Lafontaine - Bündnis mit der PDS

Sehr geehrte Frau Pau,
als politisch interessierter mensch würde ich mich in den bundesweiten aufbau eines solchen bündnisses, sofern es zustandekommen sollte, gern einbringen. Mein standort ist nordhessen. Es würde mich freuen, von Ihnen zu hören.

mfg. joh. schmidt
Hessen
24. Mai 2005

Sehr geehrter Johannes Schmidt,

ich antworte Ihnen gern und schnell, aus Pirmasens, wo ich gerade unterwegs bin.

1. 

Die politische Linke ist in der Defensive, in Deutschland, in Europa, weltweit. Diese nüchterne und traurige Einschätzung legt den Schluss nahe: Alles, was linkes Gedankengut befördern und was Linke bewegen könnte, muss daher ernsthaft geprüft und versucht werden. Nicht, weil es um „die Linke“ geht, sondern weil es um Menschheits- und Zukunftsfragen geht. Dafür bin ich offen und bereit. Das vorweg.

2. 

„Die Linke“ in Deutschland in Deutschland gibt es nicht. Es gibt unterschiedliche Linke und verschiedene (Selbst-) Definitionen. Das linke Spektrum ist also vielfältig und zersplittert. Auch das ist nicht neu und auch das hat Gründe. Nachvollziehbare, weil sie inhaltlich begründet sind. Aufgesetzte, weil sie wichtigtuerisch sind. Hinzu kommen kulturelle Differenzen, zwischen Ost und West, zwischen alten und neuen Linken. Auch das vorweg. Denn oft höre ich: „Ihr Linken, ihr müsst euch doch vertragen.“

3. 

Nun haben sich linke Gewerkschafter und enttäuschte Sozialdemokraten - vor allem in den alten Bundesländern - zu einer neuen Partei, der WASG, zusammengerauft. Sie suchten für sich einen aktiven, politischen Ausweg, aus ihrer Enttäuschung über Entwicklungen, insbesondere seit 1998, also seit Rot-Grün regiert. Das ist legitim. Sie taten das allerdings ausdrücklich in Abgrenzung zur PDS. Das fand ich wiederum falsch. Die Berliner WASG versteht sich sogar als Alternative zur Partei des Demokratischen Sozialismus, sie hat die PDS sogar zum Hauptgegner erkoren. Das macht eine Kooperation auf Bundesebene zwischen WASG und PDS nicht leichter.

4. 

Die NRW-Landtagswahl galt für viele als Test - für die Bundestagswahl und dafür, wer mehr linke Anhänger für sich mobilisieren kann: Die PDS oder die WASG. Dass ich mich in NRW mehrfach für die PDS engagiert habe, versteht sich. Zumal ich die PDS immer als bundesweite Partei begriffen habe und auch weiterhin dafür streiten werde. Die CDU hat die Wahl gewonnen. Die SPD wurde durch die Wählerinnen und Wähler erneut abgestraft. Soweit die Ergebnisse im Großen, Regierungswechsel eingeschlossen.

5. 

Aber auch im Kleinen setzte die NRW-Wahl Zeichen: Die PDS verfehlte mit 0,9 Prozent ihr Ziel. Die WASG kam immerhin auf 2,2 Prozent, blieb damit aber auch erheblich unter ihren Erwartungen. Bleibt als Resümee: Addiert man das WASG- mit dem PDS-Ergebnis, so wählten immerhin 3,1 Prozent Parteien, sich für soziale Gerechtigkeit und gegen „Hartz IV“ engagieren. Das führt zu der Frage, ob beide nicht besser gemeinsam agieren sollten. Das Wahlergebnis enthält allerdings noch eine Sub-Botschaft. Nämlich: Die PDS wird es schwer haben, auf Bundesebene wieder die 5-Prozent-Marke zu knacken, für die WSAG aber dürfte das derzeit sogar ausgeschlossen sein - allemal bei vorgezogenen Neuwahlen.

6. 

Das führt nun offenbar bei der einem oder dem anderen von der WASG zum Umdenken - plötzlich gibt es Kooperations-Signale und seien sie vermittelt über Oscar Lafontaine. Im Frühsommer 2004 hatte ich dem designierten WASG-Vorstand Gespräche mit der PDS im Bundestag angeboten - damals noch vergeblich. Auch das gehört zur Chronologie der letzten Monate. Nun ist eine andere Situation. Die Frage nach - wie auch immer geformter Zusammenarbeit - steht. Anhand der zahlreichen Mails die im Karl-Liebknecht-Haus eingehen lässt sich sogar ablesen, viele Fragende drängen. Sie spüren eine neue Chance für Linke.

7. 

Das führt mich allerdings auf ein weiteres Feld. Denn es reicht natürlich nicht, wenn PDS und WASG auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner um den Einzug in den Bundestag kämpfen. Sie müssen im Erfolgsfall auch gemeinsam - im Team - politisch agieren. Es gibt viele Punkte, Kritiken, Forderungen, in denen ich mit der WASG übereinstimme. Es gibt viele Fragen, zu denen sich die WASG nicht äußert, die mir aber wichtig sind. Und es gibt Etliches, mit denen ich nichts anfangen kann oder das ich sogar ablehne. Kurzum: Es gibt bisher keine belastbare Abwägung, wie viel Schnittstellen die PDS und die WASG hätten, wie groß mögliche Differenzen sind und was überwiegt.

8. 

Das alles spricht nicht gegen eine intensivere Zusammenarbeit der PDS mit der WASG - im Gegenteil. Aber es spricht gegen kurzschlüssige, wahltaktische Bündnisse. Hinzu kommt: Wer das Wahlrecht kennt und wer die Fristen bedenkt, weiß: Ein wahlberechtigtes Bündnis zwischen PDS und WSAG ist selbst bei bestem Willen kaum zu schmieden. Ein Oliven-Bündnis, wie in Italien, lässt das deutsche Wahlrecht nicht zu. Was bleibt theoretisch: Variante 1: Eine der beiden Parteien löst sich auf tritt der anderen bei. Variante 2: Beide lösen sich auf und bilden gemeinsam eine neue Partei. Variante 3: Politikerinnen bzw. Politiker der einen Partei kandidieren auf offenen Listen der anderen. Soweit die mir bekannte Rechtslage. Wenn überhaupt, dann hätte wohl bestenfalls Variante 3 eine Minimalchance.

9. 

Mit Blick auf die vorgezogene Bundestagswahl bitte ich daher zu bedenken: Eine Gemeinsamkeit zwischen PDS und WASG ist die Ablehnung von „Hartz IV“, der gesamten „Agenda 2010“. Ich habe mehrfach gesagt: Sie ist der Gegenentwurf zu einem modernen, bürgerrechtlichen Sozialstaat. Wer dagegen im Bundestag ein Zeichen setzen will, der kann aus politischen, rechtlichen und pragmatischen Gründen nur die PDS wählen. Dazu ermutige ich - auch WASG-Anhängerinnen und - anhänger. Insofern gebe ich Oscar Lafontaine Recht: Niemandem ist geholfen, wenn zwei Anti-Hartz-Parteien mit jeweils 4,9 Prozent der Wählergunst scheitern. Daher bitte ich in der konkreten Situation gerade die WASG abzuwägen: Was ihr derzeit wichtiger ist: Ein linker Dauerstreit oder mit der PDS eine linke Opposition im Bundestag.

10. 

Die PDS tritt zu Wahlen prinzipiell mit offenen Listen an, offen auch für Befürworter der WASG. Das ist das aktuelle, und ich finde, das ist ein realistisches Angebot meiner Partei. Der PDS-Vorstand und der Berliner Landesvorstand haben dieser Tage entsprechende Gesprächsangebote erneuert.
Mein Fazit auf Ihre Frage ist also: Kommt die PDS nicht in Fraktionsstärke in den Bundestag, dann gibt es in Deutschland einen neoliberalen, parlamentarischen Durchmarsch und dann sinken auch die Chancen für linke Bündnisse, für eine bessere Politik.

Viele Grüße nach Nord-Hessen

Petra Pau
25. Mai 2005

 

 

25.5.2005
www.petra-pau.de

 

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