Urheberrecht
Sehr geehrte Frau Pau,
mit großer Sorge verfolgen wir die aktuellen Entwicklungen im Bereich
der Urheberrechtsnovellierung und wenden uns als Hochschullehrende und
Wissenschaftler/innen an Sie mit dem dringenden Appell, sich für ein
bildungs- und wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht in Deutschland
einzusetzen.
Die Absicht des Bundes und der Länder, das deutsche Urheberrecht der
Entwicklung im Bereich der digitalen Informations- und
Kommunikationstechnologie anzupassen und rechtliche Klarheit für deren
Nutzungsmöglichkeiten in Bildung und Wissenschaft herbeizuführen, ist
prinzipiell begrüßenswert. Doch schon die bisherige Novellierung des
Urheberrechtsgesetzes hat für Bildung und Wissenschaft zu
einschneidenden Behinderungen und zu unakzeptablen Einschränkungen der
grundgesetzlich garantierten Rechte bei der öffentlichen Zugänglichkeit
und der digitalen Nutzung von veröffentlichten Werken geführt, die sich
mit dem Inkrafttreten des sog. Zweiten Korbs weiter zu verschärfen
drohen.
Mehrere der im sog. Zweiten Korb geplanten Regelungen widersprechen
aus der Perspektive von Forschung und Hochschullehre schwerwiegend und
unangemessen dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel eines bildungs-
und wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts.
So fällt nach vorliegendem Entwurf des BMJ vom 3.1.2006 die bis Ende
2006 befristet geltende Schrankenregelung § 52a UrhG weg, nach der eine
öffentliche Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützten Materials im
Rahmen der Veranschaulichung des Unterrichts, z.B. in digitalen
Semesterapparaten, erlaubt ist. Denjenigen Hochschulen, die sich den
bildungspolitisch gewollten und mit Bundesmitteln geförderten
e-Learning-Initiativen angeschlossen haben, wird nun rückwirkend die
Rechtsgrundlage entzogen. Will das Parlament wirklich diese
Hochschulentwicklung zurückdrehen und Bildung und Wissenschaft vom
sinnvollen Gebrauch der digitalen Medien ausschließen? Sollen mehrere
Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln, die dafür bisher investiert
wurden, in den Sand gesetzt werden?
Hier besteht dringender Handlungsbedarf! Wir ersuchen vehement darum, §
52a beizubehalten und den Bedürfnissen von Bildung und Wissenschaft
weiter anzupassen. Hierzu ist die Befristung dieses Paragraphen
aufzuheben oder wenigstens die Befristung um mindestens weitere 5 Jahre
zu verlängern, auch um eine wesentliche Verbesserung dieses Paragraphen
entsprechend den Bedürfnissen von Bildung und Wissenschaft zu erreichen.
Wer mit der Praxis des aktuellen Wissenschaftsbetriebs und insbesondere
der gängigen Einbindung einzelner Institute in die Hochschulintranets
vertraut ist, dem/der wird besonders die Regelung im neuen § 52b
(Entwurf) absurd erscheinen: Diesem neu eingefügten Paragraphen zufolge
soll eine Wiedergabe von Werken aus den elektronischen Beständen einer
Bibliothek, eines Archivs oder Museums nur an eigens eingerichteten
elektronischen Leseplätzen in der Institution selbst möglich sein.
Gerade in der Ortsungebundenheit liegt aber der grundlegende Vorteil der
digitalen Ressourcen. Der § 52b zwingt die Nutzer/innen (wie in der
bisherigen analogen Nutzung) nun wieder in die Bibliothek und an einen
elektronischen Leseplatz - insofern er nicht gerade besetzt ist -, um
die Ressource online einzusehen. Unklar ist zudem, ob diese überhaupt
ausgedruckt werden darf oder vom Bildschirm abgeschrieben werden muss.
Ergebnis ist eine absurde Verschlechterung der Informationsversorgung
gegenüber dem analogen Zeitalter, als man ein Buch oder eine Zeitschrift
wenigstens ausleihen und mitnehmen durfte.
Wie kann es sein, dass vor diesem Hintergrund im Regierungsentwurf
behauptet wird, diese Regelungen hätten keine Auswirkung auf die
öffentlichen Haushalte? Es entstehe angeblich kein zusätzlicher
Vollzugsaufwand, da organisatorische Umstellungsarbeiten zur Umsetzung
des Gesetzes nicht erforderlich seien. Wenn die erste deutsche
Universitätsbibliothek die umliegenden Liegenschaften aufkaufen muss, um
dorthin ihre Leseräume zu erweitern, wird auch das BMJ möglicherweise
die Absurdität dieser Formulierung begreifen.
Dies sind nur zwei aus unserer Sicht kritische Punkte, die wir in
unserer öffentlichen Stellungnahme zum Ausdruck bringen, die aus der
Praxis des Hochschulalltags heraus verfasst ist und die Sie unter
folgender URL finden:
http://www.prometheus-bildarchiv.de/downloads/prometheus_Stellungnahme.pdf
Wir appellieren inständig an Sie, im Gesetzgebungsprozess dafür Sorge zu
tragen, dass das Gleichgewicht der Interessen von Urhebern und Nutzern
ausgewogen bleibt und in der digitalen Informationsgesellschaft nicht zu
Ungunsten von Bildung und Wissenschaft verschoben wird!
Im globalen Wettbewerb werden Bildung und Wissenschaft in Deutschland
künftig durch das restriktive geplante Urheberrecht massiv benachteiligt
und von der Informationsgesellschaft weitgehend abgekoppelt. Dies läuft
allen bildungspolitischen Absichtserklärungen der Landesregierungen und
der Bundesregierung zuwider.
prometheus - Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung und Lehre
e.V.
(www.prometheus-bildarchiv.de)
29. April 2006
|