Wo das Problem liegt
Frage:
Sehr geehrte Frau Pau!
Ich möchte Ihnen sagen, dass Sie mich mit Ihren Beiträgen keinesfalls überzeugt haben. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass Sie gar nicht wissen, wo in unserem Land das Problem liegt. Bitte lesen sie folgenden Artikel:
Wo sind die Millionen?
Der Volkswirtschaft fehlt es nicht an Geld, und trotzdem muß allerorten gespart werden. Die Knete geht für Zinsen drauf.
Gemeinden schließen Bibliotheken und Schwimmbäder - Bonn kürzt den Sozialstaat - Nürnberg spart an den Geldern für die Arbeitslosen - die Rentenbeiträge steigen... Solche Meldungen kann man fast täglich in der Zeitung lesen. Doch die Einsparungen an allen Ecken und Enden reichen nicht aus, zudem verscherbeln Bund, Länder und Gemeinden auch noch ihr Tafelsilber: Post, Bahn, Telekom, Lufthansa und vor allem Immobilien. Und weil auch das nicht ausreicht, werden immer höhere Schulden aufgetürmt, die wegen ihrer Zinsbelastung die Engpässe wiederum vergrößern. Allein der Bund muß bereits ein Viertel seiner Einnahmen für den Zinsendienst aufbringen - weit mehr als für die vielgeschmähten Militärausgaben. Doch wie kommt es zu dieser Ebbe in den öffentlichen Kassen? Geht die Wirtschaftsleistung zurück, wird unser Land ärmer? Das kann es nicht sein. Von 1980 bis 1996 haben wir unser Sozialprodukt real um 50 Prozent gesteigert. Und auch in diesem Jahr wächst die Wirtschaft um mehr als ! zwei Prozent. Zwei Prozent Wachstum heute aber sind in absoluten Mengen soviel wie zehn Prozent in den fünfziger Jahren. Noch günstiger sieht die Sache bei den Geldvermögen aus. Diese haben von 1980 bis 1996 real sogar um 123 Prozent zugenommen; Tag für Tag wachsen sie inzwischen um 1.3 Milliarden Mark an. Allein die Zinseinnahmen dieser Geldvermögen liegen bei 1 Milliarde täglich. Wie aber ist es möglich, daß angesichts dieses ständigen Leistungs- und Reichtumswachstums die Armut bei uns um sich greift?
Das Problem liegt in der Verteilung
Wenn man einen ausreichend großen Kuchen unter einer gleich bleibenden Zahl von Essern aufteilt, braucht niemand Hunger zu leiden. Schneidet aber jemand vorab ein größeres Stück heraus, bleibt den anderen weniger übrig. Es sei denn, sie backen einen größeren Kuchen. Wachsen die Ansprüche jenes Nimmersatten jedoch rascher, als man den Kuchen größer backen kann, werden - trotz des immer größeren Kuchens - die Hungerleider immer mehr.
Genauso ist es in der Wirtschaft: Unser Leistungskuchen - das Sozialprodukt - wird jedes Jahr zwischen Kapital und Arbeit aufgeteilt. Allerdings steht der Anteil des Geldkapitals schon von vornherein fest: Er resultiert aus Kapital mal Zinssatz. Da aber die Geldvermögen seit 30 Jahren rascher wachsen als die Wirtschaftsleistung, fallen die Arbeitseinkommen bei der Aufteilung des Wirtschaftskuchens relativ immer mehr zurück.
Sind die Zinssätze hoch, explodieren Zinserträge und Zinsbelastungen. So mussten beispielsweise die produzierenden Unternehmen 1992 mit durchschnittlich etwa 12.000 Mark je Arbeitsplatz doppelt soviel an Zinsen aufbringen wie vier Jahre zuvor. Hochverschuldete Unternehmen wurden und werden dadurch zu Zehntausenden in den Konkurs getrieben, die anderen zu Einsparungen bei Investitionen und Lohnkosten gezwungen. Die Arbeitslosigkeit erreicht jeweils ein bis zwei Jahre nach dem Zinsgipfel ihren Höhepunkt.
Konjunktureinbruch und abnehmende Beschäftigung schlagen sich wiederum in den öffentlichen Kassen als rückläufige Steuereinnahmen nieder. Verstärkt werden diese Engpässe noch durch krisenbedingt ansteigende Sozialkosten. Vor allem aber schlägt der rasante Anstieg der öffentlichen Schuldenzinsbelastung zu Buche, da mit den höheren Zinsen auch der Zwang zur Verschuldung wächst.
Abzumildern sind diese steigenden Belastungen nur durch ein weiteres Wachstum der Wirtschaft - gleichgültig, ob dabei die Umwelt auf der Strecke bleibt. Denn den Politikern bleibt heute nur die Wahl: Entweder ohne Wachstum in den sozialen oder mit Wachstum in den ökologischen Kollaps. Da jedoch das Wirtschaftswachstum schon lange nicht mehr mit dem der Geldvermögen und Zinsströme mithalten kann, steuern wir auf beides zu.
Wie kommt es zu der Überschuldung?
Schulden können immer nur im Gleichschritt mit den Geldvermögen zunehmen. Denn leihen kann man immer nur von einem, der etwas übrig hat. Doch die ständig wachsenden Geldvermögen bieten nicht nur Möglichkeiten zu weiteren Verschuldungen, sie zwingen auch dazu. Denn wird das übrige Geld aus den Kassen der Zinsbezieher nicht über Kreditaufnahmen in die Wirtschaft zurückgeführt, kommt es zu geldmangelbedingten Kreislaufunterbrechungen. Sind Unternehmen und Privathaushalte nicht ausreichend zu weiteren Kreditaufnahmen bereit, dann muss der Staat das am Markt entstehende Kapitalüberangebot aufnehmen, weil anderenfalls eine deflationäre Wirtschaftsentwicklung einsetzen würde. Auf diesen Verschuldungszwang, speziell der öffentlichen Haushalte, hat schon vor einigen Jahren der Wirtschaftsprofessor Rüdiger Pohl, einer der "fünf Wirtschaftsweisen", in der ZEIT hingewiesen.
Und warum eskalieren die Geldvermögen?
Entscheidend für das Überwachstum von Geldvermögen und Schulden ist der Tatbestand, dass die Zinssätze seit Jahrzehnten über den Wachstumsraten der Wirtschaft liegen. Das ist nur möglich, weil sich der Zins im Gegensatz zu allen anderen Marktpreisen den Kräften von Angebot und Nachfrage entziehen kann. Denn sinkt der Zins unter eine bestimmte Grenze, verknappen die Geldhalter einfach ihr Angebot, indem sie zum Beispiel in Spekulationen und liquide Kassenhaltungen ausweichen und damit ein weiteres Absinken verhindern.
Wer zahlt die Zinsen?
Im Allgemeinen wird angenommen, dass nur derjenige Haushalt Zinsen zahlen muss, der selbst einen Kredit aufgenommen hat. In Wirklichkeit aber müssen die Privathaushalte beziehungsweise Endverbraucher auch für die Schuldenzinsen der Unternehmen und des Staates geradestehen. Denn die gesamten Kapitalkosten der Unternehmen gehen in die Produktpreise genauso ein wie die Personal- und Materialkosten. Bei den öffentlichen Haushalten stecken sie in allen Steuern und Gebühren. Rechnet man die schuldenbezogenen Zinslasten in Arbeitszeiten um, dann musste 1950 jeder Erwerbstätige etwa drei Wochen im Jahr für deren Bedienung arbeiten, 1970 sieben und 1990 elf Wochen. Für 1995 kann man bereits von einem 25prozentigen Abfluss aus den verfügbaren Einkommen ausgehen und damit einer erforderlichen Arbeitszeit von einem Vierteljahr. Dabei ist bisher nur von den Zinsen für das Geldkapital die Rede. Addiert man die den Zinsen entsprechenden Erträge aus Sachkapital, etwa Immobilien oder Maschinen, noch hinzu, dann kann man davon ausgehen, dass von jedem ausgegebenen Hundertmarkschein 40 Mark in die Kassen der Zinseinnehmer fließen.
Gewinner und Verlierer
Natürlich stehen diesen von den Privathaushalten zu tragenden Zinslasten auf der anderen Seite auch Zinseinkünfte gegenüber - fragt sich bloß, bei wem. Teilt man die gesamten bundesdeutschen Haushalte in zwei Hälften, dann besitzt die ärmere Hälfte nur vier Prozent der Geldvermögen, die andere Hälfte 96 Prozent. Verrechnet man die Zinslasten und Zinseinkünfte gegeneinander, dann ist der Saldo bei acht von zehn Haushalten negativ und bei dem neunten Haushalt ausgeglichen. Nur bei dem zehnten Haushalt ist er positiv. Das heißt, dieses letzte reichste Zehntel der Haushalte ist der Gewinner dieses Zins-Monopoly-Spiels. Ob man Gewinner oder Verlierer ist, kann jeder leicht nachrechnen. Er braucht nur seine jährlichen Zinserträge mit jenen 40 Prozent seiner jährlichen Ausgaben zu vergleichen, die er als Zinsverlust verbuchen muss. Oder nach einer anderen Faustregel: Um diese Zinsverluste auszugleichen, benötigt man ein Zins bringendes Vermögen, das dem Sechs- bis Siebenfachen der
gesamten Jahresausgaben entspricht. Entgegen immer wieder zu hörenden Behauptungen fehlt es in unserer Volkswirtschaft also nicht an Geld. Es sammelt sich aufgrund der zinsbedingten Wirkungsmechanismen nur immer mehr bei jenen an, die bereits viel davon haben. Der Hamburger Sozialsenator Ortwin Runde hat schon vor zwei Jahren festgestellt, dass in seinem Stadtstaat die Zahl der Millionäre und die der Sozialhilfeempfänger am raschesten zu nimmt.
Die Zinsausschüttungen der Banken an die Geldgeber stiegen von 1988-92 um 101 Prozent, nämlich von 171 auf 344 Mrd. DM. Man stelle sich einmal vor, die Einkommenssteuern oder die Gesundheitsausgaben - Posten vergleichbarer Größenordnung - würden in 3 - 4 Jahren verdoppelt oder die Löhne und Gehälter um 80 oder 100 Prozent erhöht: Die Medien wären voll davon, und die Schlagzeilen würden in ihrer Größe alles andere übertreffen. Die vergleichbaren Explosionen der zinsbezogenen Größen wurden jedoch praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Auch die Gewerkschaften rühren das Thema nicht an. Sie streiten vielmehr jedes Jahr lautstark und medienwirksam auf der Vorderbühne mit den Arbeitgebern um den Rest des Kuchens, den das Kapital den Werteschaffenden übrig gelassen hat. Der entscheidende Deal auf der Hinterbühne, der sich an den genannten Größen festmachen lässt, steht dagegen nie zur Debatte. (...) Eines steht jedenfalls fest: Solange sich die Gewerkschaften nicht um unsere Geldordnung kümmern, kann die soziale Frage keiner Lösung zugeführt werden.
Helmut Creutz: Das Geld-Syndrom [1] - Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft
Der Text ist eine von Helmut Creutz im Dezember 1997 für die Thüringer Zeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aktualisierte und ergänzte Fassung seines in der taz vom 30.05.1996 veröffentlichten Artikels.
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Ich wünsche mir von Ihnen, dass Sie mithilfe dieser Argumente in Ihrer Fraktion wie auch in unserem Land etwas gegen das Geld- und gegen das Verteilungsproblem unternehmen. Dazu können Sie Sich auch auf folgenden Internetseiten näher informieren:
www.inwo.de
www.cgw.de
www.humanwirtschaft.de
www.systemfehler.de
www.geldreform.de
www.regiogeld.de
Vielen dank für die Zeit die Sie mir gewidmet haben, während Sie diese Mail gelesen haben.
Ich verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Christian Kühnert, Hessen
30. August 2006
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