Rechtsextremismus und Terrorismus

Rede auf dem Ehren-Kolloquium für Norbert Madloch
aus Anlass seines 70. Geburtstages (18. bis 20. Januar 2002)

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Genossinnen und Genossen,
lieber Norbert,

0. Es ist in der PDS durchaus guter Brauch, Jubiläen in Form von Kolloquien zu begehen. Dass dieses dem 70. Geburtstag von Dr. Norbert Madloch gewidmet ist und dass es sich folglich dem Thema „Rechtsextremismus und Antifaschismus am Beginn des 21. Jahrhunderts“ zuwendet, das finde ich außerordentlich richtig und wichtig.

Auch deshalb habe ich mich über die Einladung gefreut und ebenso über die Möglichkeit, hier reden zu können. Ich danke daher den Veranstaltern, natürlich der Rosa-Luxemburg-Stiftung, aber ich möchte hier auch bemerken, dass die Bundestagsfraktion sofort bereit war, als Mitveranstalter auf zu treten, weil, lieber Norbert, wir wissen, was wir an einander haben. Und deshalb gratuliere ich Dir, auch wenn es schon ein paar Tage her ist, lieber Norbert Madloch, noch einmal ganz herzlich und mit Dank.

1. Schon in den ersten Dokumenten der sich erneuernden PDS 1989 / 90 ist nachzulesen, dass sich die Partei des Demokratischen Sozialismus als „antifaschistisch“ definiert.

„Selbstverständlich“ mag man sagen. Aber so von selbst ist nichts verständlich, schon gar nicht ohne Selbst-Verständigung über „alte und neue Fragen“, wie es in der Tagungseinladung heißt.

Ich sage dies auch im Rückblick. Noch immer trifft man unter „Linken“ auf vereinfachende Antworten. Etwa, dass kapitalistische Gesellschaften immanent zum Faschismus neigen, während sozialistische ebenso natürlich davor gefeit seien.

Was oberflächlich ist. Ebenso wie der Ruch, der dem Wort vom „verordneten Antifaschismus“ anlastet, oder die Verkürzung, die in der Losung steckt: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“

2. Nun will ich das selbstverständliche Selbstverständnis der PDS überhaupt nicht in Frage stellen - im Gegenteil, es ist für eine Partei des Demokratischen Sozialismus auch Grund legend.

Hinzu kommt: Im Selbstverständnis anderer demokratischer Parteien ist es keineswegs selbstverständlich, auch das historisch-verpflichtende Adjektiv „antifaschistisch“ anzunehmen.

Im Gegenteil: Noch immer gilt „Antifaschismu“ hierzulande eher als Negativwort für die Suchmaschinen von Verfassungsschutz-Ämtern und eben nicht als gesellschaftlicher Wert.

Dies zu wenden bleibt eine vielschichtige und komplexe Aufgabe. Der Antrag der PDS-Fraktion im Bundestag, eine antifaschistische Klausel ins Grundgesetz zu schreiben, kann da nur ein rechtliches Mosaik-Steinchen sein. Und natürlich ein Stein des Anstoßes für weiterführende gesellschaftliche Debatten.

Übrigens auch innerhalb der PDS. Wir kennen die Kontroversen, sobald es um Ursachen faschistischer Bewegungen und um gesellschaftliche Gegenstrategien geht.

Norbert Madloch gehört zu jenen, die diese Debatten immer wieder versachlicht haben und die einen wissenschaftlichen Beitrag leisten, der weit über die PDS hinaus weist. Er ließ nicht zu, dass neuen Fragen mit alten Antworten ausgewichen wird. Und er schärfte so auch manchen Blick, der durch linke -ismen getrübt war.

3. Das Kolloquium ist mit „Rechtsextremismus und Antifaschismus am Beginn des 21. Jahrhunderts“ überschrieben.

„Rechtsextremismus“ existiert real, er ist eine anhaltende Bedrohung für die Gesellschaft und er stellt in seiner gewaltbereiten Ausprägung für viele auch eine individuelle Gefahr für Leib und Leben dar.

Letzteres will ich nur anhand weniger Zahlen illustrieren:

Allein bis Oktober 2001 hatte die Polizei bundesweit, in Ost wie in West, insgesamt 9.493 rechte Straftaten registriert, darunter rund 550 Gewalttaten. Ob damit das ganze Ausmaß erfasst wurde, darf zu Recht bezweifelt werden.
Die Zahlen stammen aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Ulla Jelpke.
Aber allein diese Zahl sagt, dass täglich in Deutschland 32 politisch-motivierte Straftaten bekannt werden, die auf das Konto „Rechtsextremismus“ gehen - oder jede Stunde mehr als eine, Tendenz steigend.

Geradezu gegenläufig ist die öffentliche Wahrnehmung und die veröffentlichte Auseinandersetzung dazu.

Nachdem die gesellschaftliche und politische Debatte im Frühherbst 2000 einen - ich benutze bewusst das Wort - Boom erlebte, der mit dem Verbotsantrag gegen die NPD endete, herrscht zum Thema Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus wieder Friedhofsruhe - von Ausnahmen abgesehen.

4. Stattdessen werden Politik und Gesellschaft von einer neuen Debatte beherrscht - Stichwort „Terrorismus“. Wohlbemerkt: Die eine Debatte wurde durch die andere abgelöst, nicht etwa die eine Realität durch die andere.

Ich wage nicht den inhaltlichen Vergleich, ob und inwiefern es zwischen beiden Vergleichbares gibt - von den Ursachen über die Ziele bis hin zu den Erscheinungen. Dass es so ist, davon bin ich überzeugt. Aber die Sach-Analyse überlasse ich den Fachleuten. Und ich bin gespannt darauf, auch hierzu etwas zu hören.

5. Mein Zugang zu dieser Frage kommt aus der praktischen Politik, konkret aus der Innenpolitik. Und er wird schnell deutlich, wenn ich die berühmte Frage „was tun“ aufrufe.

Was tun gegen rechtsextremistisches Gedankengut, Netzwerke und Bewegungen? Und was tun, gegen terroristische Gefahren, wie sie am 11. September 2001 auf schlimme Weise offenbar geworden sind.

Sie merken, ich versuche die Debatte zum Thema „Antifaschismus“ um den Diskurs zum Thema „Antiterrorismus“ zu erweitern. Und ich suche nach Schnittstellen.

6. Einige Schnittstellen dürften unstrittig sein:

Beide - rechtsextreme bzw. faschistische Bewegungen, ebenso wie der Terrorismus des 11. September - bedrohen gesellschaftliche Gefüge, insbesondere deren demokratische und bürgerrechtliche Substanz - also die Verfasstheit.

Beide treffen keineswegs auf durchgehende Ächtung. Im Gegenteil, sie finden durchaus auch gesellschaftliche Akzeptanz.

Schließlich lassen sich beide nicht aus sich heraus erklären. Sie gedeihen auf einem Ursachen-Geflecht und sie vertragen daher auch keine ein-dimensionalen Antworten. Und mit Verboten, welcher Art auch immer, ist das wohl erst recht nicht zu regeln.

7. Gegenwärtig erleben wir aber nicht nur eindimensionale, sondern obendrein falsche Antworten.

Ich möchte nur an den Standpunkt von Roland Claus aus der Bundestags-Debatte erinnern, der auch die Grundmeinung der PDS wiedergibt: „Den Kampf gegen den Terrorismus kann man gewinnen - einen Krieg gegen den Terrorismus nicht!“

Praktisch erleben wir das Gegenteil. Der Krieg gegen reale oder vermeintliche Terroristen wird über den Erdball getrieben, ohne dass der Kampf gegen den Terrorismus ernsthaft aufgenommen wurde.

Dass ließe sich außenpolitisch, wirtschaftspolitisch, entwicklungspolitisch, finanzpolitisch, kulturpolitisch, kurzum durch viele Facetten einer apolitischen Globalisierung belegen.

8. Das Welt-politische Versagen hat seine innenpolitische Entsprechung.

Verkürzt lässt sich sagen: Auch hier wird eingeschränkt und beschnitten, was man angeblich gegen den Terrorismus verteidigen will.

Die einen nennen es einen demokratischen Rechtsstaat, andere sprechen von einer offenen Gesellschaft, dritte von der sogenannten Zivilisation.

Mir geht es hier nicht um einen Definitions-Streit, sondern um einen prinzipiell falschen politischen Ansatz. Er wird - leider - durch Rot-Grün exekutiert. Und er ist derzeit in der Gesellschaft - ebenso leider - wohl auch mehrheits-fähig. Was für mich nicht nur eine Zustands-, sondern zugleich eine Aufgaben-Beschreibung ist.

9. Ähnlich verhält es sich bei dem, was offiziell bedient wird, wenn es gegen den Rechtsextremismus geht. Auch hier ist der vorherrschende Ansatz: Ausbau des Repressionsapparates und Abbau von Bürgerrechten.

Wir wissen, dass es Gründe für und ebenso Gründe gegen ein NPD-Verbot gibt, um dieses Beispiel noch einmal aufzugreifen.

Aber wir wissen auch, dass dies nur ein Detail aus einem viel größeren Ansatz ist. Aktuell kommt er verharmlosend als „Otto-Paket“ daher.

Drinnen steckt zu 90 Prozent dasselbe, was auch schon vor dem 11. September auf dem Markt der innenpolitischen Begehrlichkeiten gehandelt wurde.

Ich habe das als Berlinerin an einem sehr exemplarischen Beispiel durch - Stichwort „Brandenburger Tor“ und Demonstrations-Verbot.

Erst sollte das Demonstrationsrecht eingeschränkt werden, weil der Auto-Verkehr behindert würde. Dann wurden angeblich die Mitglieder des naheliegenden Bundestages in ihrer Arbeit eingeschränkt. Dann marschierten alte und neue Nazis durchs Tor und man fürchtete um das internationale Ansehen. Schließlich galt der symbolische Ort als terror-gefährdet.

Die Begründungen wechselten, je nach Angebot. Das Ergebnis wäre immer dasselbe gewesen: Artikel 8 GG wäre ausgehöhlt.

10. Wir erleben eine Entwicklung, die mitnichten „typisch deutsch“ ist. Was es nur noch schlimmer macht.

In den USA sollen Schnellgerichte und Folter legalisiert werden, die Todesstrafe gilt ohnehin. Kanada will verdächtige Asylsuchende auch dann ausweisen, wenn sie im Herkunftsland mit der Todesstrafe bedroht werden. Und in Groß-Britannien wird an Sonder- und Notstandsregeln gearbeitet, die aus linker oder liberaler Sicht nur abzulehnen sind. Sie werden aber von CDU/CSU als leuchtendes, weil angeblich konsequentes Beispiel, ins Spiel gebracht werden.

Symptome des vermeintlich Bösen werden bekämpft, indem Wurzeln des vermeintlich Guten gekappt werden.

Kurzum: Die sogenannte Zivilisation wirft sich selbst hinter Ansprüche der Französischen Revolution zurück.

11. Das bisher Gesagte war ein Stopp-Schild, noch kein Wegweiser. Jedenfalls kein hinreichender, was allerdings auch nicht mein Anspruch war.

Ich habe versucht, aus aktuellem Anlass an einen Punkt anzuknüpfen, der seit dem Jahrhundert-Wechsel auch Eingang in offizielle PDS-Dokumente gefunden hat.

„Antifaschismus bedeutet auch“, heißt es da, „dass man für ein Menschenbild eintritt, das von Toleranz, Emanzipation, Individualität, Freiheit und Solidarität geprägt ist.“

Ich weiß, dass dies ein „weites Feld“ ist und das die Zahl jener, die es beackern, größer sein könnte, ja müsste.

Umso mehr ist jenen zu danken, die sich in täglicher Kleinarbeit engagieren, sei es in mobilen Beratungs-Teams, in Schulen oder Clubs, in der Forschung und Publizistik, in Bürger- und Menschenrechts-Organisationen, in Asyl- und Flüchtlings-Gruppen oder wie Norbert Madloch und weitere in der Bundesarbeitsgemeinschaft der PDS.

Ich habe inzwischen eine Überzeugung. Ich kann sie hier nicht weiter begründen, aber in zwei Sätzen zusammen fassen:

a) Rechtsextremismus ist kein Randphänomen, sondern er speist sich aus der Mitte der Gesellschaft - ergo kann Rechtsextremismus auch nur im Ringen um die Gesellschaft und nicht gegen diese bekämpft werden.
und
b) Die PDS muss und wird sich weiter entwickeln, nicht nur zu einer modernen, sozialistischen Bürgerrechts-Partei, sondern auch zu einer anerkannten Kraft, welche die Bürgerrechte verteidigt und nicht vorauseilend einschränkt - anders ist weder der Kampf gegen den Terrorismus noch gegen den Rechtsextremismus erfolgreich zu führen.

12. Sie und Ihr werdet es nicht wissen, weil es nicht zu hören war. Aber nach meiner persönlichen Gliederung bin ich bei Punkt 12, also beim Dutzend.

Und der ist nur ganz kurz: Ich danke noch mal Dr. Norbert Madloch, auch für die Hilfe, die ich persönlich gespürt habe. Und da war vieles, Norbert: das Geschriebene, das Gesagte, das Gedachte.

Aber natürlich auch -und ich erinnere mich gut - die Begleitung des Prozesses gegen den Rechtsterroristen Kai Diesner, der die Berliner PDS und vor allen Dingen Klaus Baltruschat mit diesem furchtbaren Attentat getroffen hat.

Also, noch einmal Danke und viel Kraft und viele gute Ideen für die nächsten Jahre und das auch durchaus ganz eigennützig.

Allen anderen danke ich für die Aufmerksamkeit und das wiederum durchaus egoistisch. Denn nun ich möchte weiter von Ihnen lernen. Und dazu werden wir ja in den nächsten 3 Tagen viel Zeit haben.
Danke schön.

Petra Pau

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18.1.2002
www.petrapau.de

 

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