Talk-Sendung Anne Will
frage: Sehr geehrte Frau Pau - Ihr Auftreten und Ihre Meinungsäußerungen in den verschiedenen Gremien haben mich oft beeindruckt, doch leider war
es gestern nicht so der Fall, was war mit Ihnen los??
Sie wirkten verunsichert und suchten, man hatte den Eindruck,
verzweifelt nach Antworten auf die äußerst provokant und aggressiv auftretende Anne Will.
War die DDR ein Unrechtsstaat? Nein, oder ja, wie jeder andere Staat, der sich im
kalten Krieg an der Grenze der Systeme befand, also auch die BRD.
Es ist doch unerträglich, dass sich die Menschen, die 40 Jahre in der DDR gelebt haben, von solchen Leuten, wie Pastor Hinze, Anne Will, V. Ferres oder der Fam. Gallus (ihr Frust ist noch verständlich) sagen lassen müssen, was die DDR war. Dass vieles nicht in Ordnung war, wissen
wir selbst. Deshalb sind wir ja in Leipzig auf die Straße gegangen. Der Einzige, der noch vermitteln wollte, war Pfarrer Schorlemmer, leider.
Und man hätte auch einmal die Hintergründe der Flucht der Frau Gallus beleuchten müssen. Hier wird mit einem persönlichen Familiendrama, (es gab ja auch einen Vater - der wird einfach unter den Tisch gekehrt), übelste Politik gemacht und wir lassen uns das alles gefallen. Es wäre besser gewesen,
wenn Sie dort nicht hingegangen wären. Was meinen Sie dazu?
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Jähne
Sachsen
1. Oktober 2007
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Sehr geehrter Manfred Jähne,
Sie sind nicht der Einzige, der mir nach der Sendung seine Eindrücke
oder Fragen gemailt hat. Ich will Ihnen stellvertretend auch für die
anderen antworten, die mich beschimpft, bestärkt oder bedauert haben.
Ich beginne mit einer Episode. Als Vizepräsidentin des Bundestages war
ich am 3. Oktober beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in
Schwerin. Dr. Norbert Lammert hielt als Präsident des Bundestages die
offizielle Rede. Als er auf die Täter und auf Unrecht in der DDR zu
sprechen kam, blendete mich die ZDF-Kamera groß in ihre
Direktübertragung ein. Ich war für die öffentlich-rechtliche Regie
offenbar der lebendige Beleg für das Unrecht und für die Verbrechen, die
es namens einer sozialistischen Idee gab.
Später habe ich mich gefragt: Was wäre eigentlich gewesen, wenn auch
Günter Schabowski, zu DDR-Zeiten langjähriger Chef-Ideologe beim Neuen
Deutschland, später 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin und
mithin oberster Staats-Sicherheitschef in der Hauptstadt der DDR und
obendrein Mitglied des Politbüros des ZK der SED, was also wäre, wenn
auch er beim Festakt dabei gewesen wäre? Hätte das ZDF-Kamera-Team ihn
ins Zentrum gerückt? Wohl kaum! Schabowski und ich, wir haben zwei
Gemeinsamkeiten: Wir kommen beide aus der SED und wir lehnen inzwischen
beide den real-existierenden Sozialismus als System ab. Es gibt aber
auch einen fundamentalen Unterschied: Schabowski spricht den
real-existierenden Kapitalismus heilig. Das tue ich nicht, weil ich ihn
noch immer für menschenunwürdig halte. Schabowski ist inzwischen
Ehrengast auf CDU-Veranstaltungen. Ich hingegen bin für manche ein
verruchtes Kamera-Subjekt.
Nun zurück zur Anne-Will-Talk-Show und zu Ihrer e-mail. Ich wusste
natürlich, welche Rolle die Redaktion mir zugedacht hatte. Das führte zu
einer inneren Spannung, schon im Vorfeld. Allemal, nachdem ich mir den
ARD-Zweiteiler und die Dokumentation über Frau Gallus und ihre Töchter
angesehen hatte. Mir fiel dabei eine Sendung vom Dezember 1989 ein.
Damals las Walter Janka im Deutschen Theater und im DDR-Rundfunk aus
seinem Leben Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Ich kannte bis dahin
seine Geschichte nicht, so, wie ich bis vor kurzem auch nichts über die
Familie Gallus wusste. Ich war damals verunsichert und ich war es vor
der Anne-Will-Talk-Show wieder. Das mag vielleicht erklären, warum mein
Auftritt wenig souverän wirkte.
Und natürlich war mir klar, dass die Geschichte der Familie Gallus das
eine ist, dass der Film und sein Sende-Termin aber einem anderen Sinn
folgten. Mit wohl kalkulierter Wirkung, wie ich etlichen boshaften
Schreiben aus den alten Bundesländern entnehme. Aber ich weiß auch, dass
ich auf der Wunsch-Liste der Anne-Will-Redaktion weder auf Platz eins,
noch auf Platz zwei stand. Auch ich hätte Nein sagen können. Aber dann
hätte die Sende-Eröffnung möglicherweise geheißen: Wir hatten uns auch
um einen Gesprächspartner der Linkspartei bemüht, aber niemand war
bereit... Ob diese Botschaft besser gewesen wäre - ich weiß es nicht und
denke darüber nach.
Nun noch mal zu einer Grundkritik, die Sie in Ihrem Schreiben äußern.
Ja, wir sind noch immer in einer Situation, in der erlauchte
Westdeutsche einen Alleinvertretungs-Anspruch darauf erheben, was
Geschichte ist und war. Und sie können das, weil sie auch in den Medien
dominieren. Auch hier gibt es löbliche Ausnahmen, aber eben Ausnahmen.
Übrigens: Als ich in der Anne-Will-Ankündigung las, man könne
anschließend mit Peter Hinze im Internet das Thema vertiefen, da dachte
ich: Arme Gebührenzahler - die PISA-Misere ist allgegenwärtig und sie
wird auch noch gefördert.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Pau
4. Oktober 2007
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