Fragwürdiges Fragment

Gastkolumne von Petra Pau im „Neuen Deutschland“ vom 2./3. März 2002

Erinnern Sie sich noch? Die aktuelle Debatte um ein Einwanderungsgesetz begann mit Stichworten: „Doppel-Pass“, „Green-Card“, „Leitkultur“. Und mit einer Einsicht, die bis in CDU-Kreise hinein gelangt war: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Einwanderungsland. Was fehlte, war ein modernes Einwanderungsrecht. Eines, das die Erfahrungen vergangener Jahrzehnte annimmt, eines, das sich an internationalen Standards orientiert, eines, das humanen Ansprüchen genügt.

Zum Rückblick gehören Lehren der 60er Jahre. Damals wurden Arbeitskräfte für die bundesdeutsche Wirtschaft angeworben, aus Jugoslawien, Italien, der Türkei und weiteren Ländern. Doch wehe! Bald hieß es: Wir wollten Arbeitskräfte, es kamen aber Menschen! Heute lautet die Botschaft zuweilen: Menschen wollen wir nicht, bestenfalls „Computer-Inder“.

In der DDR gab es zwar weniger, in der Sache aber ähnliche Erfahrungen. „Vertrags“-Arbeiter aus Vietnam, Mosambique oder Cuba gastierten, zur Ausbildung oder als Fachleute. Nur Landsleute durften sie nie werden.

Eine zentrale Frage in der laufenden Einwanderungsdebatte heißt also: Gelingt ein Paradigmenwechsel? Schaffen wir ein (Bürger-)Recht, bei dem nicht die Verwertbarkeit, sondern das Menschsein im Vordergrund steht? Eine zweite Frage: Sucht die ach so moderne, reiche und starke Bundesrepublik Deutschland Anschluss an internationale Normen oder verharrt sie in einem Zustand, der im Staatsbürgerschaftsrecht aus dem vorvorigen Jahrhundert stammt und Blutsbande hofiert? Und drittens: Werden die willkürlichen Regeln abgeschafft, die nichtdeutsche Bürgerinnen und Bürger noch immer zu Menschen niederen Ranges degradieren?

Fürwahr, eine lohnende und eine überfällige Aufgabe, die flugs auch zu einem zentralen Reformprojekt von „Rot-Grün“ ernannt wurde. Eine Arbeitsgruppe ward eingesetzt, die „Süssmuth-Kommission“. In ihr bündelte sich Sachverstand aus vielen gesellschaftlichen Spektren: Wissenschaftler, Kirchenleute, Gewerkschafter, Bürgerrechtler, Sozialarbeiter, Rechtskundige. Auch die PDS fand, wie andere Parteien, Gehör. Das Expertengremium gab schließlich Empfehlungen ab. Ich teile sie nur bedingt, die PDS hat einen anderen Ansatz. Aber vielleicht sagt das Urteil von Rita Süssmuth noch mehr darüber, wie beratungsresistent Bundesinnenminister Schily zumeist ist. Und wie kniefällig inzwischen die stets knirschenden, aber zustimmenden Grünen sind. Im vorliegenden Einwanderungsgesetz, meint die liberale CDU-Politikerin, seien „noch wichtige Elemente vorhanden, aber weit zurückgenommen.“ Am Ende der dreijährigen Debatte steht also ein fragwürdiges Fragment.

Es wurde gestern dennoch im Bundestag verabschiedet. Mit der Mehrheit, die SPD und Grüne aufbieten können. Die Opposition zur Rechten stimmte mit Nein, aus taktischen Gründen. Die Opposition zur Linken votierte mehrheitlich dagegen, aus sachlichen Gründen. Nun ist der Bundesrat gefragt. Denn die Länder haben ein Mitspracherecht. Und langsam schwant es sogar dem Bundesinnenminister, dass er auf dem linken Ohr taub ist. Die bislang gewohnte Teilung in A- und B-Länder – je nachdem, ob sie von der SPD oder von CDU/CSU dominiert sind – ist nämlich passé. Inzwischen gibt es zwei Bundesländer, in denen die PDS mitregiert. Womit ein dritter, neuer Faktor im Bundesratskalkül ist: C-Länder.

Zu den Spielregeln: Sind sich Koalitionsparteien einig, dann gibt es ein klares Ja oder Nein. Sind sie uneins, dann enthält sich das jeweilige Land bei der Bundesrats-Abstimmung, was de facto wie ein Nein zählt. Im konkreten Fall heißt das: Die CDU/CSU-Länder sind auf Blockadekurs. Die PDS hält das Einwanderungsgesetz für verfehlt. Also droht einem weiteren „zentralen Reformprojekt von Rot-Grün“ ein flinkes Ende.

Es sei denn, es gibt noch Verbesserungen, vertretbare. Die PDS in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin hat einen 10 bzw. 11 Punkte umfassenden Katalog beschlossen, ein Verhandlungsangebot an die jeweiligen SPD-Partner. Dabei wird sich zeigen, ob die C-Länder eine gute Sperrminorität oder eine bessere Gestaltungsoption sind. Nicht für Otto Schily, sondern für die betroffenen In-, Aus- und Mitländer, also für uns alle.

 

 

2.3.2002
www.petrapau.de

 

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