Umgang mit Biografien

frage: Sehr geehrte Frau Pau,

Herr Lammert hat gestern in seiner Rede darauf hingewiesen, dass man mal ins Internet gehen sollte und dort einiges über die DDR erfahren könnte. Ich habe das getan und finde hunderte von Seiten über Frau Merkel über ihre FDJ-Tätigkeit noch bis zum Ende ihres Studiums. Ja, es wird sogar die Frage aufgeworfen: „war Frau Merkel ein Stasi-Spitzel?“

Sie geben im Handbuch des Deutschen Bundestages Auskunft über Ihre Zugehörigkeit in der FDJ, SED usw. Wenn ich den Lebenslauf von Frau Merkel lese, könnte man annehmen, sie war nie ein Mensch der DDR.

Ich würde mich freuen, wenn Sie mir antworten würden.

Ursula Kempa
Bayern
4. Oktober 2007

Sehr geehrte Frau Kempa,

ich finde: letztlich muss jeder persönlich entscheiden, wie er oder sie mit der eigenen Biografie umgeht. Gewiss, bei Personen von „öffentlichem Interesse“, wie es so schön heißt, sollte man Transparenz erwarten können. Aber das passt wohl nicht ins Selbstbild der CDU/CSU. Sie verschweigt ja auch gerne, dass sie 1990 die CDU der DDR und die Deutsche Bauernpartei der DDR samt Parteivermögen problemlos übernommen hat.

Aus meiner Herkunft und aus meinem Weg in der DDR habe ich nie ein Hehl gemacht. Das erwarten meine Wählerinnen und Wähler, das erwartet meine Partei und das bin ich mir vor allem selbst wert. Ich könnte nicht einfach mein halbes Leben leugnen.

Vielleicht erinnern Sie sich: Vor reichlich einem Jahr wurde allgemein publik, dass Günter Grass in jungen Jahren bei der Waffen-SS war. Er hatte lange geschwiegen. Viele nahmen ihm das übel und etliche Medien stürzten sich geradezu auf ihn. Ich hatte ihm damals geschrieben und ihn gefragt, ob er nunmehr ein wenig nachvollziehen kann, wie es vielen DDR-Bürgern geht.

Wussten Sie übrigens, dass im Land Bayern schon unter Generalverdacht steht, wer zu DDR-Zeiten dem Angler- oder Kleingarten-Verband angehörte? Die offiziellen Fragebogen für den öffentlichen Dienst weisen das so aus.

Günter Grass hat mir übrigens nie geantwortet.

Mein Problem ist daher weniger, ob Angela Merkel sich zu ihrer FDJ-Zeit bekennt. Mich sorgt vielmehr, wie oberflächlich, vergesslich, selbstgefällig und überheblich mit der deutsch-deutschen Geschichte umgegangen wird.

Möglicherweise kennen Sie eines meiner Vorzugs-Zitate. Es stammt von Willi Brandt aus dem Jahre 1990. „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört!“ Bis hierhin wird es gern zitiert. Seine eigentliche Botschaft aber wird zumeist unterschlagen: „Die wirtschaftliche Aufforstung und die soziale Absicherung liegen nicht außerhalb unseres Leistungsvermögens. Die Überbrückung geistig-kultureller Hemmschwellen und seelischer Barrieren mag schwieriger sein. Aber mit Takt und Respekt vor dem Selbstwertgefühl der bisher von uns getrennten Landsleute wird es möglich sein, dass ohne entstellende Narben zusammen wächst, was zusammengehört.“

Mit freundlichen Grüßen

Petra Pau
6. Oktober 2007

 

 

6.10.2007
www.petra-pau.de

 

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