Sehr geehrter Hans Joachim Blaum,
ich plädiere seit langem für mehr direkte Demokratie, also auch für Volksabstimmungen auf Bundesebene. In vielen EU-Ländern ist dies möglich, in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Anders gesagt: Bei direkter Demokratie ist Deutschland noch immer ein EU-Entwicklungsland.
Aber bitte, pflegen Sie keine Mythen. Die erste Verfassung der DDR wurde am 7. Oktober 1949 in Kraft gesetzt. Sie sah Volksbegehren und Volksentscheide zu einfachen Gesetzen und zur Verfassung vor. Es gab aber in der Geschichte der DDR nur eine Volksabstimmung und zwar 1968 über eine neue Verfassung. Ausgerechnet diese regelte, dass Volksabstimmungen nicht (mehr) vom Volke ausgehen, sondern ausschließlich von der Volkskammer beschlossen werden können. Das war also kein mehr, sondern weniger Demokratie.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik wurde im Mai 1949 beschlossen. Es schloss Volksabstimmungen nicht grundsätzlich aus, band dies aber an eine politische Entscheidung des Bundestages. Das heißt, der Bundestag müsste mit Zweidrittel-Mehrheit beschließen, dass Volksabstimmungen auch auf Bundesebene gewollt sind. Das ist bisher nicht geschehen.
Die ersten Initiativen für direkte Demokratie auf Bundesebene gab es in der Bundesrepublik alt übrigens schon 1951. Eine große historische Chance wurde mit der Vereinigung 1990 verspielt. Insbesondere die Unions-Parteien aber auch große Teile der SPD waren gegen eine neue Verfassung und dagegen, sie per Volksabstimmung legitimieren zu lassen.
Rund um die EU-Verfassung engagierte sich insbesondere Mehr Demokratie e. V. für Volksabstimmungen auf Bundesebene. In diesem konkreten Fall waren sogar die Grünen dagegen. Bundeskanzler Gerhard Schröder log damals, das Grundgesetz verbiete Volksabstimmungen. Und Außenminister Joseph Fischer befand, er lasse sich sein Werk nicht vom Volk zerreden.
Eine Folge dieses Demokratie-Mangels ist, dass viele Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, worum es überhaupt geht und was das alles mit ihrem realen Leben zu tun hat. Das ist auch beim Vertrag von Lissabon so, der abgespeckten Variante der gescheiterten EU-Verfassung.
Umgekehrt: Gäbe es mehr direkte Demokratie, dann müsste die Politik sich öffnen und viel mehr aufklären, als derzeit. Auch die Medien trügen eine viel größere Verantwortung, als beim vielfach anzutreffenden Schlagwort-Journalismus. Auch das spricht für mehr Demokratie.
Nun zu ihrer Abschlussfrage: Zur Pressefreiheit gehört, dass grundsätzlich die Medien entscheiden, was sie berichten oder senden. Folglich obliegt es auch den Redaktionen der Talkshows, wen sie als Studiogast einladen. Das macht die Streitgespräche nicht immer besser, aber das ist im Prinzip richtig und allemal besser, als wenn die Parteien darüber zu entscheiden hätten, was den Bürgerinnen und Bürgern via TV ins Zimmer flimmert.
Mit solidarischen Grüßen
Petra Pau
30. Juni 2008
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