Sicherheit als sozialistisches Thema

aus der Rede von Petra Pau auf der Fachkonferenz der PDS-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern „Persönliche und öffentliche Sicherheit in Mecklenburg-Vorpommern“
am 6. April 2002 in Neubrandenburg

0.

In diesem Jahr geht eine Bundestags-Legislatur zu Ende. Ergo wird allerorten Bilanz gezogen. Was ist die innenpolitische Bilanz, also auch die von Bundes-Innenminister Schily?

Zur Bilanz gehören eine „doppelte Staatsbürgerschaft“, die sog. „Homo-Ehe“, eine angekündigte, aber nicht wirklich gewollte „Volksgesetzgebung“, denn ein entsprechender PDS-Antrag wurde abgelehnt, und noch das eine und andere.

Prägend aber wird wohl Dreierlei sein:
Erstens ein Einwanderungs-Gesetz: Es verrät die Schwarzschrift von CDU/CSU und hat folglich mit modernen, humanistischen und weltoffenen Ansprüchen fast nichts zu tun.
Zweitens ein NPD-Verbotsverfahren: Es steckt in der Klemme und offenbart derzeit mehr über die Inkompetenz der Zuständigen, als über wirksame Strategien gegen Rechts.
Drittens die sogenannten Anti-Terror-Pakete: Sie sind nicht nur „sogenannte“, sie haben tief in das Grundgesetz geschnitten und dieses ein weiteres Mal liberaler Grundsätze beraubt.

Aus linker, aus bürgerrechtlicher, aus humanistischer, aus libertärer Sicht ist die Bilanz von Otto Schily fatal. Aber es nicht nur seine Bilanz.

Die Bundes-SPD - nicht nur Schily - hat die Anti-Terror-Gesetze zu verantworten. Und auch Bündnis 90/Die Grünen waren als Bürgerrechts-Partei ein Ausfall. Was mich wiederum in meiner grundsätzlichen Meinung bestärkt:
Die PDS muss sich weiter entwickeln. Zu einer modernen, sozialistischen Bürgerrechts-Partei. Mehr noch: Zu einer anerkannten und gefragten sozialistischen Bürgerrechts-Partei.

Ich möchte zum Tagungs-Thema „Sicherheit“ in kurzen Thesen und an wenigen Beispielen umreißen, was ich für Fehlentwicklungen halte und was aus meiner Sicht Alternativen sein könnten.

(1)

Stichwort: Otto-Pakete - Annahme verweigert

Meine erste These lautet:
Innenpolitisch ist die Bundesrepublik seit 1998 nicht besser, sondern schlechter verfasst, als vordem.

Ich könnte das anhand der „Otto-Pakete“ im Einzelnen belegen. Sie umfassen immerhin rund 100 Gesetze und Verordnungen, die tiefer und repressiver in das Leben der Bürgerinnen und Bürger eingreifen, als die meisten ahnen. Was schon ein Problem für sich ist! Die PDS-Bundestags-Fraktion hat dazu extra eine kleine Broschüre „Sicherheits-Paket - Annahme verweigert“ herausgegeben.

Meine zweite These ist:
Läuft etwas grundlegend schief, dann nicht nur, weil sich Fehler summieren, sondern weil wichtige Grundlagen falsch sind oder falsch gedeutet werden.

Ich spreche also über das Grundgesetz, über Sicherheits-Philosophien, über den Schutz der Verfassung - was etwas anderes ist, als der Verfassungsschutz - und über das, was Bürgerinnen und Bürger von Sicherheits-Politik erwarten können.

(2)

Stichwort: Sicherheit und Grundgesetz

Am 20. Februar 2002 führte die SPD einen Kongress durch. Sein Titel: "Die Mitte Deutschland"; Hauptredner: Bundeskanzler und SPD-Vorsitzender Gerhard Schröder. Zur aktuellen Sicherheits-Debatte sagte er: „Nach unserem Verständnis von Kultur und Offenheit sind Freiheit und Sicherheit kein Gegensatz. Wir verstehen Sicherheit als Bürgerrecht.“

Das klingt wohltuend und gut. Es hat nur einen Haken. Der Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende hat mit seinen Worten den Boden und den Geist des Grundgesetzes verlassen. Denn im Grundgesetz ist aus nachvollziehbaren Gründen eben kein Grund- oder Bürgerrecht auf Sicherheit verankert.

Nicht etwa, weil Sicherheit ein unbedeutendes Gut wäre. Wir alle wollen sicher sein und uns sicher fühlen. Dabei ist der Staat ebenso in der Pflicht, wie sich jede Partei politisch unmöglich macht, die das Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger gering schätzt oder gar ignoriert. Was übrigens mit sozialistischer Politik so wenig zu tun hätte, wie die pseudo-linke These: ‚Alle Bullen sind Schweine'.

Das grundlegende Problem ist ein anderes: Es gibt einen Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit. Und dieser Konflikt lässt sich nicht einfach per Wortspiel auflösen. Jedenfalls nicht, ohne Bürger- und Freiheitsrechte preis zu geben. Es geht immer um eine Abwägung und die will wohl begründet sein.

Ganz deutlich wird das, sobald es um den Datenschutz geht. Jede Datensammel-Wut, ob privat oder staatlich, ob sicherheits-begründet oder kommerziell, bedeutet einen Eingriff in ein Selbstbestimmungsrecht, in ein Grundrecht. Gerade deshalb ist ja die CDU/CSU-These, „Datenschutz sei Täterschutz“, so kreuz-gefährlich. Sie ist ein verbaler Angriff auf uns alle und auf die Verfassung.

Und damit bin ich bei meiner dritten These:
Die „Otto-Pakete“ sind ein faktischer Angriff auf die Verfassung der Bundesrepublik.
Ein Kommentator der „Süddeutschen Zeitung“ bezeichnete sie als Abkehr vom Rechtsstaat. Ein Kommentator der „Berliner Zeitung“ charakterisierte sie als tiefgreifende Grundgesetz-Reform.

Der Kanzler-Schröder-Satz - Freiheit und Sicherheit seien kein Gegensatz -kommt übrigens bei der CDU/CSU noch weniger verbrämt daher. Dort heißt es: „Sicherheit ist die Voraussetzung von Freiheit!“ Zu Ende gedacht heißt das aber nichts anderes, als: Über und vor der Gesellschaft steht der Staats-Apparat, erst kommt die Sicherheits-Pflicht und dann die Bürgerrechts-Kür.

Genau das wollten die Schöpfer des Grundgesetzes nicht. Genau das ist in einem „real-sozialistischen“ Großversuch gescheitert. Genau das aber ist die reale Tendenz aktueller Sicherheits-Doktrin. Weshalb auch alle Bürgerrechts-Mahner sagen: "Stop! Prädikat - untauglich!"

(3)

Stichwort: Innere oder öffentliche Sicherheit

In den Sicherheits-Debatten der letzten Monate, auch in den Konferenz-Thesen dieser Tagung, spiegelt sich ein Streit. Oberflächlich betrachtet, scheint es um des Kaisers Bart zu gehen oder um ein belangloses Wortspiel. Genauer besehen öffnen sich zwei widerstreitende Sichten auf das Thema Sicherheit, zwei unterschiedliche Strategien. Die Begriffs-Paare heißen „innere Sicherheit“ oder „öffentliche Sicherheit“.

Die zwei wesentlichen Unterschiede werden am Beispiel schnell deutlich.
Der erste Unterschied: Ist von Innerer Sicherheit die Rede, dann heißen die dazugehörigen Stichworte: Grenzschutz, Kriminalamt, Geheimdienste, Justiz, Polizei. Öffentliche Sicherheit meint eine gesellschaftliche und komplexe Aufgabe. Zu ihren Stichworten gehören auch Bildung und Kultur, Stadtgestaltung und Jugendpolitik, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit, Prophylaxe und Katastrophenschutz, Transparenz und Demokratie, Wirtschaftspolitik usw., usf.

Ein Beispiel:
Alle Welt redet von mehr Sicherheit im Flugwesen. Gründliche Kontrollen, Flug-Marshalls, elektronische Überwachung und vieles mehr sind im Gespräch. Nach Ostern gab es am Flughafen Frankfurt/M. einen Kurzstreik der dort Sicherheits-Beschäftigten. Anlass waren neue Arbeits-Verträge mit durchschnittlich 20 % weniger Gehalt.

Gerade vor dem Hintergrund aller Szenarien, die nach den Terroranschlägen auf New-York und Washington am 11. September 2001 aufgemacht wurden, stellen sich da sofort ein paar Fragezeichen quer!

Dieselbe Unsicherheits-Rechnung ließe sich bei den meisten privaten Sicherheits-Firmen aufmachen. Sie trifft übrigens auch zu, wenn Ost-Feuerwehr-Leute schlechter entlohnt werden, als ihre West-Kollegen. Adlon-Sicherheit ist nun mal nicht zum Aldi-Preis zu haben!

Womit ich nur andeuten will:
Jene Parteien, die sich für besonders sicherheits-kompetent halten, das sind zumeist dieselben, die mit ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik stetig Unsicherheit produzieren. Nicht zuletzt, weil sie eine Zwei- und Drei-Klassen-Gesellschaft schaffen.

Der zweite Unterschied zwischen „innerer“ und „öffentlicher Sicherheit“ ist genauso grundsätzlicher Natur. Die Verfechter der "inneren" Sicherheit definieren diese analog zur „äußeren“ Sicherheit. Einmal hat der Staat mit seinen Instrumentarien Bedrohungen von Außen abzuwehren. Das andere mal hat der Staat mit seinen Instrumentarien Gefahren in seinem Inneren abzuwehren. Der Staat gerät so zum Zentral-Organ und in den Ruch eines Allmächtigen.

„Öffentliche“ Sicherheit aber schließt den Schutz des Bürgers vor dem Staat mit ein. Sie baut auf selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger, auf eine couragierte Gesellschaft. Und damit ich hier nicht nur fragwürdige Theorie referiere, zitiere ich aus dem Koalitionsvertrag, den die Berliner SPD und die Berliner PDS geschlossen haben.

„Öffentliche Sicherheit bedeutet neben dem Schutz vor Kriminalität als staatlicher Kernaufgabe auch den Schutz des Einzelnen und der Öffentlichkeit vor unverhältnismäßigen staatlichen Eingriffen...“

Werfen Sie einen solchen Satz in eine Sicherheits-Debatte im Bundestag. Ich garantiere Ihnen: CDU und CSU laufen schwarz über und würde wiederholen, was Otto Schily mir am Tag seines zweiten Anti-Terror-Gesetzes entgegen schleuderte: „Für Sie sind offenbar die Sicherheitsinstitutionen des Staates und nicht der Terrorismus die Gefahr!“

Kurzer Nebensatz:
Vielleicht verstehen Sie jetzt auch, warum ich eingangs immer so penetrant von der Bundes-SPD sprach. Denn zumindest im zitierten Teil des Berliner Koalitionsvertrages wird deutlich: Nicht jeder Sozialdemokrat ist ein Schily, und das ist auch gut so.

(4)

Stichwort: Sicherheit und Demokratie

Auch hier nur zwei Beispiele zur Illustration:

a) Nutz und Fromm von Geheimdienste bleiben umstritten. Linke und Bürgerrechtler, auch die PDS, gehen begründet davon aus, dass sie mehr schaden als nützen. Sie sind ihrem Wesen nach demokratie-untauglich. Sie führen ein unkontrollierbares Eigenleben. Und sie pendeln ständig zwischen ihrem eigenem Anspruch, ein Sicherheits- und Frühwarn-System zu sein, und der eigenen Praxis, die Straftaten fördert und belohnt. Jüngste Belege dafür liefert das laufende NPD-Verbots-Verfahren.

b) Ähnlich problematisch und demokratie-abträglich ist die bisherige Entwicklung auf EU-Ebene. Die viel zitierte Europol ist ja nur eine von mehreren Einrichtungen und Verfahren, die sich jedweder demokratischen Kontrolle entziehen. Das schafft Unsicherheit und nicht Sicherheit, allemal aus Blick der Bürgerinnen und Bürger. Denn wo man nicht durchblickt, da gedeiht Furcht. Das ist im finsteren Wald nicht anders, als im nebulösen europäischen Haus. Unsere Alternative zur national-bornierten Rechten ist daher nicht, Schotten zu, sondern Fenster auf.

Deshalb bleibe ich dabei: Wer mehr Sicherheit will, muss auch mehr Demokratie wagen. Und dazu gehört eine EU-weite Verfassung.
Mit ihr muss auch die europäische Sicherheits-Politik endlich demokratischen Spielregeln unterworfen und Transparenz geschaffen werden.

Ein Konvent ist berufen. Die einzige Vertreterin der europäischen Linken kommt übrigens von der PDS. Es ist Sylvia-Yvonne Kaufmann. Unsere Forderung bleibt und sie ist auch (noch) realistisch: Eine EU-Verfassung muss Sache der Völker sein. Sie bedarf daher endlich einer breiten Diskussion und schließlich einer Völker-Abstimmung zur nächsten EU-Wahl.

(5)

Stichwort: Technik und Sicherheit

Sie kennen die inzwischen übliche Veranstaltungs-Ansage: „Schalten Sie bitte ihr Handy aus!“ Ich frage nur schlicht: „Warum tragen Sie eigentlich ihre eigene Wanze und ihre elektronische Fußfessel mit sich herum?“ Wir alle tun es und die inzwischen geltenden Gesetze heißen das cool und billig.

Denn wir bezahlen ja sogar noch Monatsraten dafür, dass wir übers Handy erspäht und belauscht werden können, dass unsere Kontakte und Interessen via Internet ebenso nachlesbar sind, wie unsere e-mails und Faxe.

Das ist der Preis des Fortschritts, heißt es. Dass er so hoch ist, liegt aber nicht an der Technik, jedenfalls nicht allein. Hinzu kommen staatliche und kommerzielle Begehrlichkeiten. Sie werden politisch eher hofiert, als begrenzt.

Mein Vorschlag lautet seit langem:
Jede Pille wird mit Begleitzetteln zu Nebenwirkungen verpackt. Jedes Lebensmittel soll künftig Verbraucher-Hinweise ausweisen. Genauso sollten auch Handys, Computer usw. wenigstens den Hinweis aufzeigen: „Ihr Datenschützer warnt…!“

Vor ein-einhalb Jahren gründete sich in Sachsen-Anhalt eine bundesweite PDS-Arbeitsgemeinschaft "Demokratie und Menschenrechte". Tags zuvor gab es ebenfalls in Halle/Sa. eine Podiumsdiskussion. Wir wurden, gerade vor dem Hintergrund technischer Entwicklungen, gefragt, ob jetzt "Big Brother", also der totale Überwachungs-Staat, drohe. Ich hielt mich damals zurück. Der Landesbeauftragte für Datenschutz Sachsen-Anhalts, ein SPD-Mitglied, nicht. Er antwortete damals kurz und klar: „Ja!“

Das war lange vor dem "11. September", der so vieles begründen soll. Aber es korrespondiert mit der Frage von Prof. Dr. Narr (FU Berlin):
„Wie kommt es nur, dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung, von den eingeschüchterten Ausländern ganz zu schweigen, auf diesen Abbau der Grund- und Menschenrechte nicht reagiert... Obwohl all diese Gesetze nichts für ihre Sicherheit erbringen werden?“

(6)

Stichwort: Sicherheits-Kompetenz

Ich habe vorhin die Frage der Kompetenz berührt. Gelegentlich hält sich das Gerücht: Konservative Parteien seien besonders prädestiniert, wenn es ums Geld, um die Wirtschaft und um die Sicherheit geht. Linke hingegen seien gut fürs Soziale, fürs Gerechte und fürs Demokratische.

Ich finde, das ist doppel-falsch. Falsch in der Sache, weil alle diese Felder zusammen spielen, wenn es um Sicherheit geht. Aber auch falsch in der Wahrnahme, denn es sind vor allem linke Bewegungen und nicht die Becksteins, Schills oder Schilys, die einen komplexen Sicherheits-Ansatz verfolgen.

Letztere haben einen verengten, repressiven, staatsmächtigen Sicherheits-Blick. Ich plädiere für einen weiten, progressiven, bürgerrechtlichen, kurzum, für einen zivilisatorischen Ansatz. Wir sollten also unser Licht nicht unter den Scheffel, sondern vielmehr unsere Angebote öffentlich zur Diskussion stellen. Diese Konferenz ist dafür - mit Sicherheit - eine gute Gelegenheit.
 

 

 

6.4.2002
www.petrapau.de

 

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