Konjunktur auf dem Trödel-Markt

Für öffentliche Sicherheit in der offenen Gesellschaft

Die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington haben die Welt verändert. Heißt es. Ob dem so ist oder ob nicht vielmehr endlich damit begonnen werden muss, die Welt wirklich zu verändern, sei hier dahingestellt. Richtig ist, dass in nahezu allen Ländern der westlichen Welt eine weitere Diskussion über die ‚Innere Sicherheit' geführt wird. Zu Recht, meine ich, was nicht heißt, dass die Debatte immer in gute Richtungen führt. Aber zweierlei ist unbestritten. Die Attentate haben auf schlimmste Weise offenbart, wie verwundbar die sogenannte zivile Welt ist. Und sie haben bei vielen Menschen Ängste hervorgerufen, die ernst zu nehmen sind, jedenfalls von verantwortlicher Politik.

Anti-Terror-Pakete

Deshalb ist es völlig normal, dass die Regierungen und Parlamente in Bund und Ländern jetzt prüfen, wie und wodurch die Sicherheitslage, wie es im Fachjargon heißt, gegenüber solchen und ähnlichen terroristischen Angriffen verbessert werden kann. Nicht normal, ja gefährlich ist es allerdings, wenn bestehende Ängste missbraucht oder vermarktet werden.
So warb eine deutsche Firma blitzschnell mit einem „Anti-Terror-Paket“, das handlich „in der Akten-, Hand- oder Schultasche“ transportiert werden könne, eine Schutzmaske gegen Giftgase, Jodtabletten gegen Atom-Attentate und einen Gutschein für Anti-Biotika als Prophylaxe gegen Pest und Milzbrand enthalte, Lieferzeit 4 Wochen, Preis 289 Mark.
Politische Abzockerei ist, wenn nun erneut gefordert wird, mehr öffentliche Plätze per Video zu überwachen. Denn da staunt nicht nur der Fachmann, auch der Laie fragt sich verwundert, wie dadurch Terrorakte a lá New York und Washington verhindert werden können. CDU und CSU geben darauf keine Antworten. Sie haben keine, es gibt keine.

Otto-Kataloge

Derweil überschlagen sich die Medien und sie werden von Politikern auch gut gefüttert. Dem „Anti-Terrror-Paket 1“ der Bundesregierung folgte flugs das „Anti-Terror-Paket 2“. Unter kritischen Parlamentariern werden sie in Anspielung auf Bundesinnenminister Schily „Otto-Kataloge“ genannt. Nicht minder eifrig treiben CDU und CSU „jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf“, wie es im Politik-Slang heißt. Vieles davon lag schon vor dem 11. September 2001 in den Schubladen und galt bis dato als unverkäuflich. Nun ist der Trödel-Markt neu eröffnet, anstatt wirklich nach neuen Antworten auf neue Fragen zu suchen.

Eine Suchrichtung versteckt sich hinter einem scheinbar nebensächlichen Begriffsstreit. Und zuweilen werde ich auch gefragt, warum die PDS von „öffentlicher“ und nicht von „innerer Sicherheit“ spricht. Erstens, weil es nicht um das Innere des Staates, sondern um Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger geht, notfalls auch gegen Begehrlichkeiten des Staates. Und zweites umfasst Politik für öffentliche Sicherheit viel mehr, als gemeinhin unter der Überschrift „innere Sicherheit“ mit ihren Stichworten Polizei, Bundesgrenzschutz oder Fahndung verstanden und getan wird.

Qualitäts-Preise

Großer Wert wird derzeit auf Flugsicherheit gelegt, was vernünftig ist und von der PDS gefordert wird. Bessere Kontrollen von Gepäck und Mitarbeitern sind im Gespräch und vieles andere mehr. Das Flugwesen ist eine hoch sensible, also leicht verwundbare Errungenschaft der sogenannten Zivilisation. Sie kann, und das haben die Attentäter vom 9. September getan, zur Waffe gewandelt werden. Also sind mehr „Sicherungen“ gefragt, wirksame, verlässliche. Doch immer mehr Aufgaben rund ums Fliegen werden über Billig-Jobs oder prekäre Beschäftigungen ausgeführt.

Das hat mit öffentlicher Sicherheit nichts zu tun, zeigt aber, wie verflochten Wirtschafts-, Sozial- und Innenpolitik sind. Profan gesagt: Qualität, auch in der Sicherheit, hat ihren Preis. Man kann ihn auch Tariflohn nennen. Politisch formuliert: Eine Partei, wie die FDP, die nach dem Motto strebt „Privat geht vor Katastrophe“, ist ein soziales und ein Sicherheits-Risiko. Öffentliche Sicherheit hat auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun, sie verträgt keine Diskriminierung. Die gibt es aber nach wie vor auch da, wo der Staat Sicherheit produzieren soll und muss. Polizisten oder Feuerwehrleute erhalten im Osten noch immer für mehr Arbeit weniger Lohn, als ihre Kollegen-West. Wofür letztere nichts können. Wohl aber jene Innenpolitiker, die jetzt besonders laut hochrüsten.

Ideologische Atome

Auch die PDS-Innenpolitiker und -politikerinnen stehen seit dem 11. September vor neuen Fragen. Dass alte Gewissheiten wenig helfen, gilt nicht nur als Argument gegen andere Parteien. Ich werbe für sehr pragmatische Prüfungen, denn Ideologien schaffen keine wirkliche Sicherheit. Zur Erinnerung: Bis zum Gau von Tschernobyl galt im sozialistischen Lager: Das sozialistisch-gespaltene Atom sei gut und sicher, das kapitalistische hingegen fatal und gefährlich. Diese Unsicherheits-Ideologie lebt mit umgekehrten Vorzeichen fort. Deshalb ist die Atom-Frage neu zu prüfen, allemal seit dem 11. September. In den „Otto-Katalogen“ kommt sie nicht vor.

Wir stellen uns bei jedem neuen Vorschlag für mehr Sicherheit drei Fragen: Bringt er wirklich mehr Sicherheit oder gibt er das nur vor? Stärkt er den Rechtsstaat oder unterläuft er seine Regeln? Und was überwiegt bei der empfohlenen ‚Medizin' - der Heil-Stoff oder die Nebenwirkungen?

In allen Bundesländern ist inzwischen eine Rasterfahndung angelaufen, um sogenannte „Schläfer“ des Netzwerkes von Bin Laden aufzuspüren. Bin Laden gilt als „Drahtzieher“ der Anschläge auf die USA. Also Rasterfahndung, im Klartext: Ein großer Abgleich möglichst vieler verfügbarer persönlicher Daten nach ‚internen' Suchvorgaben. Das sei unumgänglich, drängen CDU und CSU. Das sei wie eine normale Ermittlungsmethode, beschwichtigt mein Berliner SPD-Innenminister. Das sei gerade noch hinnehmbar, knurren Bündnis 90/Die Grünen. Die PDS ist aus mehreren Gründen arg skeptisch: historisch, grundsätzlich, rechtsstaatlich.

Neben-Wirkungen

Pragmatisch dürfte die Meinung vom Präsidenten des Landes-Kriminal-Amtes Sachsen sein. Er gab dieser Tage zu Protokoll: Die Raster-Fahndung ist „untauglich“. Auf die Nachfrage, warum sie trotzdem durchgeführt werde, sagte er: „Wir haben kein besseres Mittel!“ Trotzdem wird der Daten-Schutz ausgehöhlt, werden viele Bürgerinnen und Bürger in Verdacht genommen, und zwar nur ob ihrer Herkunft, also ein klassischer Fall, bei dem die negativen Nebenwirkungen die positiven Erwartungen erdrücken.

Dasselbe tritt ein, wenn ausländischen Mitbürgern der Fingerabdruck in den Pass geprägt wird. Bundeskanzler Gerhard Schröder kündigte sogar an, weitere biologische ‚Daten' prophylaktisch von Staats wegen zu speichern und auszuweisen. All das bringt nicht mehr Sicherheit, aber es unterläuft rechtsstaatliche Ansprüche, es birgt die Tendenz zum Überwachungsstaat.

Gleichwohl gibt es Handlungsbedarf, sogar dringenden: Wir brauchen erstens eine Polizei-Reform. Wir brauchen zweitens einen effektiven Katastrophen-Schutz. Wir brauchen drittens eine bessere internationale Kooperation. Wir brauchen viertens mehr Prävention. Denn wir brauchen fünftens mehr öffentliche Sicherheit in der offenen Gesellschaft.

Das aber verträgt weder die Kappung von Bürger-Rechten; noch das Unterlaufen von Rechtsstaats-Prinzipien, geschweige denn die Privatisierung öffentlicher Sicherheit. Und erst recht keine Verschärfung des Asylrechts. Bundesinnenminister Schily fordert wie die Unions-Parteien eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz für Einwandernde, insbesondere wiederum für Asylbewerberinnen und Asylbewerber. Die Attentäter auf die USA, die vermutlich auch in Deutschland gelebt hatten, waren nachweislich keine Asylbewerber. Und der Verfassungsschutz kann in aller Regel keine Erkenntnisse über Asylbewerber haben, denn er ist ein Inlandsdienst.

Nun will die CDU-Vorsitzende, Angela Merkel, die Bundeswehr verstärkt im Inneren einsetzen. Die Trennung von Bundeswehr, Polizei und Geheimdiensten hat aufgrund der Erfahrungen aus dem Faschismus Verfassungsrang. Daran hat sich auch nach dem Terroranschlägen in den USA nichts geändert. Und so warnte auch Burkhardt Hirsch, einer der letzten liberalen FDP-Stimmen, in der Baseler Zeitung dringend davor, die Bundeswehr mit Polizei-Aufgaben zu betrauen. Nicht zuletzt, weil er fürchtet, ein einmal gegebenes Mandat könnte später zu ganz anderen Zwecken, als der Terrorbekämpfung, missbraucht werden.

Bescholtene Bürger

Bundesinnenminister Schily wiederum möchte der europäischen Polizeibehörde ‚Europol' exekutive Befugnisse erteilen. Was hieße, ‚Euro-Polizisten' sollen auch eigenständig ermitteln, observieren, überwachen und festnehmen dürfen. Zur Erinnerung: Europol ist ein weitgehend freischwebendes Gebilde, das nicht einmal parlamentarisch kontrollierbar ist. Nach rechts-staatlichem Verständnis darf Europol daher jetzt keinerlei exekutive Vollmacht erhalten. Es gibt es eine europäische Sicherheits-Lücke. Überhaupt ist eine Reform der EU nötiger denn je und zwar nach rechtsstaatlichen und demokratischen Kriterien. Unter einem qualitativ neuen EU-Dach könnte dann auch über eine qualitativ neue Europol-Behörde nachgedacht werden.

Jeder weiß, dass der internationale Terrorismus viel mit Geld zu tun hat. Übrigens nicht nur, um ihn auszuüben. Auch, um mit Terror Kasse zu machen. Also liegt es doch nahe, Geldströme zu kontrollieren. Wir fordern das seit langem und nicht nur die PDS. Nun lese ich, die FDP sei dagegen, weil damit (Zitat) die „Privatsphäre unbescholtener Bürger“ betroffen werde. Dabei gilt das heilige Bankgeheimnis für Hunderttausende hierzulande, ja für Millionen Betroffenen, längst nicht mehr. Nämlich für alle, die Sozialhilfe empfangen oder mit Sozialhilfe-Empfängern verwandt sind. Sind das, nach der zitierten Lesart, etwa bescholtene Bürger?

Petra Pau
Artikel im „Rheinblick“, 12. Oktober 2001

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12.10.2001
www.petrapau.de

 

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