblenden. Nicht alles, was wir beschließen oder versuchen, hat wirklich Bestand vor dem großen Zeitmesser. Die allgemeine und akute Stimmungslage ist auch bei Links-Sozialisten - zumindest - Co-Autor. Das liegt in der Natur politischer Parteien.

Womit ich bei einer übergeordneten Frage wäre: Bedarf es einer Instanz, die oberhalb oder neben dem Parlament agiert, die ohne Partei im rechtlichen Sinne zu sein, gleichfalls an der politischen Willensbildung teil nimmt, die nicht den Verfänglichkeiten des Wahlkampfes unterliegt und dennoch oder deshalb mehr Autorität genießt?

Es ist eine Frage mit Klippen und sie ist auch nicht neu. Der „club of rome“ war vielleicht ein Ansatz. Aber auch er spielt aktuell kaum eine Rolle, jedenfalls längst nicht mehr die, die er in den 70er und 80er Jahren noch aufrüttelnd hatte. Aber er besaß drei Vorteile: Er war inter-disziplinär, er war problem-orientiert und er konnte sich der großen Fragen annehmen, ohne kurzen Beifall erheischen zu müssen.

Ich komme deshalb auf diesen Einstieg, weil auch Rechtsextremismus, Rassismus und Nationalismus keine kurzlebigen Erscheinungen sind. Sie bedrohen das friedliche Zusammenleben, die Demokratie und in ihrer gewaltbereiten Ausprägung selbst das Leben schlechthin. Sie bedürften also einer Instanz, die inter-disziplinär und problem-orientiert arbeitet, ohne kurzen Beifall, aber mit gefragter Autorität. Dafür gibt es Ansätze, mehr aber nicht.

2. task-force-Politik

Nun beobachten wir: Die Politik, jedenfalls die regierend Parlamentarische oder die mit dem Parlament regierende, folgt nicht einmal mehr dem Legislatur-Rhythmus. Sie passt sich mehr und mehr aktuellen Ereignissen an, ohne ihnen deshalb zu entsprechen. Sachlich Programmatisches weicht einer emotional forcierten Hast. Mehr noch: Die Politik nutzt unwägbare Stimmungen wie ein Trojanisches Pferd, um sich selbst zu feiern.

Vor wenigen Wochen wurden wir Zeugen des Erfurter Schul-Massakers. Ich war auf der offiziellen Trauerfeier vor dem Erfurter Dom und ich konnte spüren, was in vielen der Zehntausenden, die dort waren, vorging, allemal bei den unmittelbar Betroffenen.

Ich ahne aber auch, was manche Politiker treibt, die umgehend Vorschläge und Vorwürfe parat hatten: zur Medien-Gewalt, zum Waffen-Recht, zu Jugend-Strafen, zum Schul-System - die ganze Palette war plötzlich präsent, schlagzeilen-kräftig und scheinbar weg-weisend.

Sofern Sprache erhellend ist, hat Bundesbildungs-Ministerin Buhlman (SPD) nach dem Erfurter Massenmord den treffendsten Begriff beigetragen. Sie wolle flugs eine „task force“ einsetzen, also eine schnelle Eingreif-Truppe.

Andere bewegten sich auf ähnlichem Terrain. Claudia Roth eiferte auf dem Wiesbadener Wahlparteitag der Bündnis-Grünen: CDU, FDP und PDS seien - Zitat - „die Fremdenlegion der Waffenlobby.“ Ich habe ihr daraufhin eine SMS geschickt: „Liebe Claudia Roth, auch in Wahlkampfzeiten bitte nicht ganz so dick lügen!“

Innenminister Schily (SPD) war - wie sein Zwilling Beckstein (CSU) - der Meinung: Die Volljährigkeit müsse von 18 Jahren auf 21 Jahre heraufgesetzt werden, sobald es um Schuss-Waffen gehe. Auch 25 Jahre sind im Gespräch, um die Gesellschaft vor jugendlichen Übermut zu schützen.

Wäre dem so, wie die genannten und selbsternannten Sicherheits-Experten empfehlen, dann müssten sie auch konsequent sein: Weder 18-jährige, noch unter 25-jährige dürften zur Bundeswehr oder über sie in Kriege gezwungen werden! Das sei ein anderes Thema, höre ich Gegenstimmen, und eine Beleidigung des „Staatsbürgers in Uniform“. Nein, es ist kein anderes Thema. Es ist die Frage nach der Legimität von Gewalt in Politik und Gesellschaft.

Bundes-Kanzler Schröder hat - um das Maß hastig zu füllen - eine sogenannte Expertenrunde von Vertretern der öffentlich-rechtlichen und privaten TV-Anstalten eingeladen. „Wie lassen sich Gewaltdarstellung in den Medien zurückdrängen?“, hieß das Thema. Was übrigens auch 80 Prozent der PDS-Wähler fordern, ermittelte emnid.

Ein akutes Thema, aber kein neues und es gibt längst einschlägige Paragrafen, die das streng normieren. Noch verbotener scheint in solchen Zeiten allerdings die Gegenfrage: Was können Verbote wirklich bewirken? Wären sie die langfristige Antwort, die dringend zu suchen bleibt, dann wäre ich sofort bereit, im Bundestag ein Gesetz einzubringen, das sagt: Umweltzerstörung, Gesellschaftszerstörung und Lebenszerstörung sind verboten!

Ich bleibe noch kurz bei der Medien-Debatte und sage: Es ist regelrechter Quatsch und aus dem Zeitalter des Dampf-Radios, wenn man glaubt, man müsse nur den Sender disziplinieren, schon gehe es dem Empfänger gut. Damit spreche ich nicht gut, was über den Fernseher flimmert oder im Internet zu holen ist. Aber wir können ja auch zum Thema „Rechtsextremismus“ regelmäßig lesen: Die Zahl der einschlägigen Homepage habe sich auf so-und-so-viel erhöht.

Das schreit nach Zensur. Nur: Ahnen jene, die das fordern, was sie fordern? Das Internet ist zensur-ressistent. Was nicht heißt, dass es im rechtsfreien Raum existiert. Aber wer es einer staatlichen Redaktion unterwerfen will, der hat sein Wesen nicht verstanden oder will Nord-Koreanische Verhältnisse.

Ein viel wichtigeres Schlüsselwort im Internet-Zeitalter - meine ich - heißt Medienkompetenz. Es ist nicht mehr ganz neu. Es gehört zu den sozialen Herausforderungen von lebenslangem Lehren und Lernen. Aber es spielt in den aktuellen Debatten kaum eine Rolle. Obwohl es darauf zielt, den einzelnen Menschen Mensch sein, bleiben oder werden zu lassen - kompetent und selbstbewusst, nicht naiv und verführbar. Was übrigens ein Anspruch ist, der nicht auf Kinder und Jugendliche beschränkbar, sondern allgemein gültig ist.

Nun beantworten meine Anmerkungen nicht die „Erfurter Katastrophe“. Aber sie zeigen vielleicht, was „task force“-Politik bewirkt: fast nichts und das ist eines unserer Dilemmata.

Nach dem 11. September 2001 hieß das Top-Thema „Terrorismus“. Ein Jahr zuvor gab es in Düsseldorf die Anschläge auf jüdische Zuwanderer, was in einen „Aufstand der Anständigen“ mündete, von dem heute niemand mehr redet. Davor erregte die Kampf-Hunde-Debatte - wieder beiderlei Geschlechts - die Nation.

Wirkliche Lösungen, langfristige oder nachhaltige, waren Mangelware. Aber es bleiben stets Hinterlassenschaften. Und die sind zumeist repressiv und obendrein kontra-produktiv. Ich könnte das anhand der sogenannten Anti-Terror-Gesetze im Einzelnen belegen. Und ich habe mit Genugtuung vernommen, dass Jutta Limbach, Ex-Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichtes am 10. Mai dieses Jahres auf dem 53. Deutschen Anwaltstag mahnte. Sie warnte davor, Grundrechte einer Sicherheit zu opfern, die vorgibt, Grundrechte zu schützen, diese aber real abbaut.

Beim Thema „Rechtsextremismus“ ist es nicht anders. Die Prophylaxe wird klein geschrieben, es wird viel gedoktort, aber wenig geheilt, und häufig sind die Rezepturen schlicht falsch. An die Wurzeln des Übels aber kommen wir kaum ran. Und wir werden auch nicht an die Wurzeln kommen, solange die Frage vom Exzess her, temporär und kurzschlüssig, verwaltet wird.

Wie aber kommen wir zu langfristigen und komplexen Strategien, die von der Mehrheits-Gesellschaft gewollt, belebt und auch bezahlt werden?

Das ist meine Frage, die mich auch ein wenig ratlos macht. Allerdings nicht mutlos. Ich war im März und im April zweimal auf Sachsen-Anhalt-Tour. Natürlich ging es um Wahlkampf. Aber ich hatte dabei gesuchte und gewünschte Begegnungen mit Menschen, die sich tag-täglich engagieren und zwar sehr boden-ständig: Gegen Rassismus, für Asyl-Suchende, für Toleranz, gegen staatliche Willkür.

Allerdings: Sie alle arbeiten unter Rahmenbedingungen, die ihnen das Leben eher schwer machen, als dass sie zum solidarischen Mitleben ermutigen. Damit meine ich nicht nur den Finanz-Mangel, unter denen viele Initiativen leiden.

3. Report Deutschland

Auf ein Manko verwies die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz in ihrem zweiten „Report Deutschland“. Er datiert auf den 15. Dezember 2000, also unmittelbar nach dem Herbst-„Aufstand der Anständigen“.

Der Befund: „In den letzten Jahren hat Deutschland eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung ergriffen.“ Aber: Deutschland ist „eine Gesellschaft, in der schwere rassistisch motivierte Gewalttaten begangen werden. Das bedeutet“ - immer noch Zitat - „dass Themen wie Rassismus, Antisemitismus, Fremdenhass und Intoleranz erst noch als solche erkannt und bekämpft werden müssen. Der bestehende Gesetzesrahmen und die politische Maßnahmen haben sich als unzureichend bei der wirksamen Bekämpfung dieser Probleme erwiesen.“

Noch mal: Die Europäische Kommission befindet, dass Rassismus, Antisemitismus, Fremdenhass und Intoleranz in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht mal als ernstes Thema erkannt wurden. Dem Befund folgen mehrere Seiten mit Handlungsempfehlungen. Sie könnten noch heute als Anleitung gelten, denn sie wurden auch unter Rot-Grün nur halbherzig aufgegriffen oder völlig links liegen gelassen.

Der Aufstand der Anständigen versandete. Die Politik der Zuständigen aber mündete in einen task-force-Einsatz, in ein verfahrenes Verfahren zum Verbot der NPD.

4. Globalisierte Verhältnisse

Der Mensch ist das Ensemble seiner gesellschaftlichen Verhältnisse. Das habe ich bei Karl Marx gelernt und verstanden. Ebenso, dass es nicht reicht, die Welt zu interpretieren. „Es kömmt darauf an, sie zu verändern!“ Nach der sogenannten Wende wurde mir klarer, dass es natürlich auch nicht reicht, auf die Gesellschaft und deren Verhältnisse zu verweisen. Dass es gelegentlich doch darauf ankommt, die Verhältnisse immer wieder neu zu interpretieren. Und dass - welche auch immer - Verhältnisse keine Entlastung für individuelles Nichts- oder Fehltun sind.

Gleichwohl bleibt die Frage nach den gesellschaftlichen Verhältnissen. Allemal unter den Bedingungen einer zunehmenden Globalisierung. Fast alle politischen Auseinandersetzungen laufen vor diesem Hintergrund. Auch der Rechtsextremismus bedient sich dieser Folie, indem er dumpfen Nationalismus mit der sozialen Frage zu einem brodelndem Gebräu mischt und als Ausweg preist - mit gefährlichem Erfolg.

Ich beschwere mich nicht bei den Rechten, dass sie einfache, zu einfache Antworten anbieten und so die Sorgen anderer und damit Andere missbrauchen. Meine Frage ist: Was sind unsere, was sind die linken Antworten, die massenhaft einleuchtender sind? Und wie bekommen wir sie so entwickelt und vermittelt, dass unsere Ideen im guten, im selbstbewegenden Sinn auch „die Massen ergreifen“?

Derzeit (er)greifen linke Ideen - sagen wir mal - erheblich zu wenig. Prof. Siegfried Jäger, Diusburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, war Referent und Diskutant auf der internationalen PDS-Konferenz „Für eine tolerante Gesellschaft - gegen Rechtsextremismus und Rassismus“. Sie fand vor fast genau einem Jahr, am 12. und 13. Mai 2001, im Rathaus Schöneberg statt.

Prof. Jäger gab damals zu bedenken, „dass Faschismus, Rechtsextremismus und Rassismus als Effekte von Diskursverschränkungen anzusehen sind, wobei das im engeren Sinne rassistische Wissen nur als ein Element einer diskursiven Konstellation anzusehen ist und nur als dieses eine Element Wirkung erzielen kann, wenn es sich mit anderen Diskursen verschränkt“.

Wer mich kennt, weiß: Ich liebe Sätze, die so klar und schlicht wirken, wie dieser. Allemal, wenn sie von Sprachforschern gelassen formuliert werden. Aber wer den Protokoll-Band nachliest, wird schnell merken: Prof. Jäger mahnt, das Thema nicht auf seine engere Begriffs-Welt - also Faschismus, Rechtsextremismus und Rassismus - zu beschränken. Sondern viel gründlicher in den Blick zu nehmen, was sich Drumherum rankt und viel breiter wirkt, als bei einem rechtsextremen Aufmarsch offenbar wird.

Ich spitze bewusst, aber mitnichten fahrlässig zu: Vieles von dem, was bei Rechtsextremen zum Exzess gedacht und gebracht wird, hat sein Fundament in weit verbreiteten Ansichten im „Normal-Volk“. Und es wird befördert.

Jäger zählte dazu alles, was die Bürgerinnen und Bürger zu absoluter Loyalität dem Staat gegenüber veranlasst und verwies als Beispiel auf Gen-Tests, die alsbald zur freiwilligen Pflicht werden könnten. Er sprach von Debatten über Frauen- und Familienbilder, die - wir erleben es aktuell - völkische Momente befördern. Und er mahnte, den allgemeinen Globalisierungs-Diskurs ernster zu nehmen, der um sich greifenden Depolitisierung durch vermeintliche Sachzwänge entgegen zu wirken.

Die Globalisierung endlich politisch zu begreifen und zu greifen, darüber sprach diese Woche auch Bundespräsident Rau in seiner dritten „Berliner Rede“. Sie liegt mir weitaus näher, als die „Ruck“-Rede seines Vorgängers Roman Herzog. Und doch spiegeln beide ein psychologisches Problem. Herzog vermittelte Entschlossenheit - mit falschem Ziel. Rau sprach von richtigen Herausforderungen, gilt aber als weniger kraftvoll.

Dabei reicht ein Blick über die europäische Landkarte. Die Zahl der Regierungen, die von Rechtspopulisten oder Schlimmeren geprägt werden, nimmt bedrohlich zu. Sie haben sich nicht ins Amt geputscht, sie wurden demokratisch gewählt. Frankreich stand zur Präsidenten-Wahl am vergangenen Sonntag gar vor der Alternative: verdeckt oder offen rechts. Und die Linke - zu schwach für sich selbst - musste ihre Anhänger mobilisieren, damit verdeckt-rechts, also Chirac, gewinnt und die offene Variante - Le Pen - verhindert wird. Klarer kann man einen gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck nicht illustrieren.

Gibt es deswegen einen europäischen Aufstand der „Anständigen“ und „Zuständigen“? Hierzulande gibt es noch ein paar Kommentare und Betrachtungen im Feuilleton - kaum mehr. Darüber sollte auch die Erklärung von Bundeskanzler Schröder nach seinem Treffen mit dem Premier von Großbritannien, Tony Blair, nicht hinweg täuschen. Solange es keinen Politik-Wechsel gibt, der die großen Fragen, wie soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie und Frieden im Sinne weltweiter Emanzipation aufgreift, solange haben Rechtspopulisten alle Chancen dieser Welt.

Dass die Schill-Partei nach ihrem Hamburger Durchmarsch zur Landtags-Wahl in Sachsen-Anhalt gebremst wurde, ist keine Entwarnung. Zumal sich mit Stoiber & Beckstein zwei größere Kaliber anschicken, bundesweit rechte Strategien hoffähig zu machen. Wie sehr CDU/CSU traditionell mit dem rechten Rand der Gesellschaft verwoben sind - historisch, im Geiste und strategisch - das belegt aktuell die Studie von Dr. Gerd Wiegel (Uni Marburg), die ich mit ihm jüngst namens der PDS-Fraktion in München vorstellte.

5. Gefahr aus der Mitte

Ich sprach über ungünstige Rahmenbedingungen und ich habe den mangelnden Anspruch der politisch Zuständigen kritisiert. Zu Recht, aber auch das greift zu kurz. Denn es suggeriert: Die falschen Zuständigen müssten nur durch richtige ausgetauscht werden.

Also noch mal zurück zu den Verhältnissen. „Rassismus und Rechtsextremismus - Der Streit um die Ursachen“, heißt ein Aufsatz von Birgit Rommelspacher. Ich las ihn in Vorbereitung auf den heutigen Abend.

Sie greift Untersuchungen auf, die sich mit der Frage beschäftigen: Welche sozialen Gruppen sind besonders anfällig für rassistische, nationalistische und rechtsextreme Gedanken? Und vor allem: warum? Methodisch ging es um zwei Gruppen: Benachteiligte der Gesellschaft und Nicht-Benachteiligte.

Das (Zitat) „auch für Forscher überraschende Ergebnis lautet“, schreibt die Autorin: Die Nicht-Benachteiligten, also jene, die was werden wollen oder all ihr Sinnen und Streben danach ausrichten, in dieser Gesellschaft etwas zu sein, die Nicht-Benachteiligten, also jene, die als was gelten und zugleich permanent um diesen Status fürchten, diese Nicht-Benachteiligten sind deutlich anfälliger für rassistische, nationalistische und rechtsextreme Auffassungen als jene, die in der Tat benachteiligt sind.

Es ist eine Untersuchung von vielen, aber sie korrespondiert mit Analysen, wonach Rechtsextremismus, Rassismus und Nationalismus beileibe kein Privileg Unterbemittelter und Weniggebildeter ist - im Gegenteil. Und sie mahnt: Die vorrangige Orientierung an Geld, Aufstieg und Status befördert rechtsextreme Einstellungen ebenso, wie die Betonung herrschender Fleiß-Normen und vermeintlich zivilisatorischer Übergröße.

Ich komme noch mal auf das Erfurter Attentat zurück und auf zwei der wenigen Artikel, die ich fand und die gegen den allgemeinen Strich bürsten. Einer stand in der FAZ, der andere in der TAZ. Beide streiften die Frage, warum Thüringer Schülerinnen und Schüler, die am Abitur scheitern, ohne Abschluss und damit ohne Anerkennung bleiben. Denn der Frust des Attentäters, von der Schule verwiesen, wird ja als ein Auslöser oder Motiv gehandelt. Beide Autoren gingen aber weiter:

Sie stellten aus unterschiedlicher Sicht das Abitur überhaupt in Frage: als Status-und-Auslese-Symbol. Sie attackieren damit Regeln und Normen der Leistungs-Gesellschaft, die von CDU/CSU ohnehin nicht, aber auch von Rot-Grün kaum noch kritisiert werden. Wer aber ein Schulsystem in Frage stellt, das Grundlage und Spiegel herrschender Normen ist, der denkt näher am club of rome, als an der bundesdeutschen Task-Force-Ankündigung der SPD-Bildungs-Ministerin.

6. Werte und Verhältnisse

Es muss in der Tat eine „Wertediskussion geführt werden“, meint Birgit Rommelspacher, eine anerkannte Expertin. Eine Werteprüfung, die den „Wohlstandschauvinismus in Frage stellt!“ Dazu gehören auch Vorstellungen, wonach „Deutsch“ bedeute: weiß, christlich-sozialisiert und abstammungs-würdig. Wir kennen diese Debatten. Ich erinnere nur an die grundgesetzwidrige These, die eine deutsche Leitkultur zum Maß aller Dinge macht.

Damit wäre wir aber wieder bei den Verhältnissen. Nicht bei irgendwelchen vom Rande, sondern beim Selbstverständnis der Mitte und bei politischen Leitbildern, die ständig reproduziert werden: durch die Politik, durch die Wirtschaft, durch das Rechtssystem, durch die Medien, im Alltag.

Schloss Biesdorf; Foto: Axel HildebrandtAusnutzende, Faule, aber auch Globalisierungs-Kritiker, Homo-Ehen oder überhaupt Gerechtigkeit - das alles sind Stichworte, die anders in die Debatte gehören, als es hofiert wird. Und nicht nur das. Eine Werte-Diskussion allein reicht natürlich nicht. Sie hätte ohnehin nur bei einer gleichzeitigen Veränderung der politischen Realität Bestand. Wir sollten sie nicht scheuen, sondern befördern.
 
Haben wir dazu den Mut, den komplexen Blick und den ausreichenden Atem? Wir brauchen dies alles - radikal, an die Wurzeln gehend. Denn was uns überhaupt nicht hilft, sind fragwürdige Wisser, Macher und Wegweiser, ist die Task-Force-Droge vorherrschender Politik!
 

 

 

15.5.2002
www.petrapau.de

 

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