Rede auf der Föderalismus-Konferenz der PDS am 26. Januar 2002 in Berlin-Schmögwitz | ||||
0. Berlin-Hamburger-Dialog Berater für Rhetorik mahnen immer wieder.
Beginne eine Rede ja nicht mit dem, was Du nicht oder nur ungewiss weißt.
Im Gegenteil: Erwecke stets den Eindruck großer Kompetenz.
Verheiße einen Sachverstand, der über viele Jahre gereift ist.
Das mache Eindruck und schaffe Erfolg.
1. Rostock weiter denken Nun gebe ich es doch zu: Probleme des bundesdeutschen Föderalismus haben mich damals, also 1995/96, kaum interessiert oder positiv gesagt: erstmals bewusst ereilt. Und das auch noch in einer verkürzten Version, der territorialen Neugliederung-Ost. Eine Frage, die ganz anders inspiriert, wenig später Eingang in ein Parteitags-Dokument der PDS fand - ins Rostocker Manifest. Das wurde zuweilen dümmlich als Rückfall der PDS auf den Osten kommentiert. Dabei hatte es gerade das Gesamtdeutsche im Blick und die Frage: Stimmen die Strukturen und Entscheidungs-Linien noch, die 45 Jahre lang die Bundesrepublik-alt geprägt haben, aber nun mindestens drei Neuerungen ausgesetzt sind: Dem Anschluss oder Beitritt der sogenannten neuen Bundesländer, den immer mehr greifenden Globalisierungs-Tendenzen und dem
Egal, ob es stimmte: es ist vorbei. Mit dem Rostocker Manifest - für einen zukunftsfähigen Osten in einer gerechten Republik, so heißt der Lang-Titel, ging es auch um die Fragen: Wir können im föderalen System die dezentralen Strukturen gestärkt werden? Und wie können den Ländern und Kommunen mehr Spielräume für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit und des sozial-ökologischen Umbaus eröffnet werden. Das war eine Frage und zugleich ein zentraler Ansatz, mit dem sich die PDS dem Thema Föderalismus nähert. Die Frage wurden in der PDS hie und da untersetzt, auch weiterbearbeitet, aber eben nicht komplex und auch nicht konsequent. Erst seit rund 1 ˝ Jahren ist der Föderalismus für die PDS eine ressort-übergreifende Herausforderung. Seitdem gibt es einen Arbeitskreis, der - jetzt folgt die Betonung - arbeitet. Und die zweitägige Beratung an diesem Wochenende soll uns einen guten Schritt voran bringen. 2. EU Referendum Zu der bereits aufgeworfenen Frage, nämlich ob die föderalen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland überhaupt noch zeitgemäß sind, gesellt sich eine weitere Ebene: Entscheidungs-Kompetenzen und Gestaltungs-Ressourcen entschweben in immer fernere Regionen. Sie entschwinden so jedem Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung. Spätestens hier geht es nicht mehr um ein Ost-, sondern um ein linkes, um ein liberales, um ein demokratisches Thema schlichtweg. Um es am Beispiel zu verdeutlichen: Wenn auf EU-Ebene Regeln vereinbart werden, die national den Handlungsrahmen schränken und zugleich Soziallasten mehren, dann landen diese in aller Regel bei den Kommunen, bei zunehmend verschuldeten, hilflosen und fremdbestimmten Städten und Gemeinden. Das aber war nie das Grundanliegen einer föderalen Bundesrepublik. Und unabhängig vom Grundanliegen, es ist auch nicht zukunftsfähig. Im Gegenteil: Solcher Art Entfremdung oder auch Hilflosigkeit spielt rechten Kräften zu, die längst auf der nationalistischen Klaviatur soziale Heils-Lieder spielen. Übrigens wissen die meisten Leute nicht, in welchem Umfang Entscheidungen längst auf EU-Ebene geregelt werden, sie betreffend, aber sie nicht einbeziehend. Als Mitglied des Innenausschusses im Bundestag bekommt man jedenfalls eine Ahnung von den Dimensionen, zumindest anhand der EU-amtlichen Postberge, die zur Kenntnisnahme durch die Ausschüsse gewunken werden. Es gibt also aktuelle und grundsätzliche Momente, die das Thema Föderalismus auf die Tagesordnung drängen. Übrigens auch als Struktur und Verfassungsfrage der Europäischen Union. Denn wir erinnern uns gut: Vor einem reichlichen Jahr wurde die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verabschiedet und beklatscht. Seither ist es um die Verfasstheit der Europäischen Union wieder lausig still geworden. Deshalb gebe ich auch noch mal zu bedenken, was die PDS damals forderte. Zitat Sylvia-Yvonne Kaufmann, MdEP):
3. Regionen stärken Ich rufe eine weitere Überschrift auf und bitte damit - virtuell - Ralf Dahrendorf in die Debatte. Dahrendorf vermutet eine massive Gegentendenz zur Globalisierung und meint: Wenn nicht alles täuscht, ist diese mehr als ein letztes Zucken der Kräfte der Vergangenheit. Diese Gegenbewegung besteht in der entschiedenen Wendung hin zu kleineren Räumen als den Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts. Anders gesagt: Dahrendorf vermutet, dass den Regionen künftig eine größere Bedeutung zuwächst. Er sieht das als Zukunftsfrage, nicht als etwas rückwärts Gewandtes. Und er vermutet, dass beide Tendenzen, die Globalisierung und der Drang nach regionaler Integration, zugleich stärker werden. Beide könnten außer Rand und Band geraten, schreibt er. Außer Rand und Band klingt wie Omas Kinder-Klapps. Aber so harmlos meint er es nicht und so harmlos ist es auch nicht. Ohne hier Beispiele einzuführen - die Debatte gibt dafür sicher mehr Raum - glaube ich: Dahrendorf hat Recht: Die Globalisierung entwurzelt und die althergebrachte Verwurzelung, sei es in der Familie, im Kiez oder im Dorf, in der Region oder im Land geben immer weniger Halt. Was keine individuelle, sondern eine gesellschaftliche, eine politische Herausforderung ist, allemal für linke Politik. Auch dabei reicht es nicht, verbal harsch und vermeintlich konsequent das Unwesen des Kapitals zu kritisieren. Alle Prinzipien, auch linke, brauchen ihre Untersetzung, ihre Machbarkeits-Studien. Wir haben im Mai 2000 ein Diskussions-Papier mit dem provokanten Titel Die Alternative liegt vor uns unterbreitet. Auch darin findet sich ein Bezug zum Spannungsfeld Globalisierung - Regionen - Föderalismus. Und wie bei der PDS üblich, beginnt die Passage mit einer einfachen Frage:
4. Föderale Leitbilder Der Begriff Föderalismus mag dröge klingen und in der Alltagspolitik findet er kaum Erwähnung. Für die BILD-Zeitung ist er zu lang, für die Harald-Schmidt-Show wahrscheinlich zu unerotisch und für andere zu abstrakt, um damit Quote zu machen. Und doch ist er präsent und er wird viel häufiger berührt, als hie und da wahrgenommen wird. Dieser Tage wurde eine Bundesstiftung für Kultur eingesetzt, obwohl Kultur doch als Ländersache gilt. Das "Zentral-Abitur" ist eine wieder kehrende Forderung. Auch sie wäre ein Eingriff in die Länderhoheit. Begehrlichkeiten rund um die sogenannten Anti-Terror-Pakete berühren föderale Grundstrukturen substanziell. Und natürlich betrifft die Aushandlung des Länder-Finanzausgleiches das Thema unserer Tagung besonders tiefgreifend. Vor zwei Jahren wurde ja sogar die Luft zentralisiert und als potentiell bewegte Sache versteigert. Ich meine die UTMS-Lizenzen, deren Erlöse ausschließlich in Eichels Bundes-Kasse landeten. Ich will die angeführten Beispiele nicht bewerten, sondern lediglich illustrieren, dass sich hinter dem Abstraktum Föderalismus sehr viel Konkretes bewegt.
Grundsätzlich hat sich dieser Ansatz bewährt. Allerdings haben sich inzwischen Rahmenbedingungen geändert. Immerhin geht es inzwischen um ein halbes Jahrhundert in einer schnellen und umbrechenden Zeit. Deshalb rufe ich drei wesentliche Aufgaben in Erinnerung, die mit dem föderalen Ansatz verbunden sind oder waren. Sie haben übrigens Verfassungs-Rang. a) Es geht um gleichwertige Lebensbedingungen in allen Bundesländern, weshalb regionale Benachteiligungen auszugleichen sind;
Wie dies Anfang des 21. Jahrhunderts gestaltet werden kann - und ob überhaupt - darauf geben die relevanten Parteien unterschiedliche Antworten.
CDU:
CSU:
FDP:
Grüne:
Wir sagen, auch als Motto dieser Tagung: PDS:
5. Politik statt Kapitulation Ich streite jetzt nicht darüber, ob unser Motto prickelnder ist, als das anderer Parteien. Aber es steckt ein Konzept dahinter, das sich unterscheidet.
5. Struktur-Übel Betrachten wir uns die Entscheidungs-Abläufe im partei-politischen Feld, dann werden Defizite und Konstruktions-Fehler offenbar. Ich versuche sie von den Folgen und Wahrnehmungen her zu beschreiben. a) Immer mehr Entscheidungsprozesse bleiben undurchsichtig,
sie sind also wenig transparent und noch weniger nachvollziehbar;
6. Finale Es geht uns um die Modernisierung eines kooperativen Föderalismus. Jedenfalls haben wir uns unter dieser Überschrift ein Tagungs-Ziel gesetzt. Deshalb will ich noch mal Überschriften setzen, was sich dahinter alles verbirgt und zu diskutieren bleibt:
Begonnen hatte ich mit einer Episode aus den Jahren 1995/96. Und mit Ratschlägen, die zuweilen von Rhetorikern kommen. Nach vorn und zugleich besorgt möchte ich mit einem Nach-Denker schließen, mit einer Mini-Geschichte aus dem aktuellen Konzert von Hermann van Veen. Und die geht sinngemäß so:
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26.1.2002
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