Beratungen über die historische Mitte Berlins

15. Mai 2002, Berlin: Der Kabinettsausschuss Neue Länder der Bundesregierung beriet mit dem Berliner Senat über die Gestaltung der historischen Mitte in der Hauptstadt. „Bei der gemeinsamen Sitzung geht es unter anderem um den umstrittenen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses“, meldeten Agenturen. Eine Artikel-Übersicht, eine aktuelle PDS-Position zum Thema und eine Notiz von Petra Pau dazu finden Sie hier:

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Aktuelle Notiz: Schloss-Insel
von Petra Pau, 16. Mai 2002
 

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PDS fordert BürgerInnenforum in Berlins Mitte
Argument des Tages, PDS-Bundestagsfraktion, 14. Mai 2002
[rtf-Datei]
 

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Millionengeschenke für Berlin
Bund übernimmt Sanierung der Museumsinsel / Streit um die „Kanzler-U-Bahn“ beigelegt / Schröder: Hauptstadt in besonderer Notlage
Berliner Zeitung, 16. Mai 2002
 

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Schröder und Wowereit wollen Kommissionen zum Schloss und zur Hauptstadt
Das Zentralkomitee tagt
Süddeutsche Zeitung, 16. Mai 2002
 

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Bund bezahlt komplett Berliner Museumsinsel
Doch weitere Finanzhilfen für die Hauptstadt gibt es vorerst nicht
Neues Deutschland, 16. Mai 2002
 

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Baut das Schloss!
Bund und Senat beraten über das wichtigste Bauprojekt der Stadt
BZ, 15. Mai 2002
 

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Wenn der Kanzler mit dem Bürgermeister
Die Bundestagsdebatte über den Wiederaufbau des Berliner Schlosses wurde abgesagt
Die Welt, 15. Mai 2002
 

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Berlins Schloß muß ein Volkshaus werden
Ein Gespräch mit Julian Nida-Rümelin
Frankfurter Allgemeine, 15. Mai 2002
 

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Berliner Stadtschloß: Warum wurde die Bundestagsdebatte abgesagt?
Frankfurter Allgemeine, 15. Mai 2002
 

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Wo bleiben die Barockfassaden?
Süddeutsche Zeitung, 15. Mai 2002
 

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Schlossplatz nicht im Bundestag
Taz, 15. Mai 2002
 

Millionengeschenke für Berlin

Bund übernimmt Sanierung der Museumsinsel / Streit um die „Kanzler-U-Bahn“ beigelegt / Schröder: Hauptstadt in besonderer Notlage
Berliner Zeitung, 16. Mai 2002

BERLIN, 15. Mai. Die Bundesregierung wird dem hoch verschuldeten Land Berlin in größerem Umfang als bislang erwartet helfen. Dazu gehört die vollständige Übernahme der Sanierungskosten für die Gebäude auf der Museumsinsel. Die Museumsinsel sei ein „ganz großes Juwel“, sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am Mittwoch nach der gemeinsamen Sitzung von Bundesregierung und Berliner Senat.

Der Bund erkenne die finanzielle Notlage Berlins auf Grund der besonderen historischen Entwicklung der Stadt an, sagte Schröder. „Die Teilung hat Wunden gerissen, die noch nicht überwunden sind.“ Der Kanzler warnte jedoch die Hauptstadt davor, sofort neue Forderungen zu stellen. „Die Mentalität, wenn man gerade ein Problem gelöst hat, die nächste Forderung nachzuschieben, ist nicht sehr hilfreich“, betonte der Kanzler.

Bund und Land verständigten sich außerdem darauf, Grundstücke zu tauschen, damit Berlin das ehemalige DDR-Staatsratsgebäude erhält und dort die internationale Business School einrichten kann. Außerdem wollen der Senat und die Bundesregierung den Streit um die Finanzmittel für den vom Senat gestoppten Bau der U-Bahn-Linie 5 beilegen. Der Bund hatte für die so genannte Kanzler-Linie, die vom Alexanderplatz zum Lehrter Bahnhof verlängert werden sollte, rund 75 Millionen Euro bereitgestellt. Im Januar beschloss der neue SPD-PDS-Senat, das Projekt aufzugeben, obwohl schon 225 Millionen Euro verbaut wurden. Der Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags forderte daraufhin, dass Berlin die Bundesmittel zuzüglich Zinsen - insgesamt rund sechs Millionen Euro pro Jahr - zurückzahlen müsse. Man werde nun prüfen, ob der Baustopp endgültig sei oder das Projekt später noch realisiert werden könne, sagte der Bundeskanzler. Auf die Zurückzahlung der Gelder könne der Bund aber aus rechtlichen Gründen nicht einfach verzichten. „Wir bemühen uns aber, eine berlinfreundliche Lösung zu finden“, sagte Schröder.

Zur Gestaltung des Schlossplatzes im Bezirk Mitte fassten der Bund und der Senat noch keinen konkreten Beschluss. Die vorliegende Empfehlung der internationalen Experten-Kommission sei eine gute Grundlage, hieß es. Nun soll eine weitere Kommission eingesetzt werden. Diese müsse prüfen, ob sich der Vorschlag für den Neubau auf dem Schlossplatz realisieren lasse. Die neue Kommission brauche ein Jahr Zeit für ihre Arbeit und werde dann ein Nutzungs- und Finanzierungskonzept vorlegen, sagte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Dies bedeute auch, dass der Palast der Republik abgerissen werde. Wann dies geschehen soll, ist offen. Ob der geplante Neubau mit der Fassade des früheren Stadtschlosses errichtet wird, wie die internationale Kommission empfohlen hat, ist ebenfalls noch unklar. Die Fassadengestaltung sei abhängig von der künftigen Nutzung, sagte Wowereit.

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Schröder und Wowereit wollen Kommissionen zum Schloss und zur Hauptstadt

Das Zentralkomitee tagt
Süddeutsche Zeitung, 16. Mai 2002

Es wird eine neue Kommission geben. Wieder eine. Eine spezielle. Und am Ende noch eine. Eine Allgemeine. Das sind dann schon zwei. Doch der Reihe nach. Zuerst zur speziellen.

Nachdem eine Expertenkommission, die sich "Historische Mitte" nannte, ein Jahr lang darüber nachgedacht hatte, was aus eben jener Mitte werden soll, in der einst das Schloss der Hohenzollern stand, und die nach diesem Jahr zu dem Ergebnis kam, dass eben jenes Schloss wieder aufzubauen sei, wird es nun eine Kommission geben, die wieder ein Jahr lang darüber nachdenken soll, wie sich das eigentlich alles finanzieren lässt.

Darauf haben sich der Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit gestern geeinigt. Beide wirkten zufrieden, sie waren dem Ärger aus dem Weg gegangen. So wie es nun aussieht, geht es nicht mehr um Geschmack sondern ums Geld.

670 Millionen Euro, so hatte die Expertenkommission "Historische Mitte" ausgerechnet, würde es kosten, ihrer Empfehlung nachzubauen. Danach wäre der Palast der Republik, den die DDR an die Stelle des Stadtschlosses gebaut hatte, das sie 1950 sprengen ließ, abzureißen. Als die Kommission mit diesem Ratschlag Anfang März dieses Jahres an die Öffentlichkeit ging, war diese Öffentlichkeit, auch wenn sie im Ostteil der Stadt lebte, damit schon lange nicht mehr aufzuregen. Auch wenn Berliner SPD und PDS in ihre Koalitionsvereinbarung geschrieben hatten, dass erst ein Architektenwettbewerb darüber entscheiden solle, welche Teile des Palastes in einen Neubau integriert werden könnten. Die Stimmung war gekippt, die Berlin wollten Schloss machen.

Ideen, was in den hohlen Bau hinein zu stellen sei, gab es viele. Die außereuropäische Sammlung der Dahlemer Museen, die wissenschaftliche Sammlung der Humboldt-Universität, die Landes- und Zentralbibliothek. Man sprach von einer Agora, die den Charakter der Palastes, der zum großen Teil ja auch für alle offen gewesen war, aufnehmen sollte.

Doch mit dem Abriss des Palastes war klar, dass der Bau zur Spree hin eine neue Seite brauchte. Eine originalgetreue Rekonstruktion schien auch der Kommission nicht möglich. Sie empfahl ein Gebäude, das den alten Grundriss des Schlosses sowie seine Höhenverhältnisse nachempfinden sollte und wo möglich seine Fassade. Die Fassade spielte auch bei der Finanzierung des Ganzen eine gewisse Rolle, hatte doch die Kommission bereits Vorgespräche mit privaten Großanlegern geführt. Von denen schienen einige bereit sich an 670 Millionen Euro Baukosten zu beteiligen, gegen eine jährliche Dividende von zwei Prozent. Den Rest, den die Kommission auf etwa 230 Millionen Euro bezifferte, sollten sich Berlin und der Bund teilen.

Nach dem, was Schröder und Wowereit gestern miteinander besprochen haben, ist es unklar, ob es überhaupt einen Rest geben wird. So, wie es aussieht, wird gebaut werden, was die privaten Investoren bezahlen wollen. Mehr nicht. Für die neue Kommission gibt es nur die Vorgabe, die Stereometrie des Schlosses beizubehalten. Nutzung und Aussehen aber sind an die Finanzierung gekoppelt. „Ich werde nicht über die Fassade entscheiden“, sagte Schröder.

Das werden also die Privaten tun. Und der Architekturwettbewerb, der sich an die Arbeit der neuen Kommission anschließen soll, dürfte dann deren Wünsche nur noch hübsche Formen gießen können.

Nachdem Berlin nun beispielhaft gesehen hat, dass es bei der Arbeit von Kommissionen anfangs um große Fragen letztlich aber um kleine Antworten geht, ist nicht sicher, ob sich die Stadt darüber freuen sollte, dass der Kanzler gleich noch die Gründung einer weiteren Kommission anregte. Eine zur Hauptstadt. Im Allgemeinen.

Die Idee stammte von Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS), der im Wahlkampf gesagt hatte, man müsse grundsätzlich darüber nachdenken, welche Rolle die Hauptstadt haben solle. Ja, sagte Schröder gestern, dies sei ein „Vorschlag mit Hand und Fuß“. Die Kommission könne bei Bundespräsident Johannes Rau angesiedelt werden. Wowereit versprach, Rau zu fragen, ob er den Vorsitz übernehmen wolle.

Hätte Schröder gestern nicht noch zugestimmt, dass der Bund ab 2003 die Kosten für die Sanierung der Museumsinsel komplett übernehmen wolle, wäre für Berlin außer Kommissionen fast nichts Zählbares herausgekommen. Aber, sagte Schröder, Berlin solle nicht gleich die nächste Forderung nachschieben. Und so ging der Tag, an dem einige dachten, sie hätten bald das Schloss in der Stadt zu Ende mit einem Spruch über die Kirche, die man im Dorf lassen solle.

Marcus Jauer

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Bund bezahlt komplett Berliner Museumsinsel

Doch weitere Finanzhilfen für die Hauptstadt gibt es vorerst nicht
Neues Deutschland, 16. Mai 2002

Die Bundesregierung wird der finanziell angeschlagenen Hauptstadt unter die Arme greifen. Während einer gemeinsamen Sitzung von Bundeskabinett und rot-rotem Senat wurden gestern Berlin etliche Finanzhilfen zugesagt. Doch die sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Berlin (ND-Kammer). Der Bund wisse um die schwierige ökonomische Lage Berlins, sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nach der Sitzung. Die Teilung habe Wunden gerissen, die noch nicht überwunden seien. Forderungen nach einem noch stärkeren finanziellen Engagement des Bundes wies er jedoch zurück.

Zugesagt wurde, dass der Bund ab 2003 komplett die Baukosten für die Sanierung der Museumsinsel übernimmt. Bisher war Berlin an der Finanzierung zur Hälfte und in diesem Jahr noch zu 20 Prozent beteiligt. Die über eine Milliarde Mark teuren Bauarbeiten sollen im Jahre 2010 abgeschlossen sein. Auch der Neubau der S-Bahn-Linie 21 zum neuen Lehrter Bahnhof soll vom Bund finanziert werden. Entgegenkommen beweist der Bund auch beim Staatsratsgebäude, indem er es Berlin im Austausch gegen andere Grundstücke überlässt, damit dort eine Eliteschule der Wirtschaft angesiedelt werden kann.

Eine Entscheidung zur Bebauung des Schlossplatzes gab es nicht. Erneut wollen Bund und Berlin eine Kommission einsetzen, die die Nutzungs- und Finanzierungsvorschläge, die jüngst von einer Expertenkommission gemacht wurden, auf ihre Realisierbarkeit überprüft. Das werde etwa ein Jahr dauern, erklärten Schröder und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit. Danach soll es einen Realisierungswettbewerb geben. Klar sei, dass ein Gebäude in der Stereometrie des Stadtschlosses entstehen soll und der Palast der Republik abgerissen wird, sagte Wowereit. Die Frage, ob das neue Gebäude auch die barocken Fassaden erhalte, werde nach Vorliegen des Nutzungs- und Fianzierungskonzeptes entschieden.

Offen blieb auch, ob Berlin die bereits verbauten Bundesgelder in Höhe von 75 Millionen Euro für die Verlängerung der U-Bahn-Linie 5 zurückzahlen muss. Erst solle geklärt werden, ob der Bau endgültig gestoppt sei oder nicht, man wolle aber nach einer „berlin-freundlichen Lösung“ suchen, versprach der Kanzler.

Weitere Finanzierungswünsche aus der Hauptstadt wies Schröder zurück. Es sei nicht hilfreich, nach der Lösung eines Problems gleich die nächste Forderung nachzuschieben. Die von Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS) angeregte Hauptstadt-Kommission war kein Thema der Sitzung. Die Idee, die Funktion der Hauptstadt auf diese Weise klären zu lassen, hält Schröter aber für eine „gute Idee“. Er schlug vor, die Kommission beim Bundespräsidenten anzusiedeln, um sie nicht „ins Parteiengezänk hineinzuziehen“.

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Baut das Schloss!

Bund und Senat beraten über das wichtigste Bauprojekt der Stadt
BZ,15. Mai 2002

In der Mitte Berlins klafft eine Wunde. Wo nicht nur das Herz der Hauptstadt, sondern der gesamten Republik schlagen sollte, erstreckt sich seit der Sprengung der Stadtschloss-Ruine 1950 nur gähnende Leere.

Dazu gesellte sich vor 12 Jahren mit dem Beginn der Asbest-Sanierung des Palasts der Republik eine monströse Müllhalde.

Heute treffen sich Senat und Bund, um über das Ergebnis der Expertenkommission zur Bebauung des Schlossplatzes zu diskutieren.

Im April hatte die Kommission unter dem Vorsitz von Hannes Swoboda für einen Wiederaufbau des Hohenzollernschlosses votiert. Mit nur einer Stimme Mehrheit entschieden die Experten, dass die Bebauung sich an den Grundriss des Stadtschlosses halten und dem Gebäude nach Norden, Süden und Westen seine barocke Fassade wiedergeben soll (geschätzte Kosten: 767 Mio EUR.).

Wichtigster Punkt: Die Nutzung des Schlosses. Dort soll das Humboldt-Forum entstehen, das die außereuropäischen Sammlungen der Preußen-Stiftung, die wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Uni sowie Landes- und Zentralbibliothek in sich vereinigt. Dazu kommen Restaurants, Gästehäuser und repräsentative Räume für Regierung, Bälle und Konferenzen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder scheint dieser Empfehlung folgen und sich für einen Wiederaufbau einsetzen zu wollen.

Zwar will der Bundestag bereits morgen über das weitere Verfahren diskutieren, eine Entscheidung wird aber wohl erst in der nächsten Legislaturperiode gefällt.

Bis dahin wird uns in der historischen Mitte der Horror des Vakuums begegnen.

Doch das Schloss würde nicht nur diese Leere beenden. Es ist zudem der fehlende architektonische und symbolische Bezugspunkt der historischen Mitte, wo Dom, Oper und Humboldt-Universität mit dem Schloss einen Dialog zwischen Kirche, Kunst, Wissenschaft und Staat eröffnen.

Sie sind die tragenden Säulen der Gesellschaft, durch die ein Staat und seine Hauptstadt ihre Identität gewinnen. So können Berlin und Deutschland vom Wiederaufbau des Schlosses nur profitieren: kulturell, politisch und architektonisch.

Ergebnis der BZ-TED-Umfrage: 76,58 % wollen das Schloss

Die BZ-Leser hielten mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg: Am Dienstag zwischen 8 und 16 Uhr riefen 4488 Leser an. 3437 stimmten mit Ja, wollen das Stadtschloss in Berlins historischer Mitte wieder haben - also mehr als drei Viertel der Anrufer (76,58 %). 1051 Leser hingegen meinten, es solle keinen Schloss-Neubau geben (23,42 %).

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Wenn der Kanzler mit dem Bürgermeister

Die Bundestagsdebatte über den Wiederaufbau des Berliner Schlosses wurde abgesagt
Die Welt, 15. Mai 2002

Von Dankwart Guratzsch

Das Schloss in Berlin wird endgültig zum Politikum. Auffällig ist der Zeitpunkt: Ausgerechnet in der Anlaufphase des Bundestagswahlkampfes erreicht das Thema die höchste politische Ebene. Heute Abend kommt es zum „Clinch“ zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit. Die beiden SPD-Politiker wollten ihre Marschroute für die morgige Bundestagsdebatte festlegen. Dazu wird es aber nicht kommen. Denn die Debatte ist kurzfristig abgesagt worden - wohl wegen der heute tagenden Runde mit Schröder und Wowereit. Beobachter gehen davon aus, dass dabei möglicherweise bereits so weit greifende Entscheidungen fällen werde, dass sie die Bundestagsdebatte hinfällig machen könnten.

Schröder und Wowereit stehen unter Zugzwang. Denn nach jahrelangem Ringen hatte sich die CDU jetzt festgelegt. Sie wollte einen Entschließungsantrag einbringen, nach dem das Schloss, das die DDR-Führung 1951 sprengen ließ, in seinen originalgetreuen Fassaden wieder aufgebaut werden soll. Für die FDP hat Günter Rexroth einen ähnlich lautenden Antrag vorbereitet. Er erwarte die Zustimmung seiner Fraktion, so Rexroth zur WELT.

In der SPD dagegen sind die Diskussionen nicht beendet. Ihr Abgeordneter Peter Conradi, Präsident der Bundesarchitektenkammer, macht auf allen ihm zugänglichen Foren gegen einen Wiederaufbau des Schlosses mobil. Mit ihm wollen Teile der SPD-Bundestagsfraktion die Empfehlung der vom Bundestag eingesetzten Expertenkommission, das Schloss wieder aufzubauen, aushebeln. Stattdessen soll nun ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben werden, an dem zwar auch das historische Schloss „teilnehmen“ könne, der aber die Bebauung des Platzes mit einem „modernen“ Gebäude in den Vordergrund stellt.

Das Pikante daran: Conradi, der in seiner Partei die Rolle eines „Architekturpapstes“ beansprucht und maßgeblich den Bau des gläsernen Parlamentsaals in Bonn sowie den Umbau des Reichstages beeinflusst hat, war selbst Mitglied der Expertenkommission und hatte sogar deren Zusammensetzung mit bestimmt. Trotzdem hatte sich die Kommission zuletzt mehrheitlich für das Schloss ausgesprochen.

Trotz aller Bemühungen ist es Conradi bisher nicht gelungen, die gesamte SPD-Fraktion auf seine Seite zu bringen. Eine starke Gruppe mit dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse an der Spitze plädiert dafür, das Votum der Expertenkommission umzusetzen und das Schloss in seiner historischen Gestalt neu zu errichten.

Doch auch zwischen Schröder und Wowereit gibt es Dissens. Während der Bundeskanzler - wie vor ihm schon Helmut Kohl - seine Sympathie für das Schloss nie verhehlt und sogar verlangt hat: „Eine Fassade würde mir allerdings nicht reichen. Dann würde ich mir getäuscht vorkommen. Entweder - oder!“, kann sich Wowereit allenfalls ein Gebäude in den äußeren Abmessungen des Schlosses vorstellen. Über Fassaden und Innenausbau dagegen solle ein Architektenwettbewerb entscheiden. Nur in einem stimmen beide überein: Der Palast soll weg.

Vor ähnlichen internen Abstimmungsproblemen stehen die Grünen und die PDS. „Ich bin unverändert dafür“, so Gregor Gysi noch vor zwei Jahren als Abgeordneter der PDS-Bundestagsfraktion, „dass die eigentliche Herausforderung darin besteht, das alte Schloss wiederaufzubauen.“ Zu gleicher Zeit hatten die Grünen-Politikerinnen Antje Vollmer und Franziska Eichstädt-Bohlig ein Papier „pro Schloss“ aufgesetzt, das sie als „grüne Position“ bezeichneten, die auf „mehrheitliche“ Zustimmung in ihrer Fraktion rechnen könne.

Heute wird in beiden Parteien noch immer diskutiert. Während PDS-Abgeordnete wie die Sächsin Christine Ostrowski darauf beharren: „Das Schloss ist Baukultur und historisch wertvoll, ich war immer dafür, es wiederaufzubauen“, legt die PDS-Bundestagsfraktion unter dem Einfluss einer Gruppe um Petra Pau einen Entschließungsantrag vor, den Schlossplatz erst einmal „von den Rändern her zu reurbanisieren“ (was nichts anderes als eine Absage an das Schloss bedeutet). Bei den Grünen sieht sich Antje Vollmer einer Front gegenüber, die für einen offenen Architektenwettbewerb eintritt - laut Vollmer „ein Schritt zurück hinter das Votum der Kommission“.

Thierse und Vollmer - die beiden Präsidiumsmitglieder des Bundestages - treten nun für eine offene Abstimmung des Bundestages unter Aufhebung des Fraktionszwangs ein. Es wäre das erste Mal, dass der Deutsche Bundestag ein Bauprojekt nach der Gewissensentscheidung der Abgeordneten beschließt. Sollten sich dabei freilich die Anhänger eines „offenen Wettbewerbs“ durchsetzen, so würde das bedeuten, dass damit die Entscheidung über den zentralen Bauplatz des vereinigten Deutschlands erneut vertagt, nämlich nunmehr den Architekten zugeschoben wird. Möglich, dass Schröder und Wowereit dieser Variante durch eine schnelle Einigung den Garaus machen.

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Berlins Schloß muß ein Volkshaus werden

Ein Gespräch mit Julian Nida-Rümelin
Frankfurter Allgemeine, 15. Mai 2002

Der Bundeskulturbeauftragte erläutert seine Vorstellungen zu Rekonstruktion und Nutzung

Morgen wollte der Bundestag eigentlich über die Zukunft des Schloßplatzes entscheiden. Worum hätte es in der Debatte genau gehen sollen?

Nicht nur, wie man glauben könnte, um die Fassaden, um die Frage: altes Schloß oder ein Neubau. Sehr wichtig ist zunächst einmal das kulturelle Nutzungskonzept. Die Expertenkommission, der ich als ein Vertreter der Bundesregierung angehörte, hat eine ausgewogene Mischung gefunden aus den außereuropäischen Sammlungen, die ein Pendant zur Museumsinsel bieten, aus den wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität, der Bibliotheken, die Tausende von Besuchern anziehen wird. Folgt man dem Votum der Kommission, werden wir eine Traditionslinie fortführen, die im Palast der Republik wichtig war: nämlich die Idee der Agora, des Volkshauses. Man muß akzeptieren, daß der Palast der Republik in der Erinnerung vieler Ost-Berliner positiv besetzt ist. Die „Agora“ hat den Sinn, diesen Ort für eine Vielzahl von Veranstaltungen zu öffnen.

Die griechische Agora sah aber doch etwas anders aus als das Hohenzollernschloß. Architekten wie Axel Schultes haben Vorschläge für einen agoraartigen Schloßplatz gemacht, welche die Barockfassaden aufgreifen, aber statt der abweisenden Kastenform des Hohenzollernschlosses einen neuen, offenen Bau erfinden. Sind solche Vorschläge vom Tisch?

Die Empfehlung der Schloßplatzkommission heißt nicht, das Schloß wiederherzustellen, wie es einmal war. Sie heißt: Die Kubatur, drei historische Barockfassaden und einige Innenräume sollen rekonstruiert werden.

Mehr kann auch gar nicht rekonstruiert werden. Die Frage ist ja nicht: Schloß oder Neubau. Zumindest im Inneren und an der Spreeseite wäre auch das neue Barockfassaden-Schloß ein erkennbarer Neubau.

Das stimmt. Aber fast alle, die sonst moderne Architektur bevorzugen, werden an diesem spezifischen Ort nachdenklich. Hier geht es um eine städtebauliche Struktur. Wenn wir uns hier eine Architektur vorstellen, die von der städtebaulichen Figur des Hohenzollernschlosses weit abgeht - und das tut Schultes' Entwurf -, dann verändern wir die Gewichtungen, die es in der Mitte Berlins gibt. Deswegen bin ich für einen Bau in der Stereometrie des Hohenzollernschlosses.

Warum dürfen die Gewichtungen eigentlich nicht verändert werden? Die Stadt ist doch kein statisches, sondern ein lebendiges Gebilde - Schinkel selbst, auf dessen Raumkonzept sich die Rekonstrukteure beziehen, hat die Stadt radikal verändert.

Diese Argumente sind ernst zu nehmen. Aber es gibt ja diese Orte in Berlin: Der heutige Potsdamer Platz hat mit dem historischen fast nichts mehr gemein. Die Frage ist, ob dieses Argument an jedem Berliner Platz gleich gewichtig ist.

Die Bundestagsdebatte um das Schloß wäre nach Reichstagsverhüllung, Holocaust-Mahnmal, dem Erdtrog von Hans Haacke schon die vierte Entscheidung, in der Politiker - als Laien in diesem Punkt - über ästhetische Fragen entscheiden müssen. Überfordert sie das nicht?

Das ist ein sehr faszinierendes und sehr schwieriges Thema. In München ging es in den siebziger Jahren um die Frage: Soll der Stadtrat beim Kauf von Beuys' Installation „Zeige deine Wunde“ mitentscheiden? Dann gab es das große Debakel: Die CSU-Mehrheit im Stadtrat war dagegen, das Werk zu kaufen. Seitdem sind die Volksvertreter dort vorsichtig geworden mit direkter Entscheidung. Hier gibt es ein Spannungsverhältnis zwischen kulturpolitischem Gestaltungsanspruch in der Demokratie einerseits und der Eigengesetzlichkeit von Kunst und Ästhetik andererseits. Die Letztverantwortung bleibt immer bei den Volksvertretern, aber diese sollten sich soweit als möglich auf ästhetischen Fachverstand verlassen.

Aber auch Sie gehen mit der Expertenentscheidung zum Schloß nicht in allen Punkten konform.

In den meisten, aber nicht in allen. Sie wollen sicher wissen, wie ich zur Fassadenfrage stehe. Derjenige, der es nicht besser weiß, denkt bei einer so streng wie möglich rekonstruierten Fassade, es handele sich um das im Krieg vielleicht beschädigte wiederhergerichtete alte Hohenzollernschloß. Und dann tritt er ein und steht in einem im großen und ganzen modernen Gebäude. Das ist nicht schön. Das ruft die Kritiker auf den Plan, die darin eine Art Las Vegas sehen.

Aber wie soll man es dann machen?

Ich möchte nicht ausschließen, daß man eine Lösung findet, die sich an der Grundform des alten Schlosses orientiert, auch an der kleinteiligen Fassadenstruktur, aber die erkennbar etwas Neues ist. Die Empfehlung der Kommission läßt etwa den Gerkan-Entwurf - ein Gebäude mit einer modernen bedruckten Fassade, die von weitem betrachtet wie das Schloß aussieht - nicht mehr zu. Ich würde den Wettbewerb so ausschreiben, daß man das Nutzungskonzept festlegt - auch die teilweise Rekonstruktion des Schlüterhofes, der sicherlich das Wertvollste an dem alten Gebäude war -, daß man aber zuläßt, daß Architekten Alternativvorschläge einreichen dürfen. Und dann kann am Ende durchaus herauskommen, daß keiner dieser Alternativvorschläge überzeugt. Wenn die möglichst originalgetreue Rekonstruktion der Schloßfassade zwingend ist, dann wird sie das auch in der Konkurrenz zu anderen Entwürfen beweisen können.

Wenn Sie von einer Agora reden: Da gibt es noch einen Ort in Berlin, zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus, einen leeren Platz, der als Bürgerforum mit Läden, Museen für eine neue urbane Öffentlichkeit gedacht war. Machen Sie den Platz zur Chefsache, oder bleibt im Band des Bundes das klaffende Loch?

Das Forum ist sicher eine reizvolle, aber auch eine nicht ganz zu Ende gedachte Idee. Vielleicht ist der Platz vor dem Kanzleramt nicht geeignet als Ort der Begegnung, des Streites. Das ist auch eine Sicherheitsfrage: Was ist, wenn Staatsgäste kommen? Dann wird der Platz gesperrt.

Es gibt den Vorschlag, den Palast der Republik bis zu seinem Abriß als temporäres Ausstellungszentrum zu nutzen, in dem das Pariser Centre Pompidou Teile seiner Sammlung zeigen könnte. Werden Sie diesen Vorschlag fördern?

Ja, ich bin für eine geeignete temporäre Nutzung, das bedeutet jedoch nicht, daß mit einer übergangsweisen Nutzung der Abriß hintertrieben werden soll.

Die Fragen stellte Niklas Maak.

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Berliner Stadtschloß: Warum wurde die Bundestagsdebatte abgesagt?

Frankfurter Allgemeine, 15. Mai 2002

Der jahrelange quälende Diskussionsprozeß um das Stadtschloß in Berlin hat in den letzten Wochen eine plötzliche Eigendynamik entwickelt, die selbst schwerwiegend Politikverdrossene zu schwelgenden Hofdichtern der parlamentarischen Demokratie umzuschulen vermag. Als hätte unsere vor sich hin dämmernde Konsensrepublik nur darauf gewartet, daß einmal am Ende eines langen Diskurses kein Kompromiß steht, sondern eine klare Marschrichtung. Der Vorschlag der Expertenkommission Historische Mitte, auf dem Schloßplatz in Berlin den Palast der Republik abzureißen und statt dessen ein Gebäude in den Maßen des Stadtschlosses zu errichten, mit rekonstruierter Barockfassade und teilweise rekonstruierten Innenräumen, hat in den letzten Wochen immer mehr Anhänger gefunden.

Heute nun könnte tatsächlich der Startschuß zur Realisierung dieses kühnen Versuchs zur Stadtreparatur fallen: Das Land Berlin und der Bund sprechen über die Finanzierung der öffentlichen Bauausgaben in der Hauptstadt. Der Bund wird zum einen dem Vernehmen nach auch offiziell die komplette finanzielle Verantwortung für die Sanierung der Museumsinsel übernehmen. Anschließend wollen sich Schröder und Wowereit auf ein Verfahren zur Gestaltung des Schloßplatzes einigen. Wie es heißt, wollen beide Politiker die Empfehlung der Expertenkommission als Handlungsaufforderung ernst nehmen (F.A.Z. vom 12. Mai). Offenbar soll es dabei aber zunächst um den Abriß des Palastes der Republik und die grundsätzliche Entschlossenheit zu einem Gebäude in den Ausmaßen des ehemaligen Hohenzollernschlosses gehen. Meldungen, wonach sich Bund und Land bereits heute darauf festlegen wollen, auch den Vorschlag der Kommission zur Rekonstruktion der barocken Fassade zu übernehmen, wurden gestern wieder dementiert.

Das klingt etwas beunruhigend. Besonders dann, wenn man Klaus Wowereits Wort ernst nähme, bei der Gestaltung der Fassade müsse man „auf die Wünsche des Investors flexibel reagieren“. Es kann ja nun nicht sein, daß man einen schier unendlichen Diskussionsprozeß durch eine eigens eingesetzte Expertenkommission beenden möchte, die nach sorgfältiger Abwägung aller kunsthistorischer, symbolischer und urbanistischer Argumente zu dem Ergebnis kommt, die barocken Fassaden sollten wiederhergestellt werden - und dann wünscht sich ein Investor Klinker oder Fachwerkbalken, und man macht es so. Glücklicherweise können sich die Befürworter der Rekonstruktion der Fassade immer auf Schröder selbst berufen, der vor zwei Jahren beim Blick aus dem Übergangsdomizil Staatsratsgebäude laut darüber nachdachte, wie schön es doch wäre, auf das Schloß zu schauen anstatt auf einen Parkplatz.

Wie sehr die Eigendynamik der Debatte ihre eigenen Kinder frißt, zeigte sich gestern am späten Nachmittag. Eigentlich sollte am Donnerstag um 17.45 Uhr unter Tagesordnungspunkt 8 im Deutschen Bundestag dreißig Minuten lang die Empfehlung der Expertenkommission Historische Mitte debattiert werden. Von der CDU war Norbert Lammert als Redner vorgesehen, von der SPD Julian Nida-Rümelin, von der PDS Petra Pau. In der Debatte sollte ein Antrag in die Ausschüsse verwiesen werden, der eine Klärung der Finanzierung, der Nutzung und der Präzisierung des Architektenwettbewerbs verlangt. Diese Debatte wurde gestern nachmittag plötzlich abgesagt. Aus der SPD-Fraktion wurde dieser Zeitung mitgeteilt, vermutlich werde die Sitzung von Bund und Berlin am heutigen Mittwoch so konkrete Auswirkungen haben, daß der Antrag in der bisher vorgesehenen Form nicht mehr zeitgemäß sei. Die Debatte werde zu einem anderen Zeitpunkt nachgeholt.

Was diesen plötzlichen Sinneswandel bewirkte, ist nicht ganz klar, waren doch die Termine für die heutige und die morgige Sitzung seit Wochen bekannt. Man kann nur hoffen, daß die Absage der Debatte ein Zeichen der nochmals gesteigerten Dynamik ist - und nicht deren Gegenteil. Selbst Julian Nida-Rümelin, der bis zuletzt immer wieder Position gegen die Rekonstruktion bezog, vermag die Kehrtwende in der Diskussion nicht länger zu leugnen. Gegenüber dieser Zeitung sagte er gestern: „Fast alle, die sonst moderne Architektur bevorzugen, werden an diesem spezifischen Ort nachdenklich“ (siehe untenstehendes Interview). Er will in der Fassadenfrage mit einem Architektenwettbewerb die barocke Rekonstruktion gegen moderne Entwürfe ins Rennen schicken - aber seine Bedachtsamkeit zeigt, daß auch er nicht ausschließt, daß der Barock das einundzwanzigste Jahrhundert klar nach Haltungsnoten schlagen könnte.

Aber das gesamte ästhetische Faß sollte jetzt nicht noch einmal aufgemacht werden: Es ist Herausfoderung für die Moderne genug, die vierte Seite des Schlosses zur Spree hin angemessen zu gestalten, wie Dieter Bartetzko gestern an dieser Stelle dargelegt hat (F.A.Z. vom 14. Mai). Es muß jetzt zudem noch einmal mit aller Offenheit die Frage diskutiert werden, welchen Inhalt das Schloß bekommen soll, ob wirklich Bibliothek, Museum der außereuropäischen Sammlungen und private Nutzung - oder eventuell eben doch die Schätze der Gemäldegalerie. Wenn sich der Bund heute mit aller Entschlossenheit hinter die Empfehlungen der Schloßkommission stellt, wäre die Debatte einen weiteren, entscheidenden Schritt vorangekommen. Jedes Herumeiern und Aufschieben wäre jetzt fatal.

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Wo bleiben die Barockfassaden?

Süddeutsche Zeitung, 15. Mai 2002

Der Landmaschinenhändler Wilhelm von Boddien mit Hauptsitz in Bargteheide in Holstein blickt heute mit besonderer Spannung nach Berlin. Denn jetzt könnte es wirklich ernst werden mit Boddiens Vision vom Stadtschloss. Die mögliche Wiederauferstehung des Preußen-Gemäuers ist nämlich Thema der gemeinsamen Sitzung von Berliner Senat und Bundeskabinett. Wird es der entscheidende Tag für Boddien? Dann sind 20000 verkaufte Traktoren seit 1936 nichts dagegen!

Bundeskanzler Gerhard Schröder ist schon lange für ein Schloss in Originalgröße und mit barocken Fassaden, weil es dereinst „dem Volk was für die Seele geben“ könnte: „Ich habe nie einen Hehl aus meiner Vorliebe gemacht, das Stadtschloss wieder aufzubauen.“ Auch sein Staatsminister für Kultur, Julian Nida-Rümelin, schwenkte inzwischen auf Barock-Kurs ein: „Ich bin kein Gegner der Barockfassaden. Es kann durchaus sein, dass dies die beste Lösung ist.“ Bleibt noch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der bislang lieber einen modernen Bau auf dem Schlossplatz wollte. Er meint freilich auch: „Wenn ein Investor eine Schlossfassade bevorzugt, sollten wir flexibel reagieren.“

Für Wilhelm von Boddien vom „Förderverein Berliner Stadtschloss“, dürfte das fast nach Baugenehmigung klingen. Zumal der rastlose Schlossbefürworter glaubt, auch im Bundestag bereits eine Mehrheit der Abgeordneten vom Wiederaufbau überzeugt zu haben.

Dem Mann, der 1993/1994 eine riesige Stadtschlossattrappe auf dem Berliner Schlossplatz aufstellen ließ, ist sehr daran gelegen, dass seine große Mission auch seriös rüberkommt: So betont er gern, dass sein Verein von Schlossförderern und -spendern „zu 60 Prozent aus Akademikern“ sowie „namhaften Journalisten und Schriftstellern“ besteht. Von dem Vorwurf, ein Schlossneubau erinnere arg an Disneyland, will Boddien nichts wissen, stattdessen bringt er sein Stadtschloss als repräsentative Kulisse für die Gipfeltreffen der Staatschefs der Industrienationen ins Spiel. Auch unter Deutsch-Amerikanern in den USA startete Boddien eine Goodwill-Tour; zur Finanzierung des Schlosses plant er, spezielle Aktien aufzulegen.

Beruflich hatte der Kaufmann aus der Provinz draußen in der großen Welt nicht so richtig Erfolg. Seine Berliner Schlossattrappe aus Gerüststangen und bemalten Planen machte zwar einigen Eindruck, doch im Nachfolge-Job, als Chef der Marketinggesellschaft „Partner für Berlin“ konnte er kaum überzeugen. Boddien sollte Investoren nach Berlin locken und Werbung für die Hauptstadt machen. Er blieb nur von 1994 bis 1996 und galt parteiübergreifend als Fehlbesetzung.

Tatsächlich ist Boddien nicht immer geschmackssicher, wenn es um Werbung geht: „Im Grunde ist das Schloss so eine Art Traumschiff“, hat er in eigener Sache mal gesagt.

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Schlossplatz nicht im Bundestag

Taz, 15. Mai 2002

Die für diesen Donnerstag geplante Debatte im Bundestag zum möglichen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ist wieder abgesagt worden. Das teilte die Bundestagsverwaltung am Dienstag mit. Die Vorsitzende des Bundestags-Kulturausschusses, Monika Griefahn (SPD), sagte, die Debatte sei wegen ungeklärter Finanzierungsfragen um eine oder zwei Sitzungswochen verschoben worden. Das von der Expertenkommission „Historische Mitte“ empfohlene Finanzierungskonzept für einen Neubau auf dem Platz müsse erst geprüft werden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete dagegen, Kreise aus der SPD-Fraktion hätten die Ansicht geäußert, dass die an diesem Mittwoch angesetzte gemeinsame Sitzung von Bundeskabinett und Senat im Roten Rathaus möglicherweise bereits so weit greifende Entscheidungen fällen werde, dass die Bundestagsdebatte nicht wie geplant stattfinden könne.

DPA
 

 

 

16.5.2002
www.petra-pau.de

 

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