Jetzt keine Schnellschüsse

von Petra Pau
Artikel in der „Berliner Morgenpost“; 23. April 2001

Die Ersten, die vor 25 Jahren vom Palast der Republik Besitz ergriffen, waren jene, die ihn geschaffen hatten. Mit einem fulminanten Ball der Bauarbeiter wurde am 23. April 1976 gefeiert, was das Haus hergab. Und das galt seinerzeit von London bis Moskau unumstritten als die Nummer 1 moderner europäischer Veranstaltungstempel.

Zu meinen bleibenden Erinnerungen gehört eine bewegende Aufführung des „Canto General“. Pablo Neruda, der die Texte schrieb, war im 1973er-Chile aus dem Leben geschieden. Aber Mikis Theodorakis, der namhafte Komponist des «großen Gesangs», dirigierte im großen Saal des Palastes der Republik.

Bis zum Herbst 1990, als ein böses Asbestgutachten die dort ebenfalls tagendeVolkskammer der ausgehenden DDR zur Flucht bewegte, wurden jährlich zirka 1000 kulturelle Veranstaltungen mit insgesamt mehr als 70 Millionen Besucherinnen und Besuchern gezählt. Seither würde dort nicht mal Dornröschen schlafen und kein Prinz, der des Weges käme, dürfte sie hier wähnen.

Die Palast-Baustelle suggeriert bestenfalls peinliche Öde, so wie der gesamte Schlossplatz derzeit als unentschiedenes Nichts herumliegt. Die bereits elf Jahre währende Hilflosigkeit ist obendrein teuer und peinlich. Aber vielleicht hat sie uns auch vor Schnellschüssen bewahrt, die wir hernach ebenso reuen müssten, wie die finale Sprengung des zuvor kriegszerlegten Stadtschlosses.

Medial wird der Streit um die Zukunft dieser Stadtmitte zumeist auf ein pures „Palast kontra Schloss“ verengt. Und dabei mangelt es nicht an Emotionen und wechselseitigen Vorhalten. Wenn ich über den Schlossplatz nachdenke, dann unter zwei Prämissen: Es geht um historisches Terrain und zugleich um das vielleicht wichtigste bislang nicht bestimmte Areal Berlins. Mit der städtischen Wiedervereinigung galt es drei hervorragende Stadträume politisch neu zu definieren. Sie bilden im Draufblick ein zentrales und durchaus auch symbolträchtiges Dreieck. Der Potsdamer Platz - er wurde mit Daimler und Sony inzwischen zum Recken wirtschaftlicher Größe. Der Tiergarten - dort manifestiert das Reichstagsgebäude und alsbald das Kanzleramt staats-politische Ansprüche. Bleibt die Spreeinsel mit dem Schlossplatz und dem wieder frei gewordenen Staatsratsgebäude. Hier sollten vor allem „das Volk“, die Öffentlichkeit, die Bürgerinnen und Bürger ihre kulturelle, demokratische, weltoffene Adresse suchen, finden und mitbestimmen können. So ein Bürger-Forum wäre übrigens keine berlininterne Herausforderung, sondern wirklich eine hauptstädtische. Und eine, die nicht allein Vergangenes manifestieren dürfte, sondern zugleich nach vorn weisen sollte. Übrigens hat die PDS schon vor Jahresfrist ein offenes und von Experten beachtetes Konzept zur Diskussion gestellt. Es berücksichtigt den Palast ebenso, wie die profilgebende Schloss-Kubatur. Es könnte das festgefahrene Ex-oder-hopp auflösen, die Debatte um die Zukunft des Platzes dorthin zurückgeben, wo sie hingehört: in die Gesellschaft.

siehe auch: http://www.morgenpost.de/archiv2001/010423/berlin/story414674.html

 

 

23.4.2001
www.petrapau.de

 

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