Sehr geehrter Frank Fröhlich,
vielen Dank für Ihre Post und Ihre Anregungen. Ich greife einige wenige auf. Richtig ist: Vieles, was derzeit in der Politik passiert, erscheint undurchsichtig und widersprüchlich. Nehmen wir nur zwei Beispiele:
Der Staat klagt, dass er seine Aufgaben nicht mehr finanzieren könne. Also baut er Leistungen ab. Zugleich verzichtet er durch seine Steuer-Politik auf Zig-Milliarden Einnahmen.
Die Arbeitslosigkeit wächst bei (noch) gleich bleibender Bevölkerung. Als Rezepte dagegen werden längere Arbeitszeiten und weniger Lohn gehandelt. Das aber schafft keine neuen Arbeitsplätze, sondern noch mehr Arbeitslose.
Als Grand-Problem wird auf die demografische Entwicklung verwiesen. Es gibt immer mehr Seniorinnen und Senioren, aber immer weniger Geburten. Wirkliche Strategien für ein kinderfreundliches Land gibt es nicht.
Ich könnte weitere Punkte, Widersprüche, Widersinne aufzählen. Ich möchte aber auf drei Grundfragen kommen:
Die erste haben Sie selbst gestellt: Was für ein Land, was für eine Gesellschaft soll Deutschland werden. Das Grundgesetz definiert die Bundesrepublik als einen (Bürger-)Rechts- und Sozialstaat. Davon entfernt sich Deutschland Stück für Stück.
Die zweite Frage ist die nach dem Sinn des Staates und der Aufgabe der Politik. Marktwirtschaft, zum Beispiel, ist dynamisch und zugleich ungerecht. Das ist eine dauernde Herausforderung für die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die gibt es aber immer weniger, stattdessen aber immer mehr Politik für die Wirtschaft.
Damit bin ich bei meiner dritten Frage: Wem gebührt das Primat - den Bedürfnissen der Gesellschaft und ihrer Menschen oder den Interessen der Unternehmen und ihrer Gewinne? Immer mehr Politiker geben der Wirtschaft den Vorrang. Was auch heißt: Sie entleeren die Politik.
Nun fragt man sich natürlich: Ist das alles Zufall, ein Versehen, Dummheit. Ich finde Nein. Es geht um Vorsatz. Ich empfehle, wenn es um die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung geht, gern den Zukunftsbericht der Freistaaten Bayern und Sachsen aus dem Jahre 1997. Darin wurde vieles von dem vorgezeichnet, was inzwischen umgesetzt wird.
Die makabre Generalbotschaft dieses CDU/CSU-Papiers - unterzeichnet von Edmund Stoiber und Kurt Biedenkopf - hieß: Deutschland ist im Konzert der Großen nur zu retten, wenn Eindrittel der Gesellschaft systematisch verarmt wird. Und das Schlimme ist: Viele glauben inzwischen die daraus abgeleiteten Sub-Texte: Arbeitslose sind selber schuld, Sozialhilfe-Empfänger schaukeln in der Florida-Matte, Ausländer sind Sozialschmarotzer...
Gegen diesen grassierenden und mit tibetanischen Gebetsmühlen verbreiteten Irrglauben müssen wir ankämpfen, als Linke, als Demokraten, als Humanisten. Gramcsi sprach mal von der kulturellen Hegemonie, die es zu erringen gelte. Sie liegt derzeit leider bei jenen, die für die Agenda 2010 oder den Zukunftsentwurf der CDU/CSU streiten. Obendrein schicken sich alte und neue Nazis an, Straßen, Parlamente und Köpfe zu erobern.
Abschließend: Es gibt Reformbedarf, sogar großen. Das Modell DDR hat sich als nicht lebenstauglich erwiesen und das Modell BRD-Alt lässt sich nicht einfach fortschreiben. Wir sind im 21. Jahrhundert und Stichworte, wie Globalisierung, sind keine Erfindungen, sondern Realität.
Aber die entscheidende Frage bleibt: Mit welchem Ziel wollen wir was und wie verändern? Parteiprogramme sind zumeist langweilige Lektüren. Ich empfehle Ihnen dennoch einen Blick in das aktuelle der PDS (s. www.sozialisten.de). Spannend und anders, als bei anderen großen Parteien, ist die Eingangsfrage: Nämlich was braucht jeder Mensch, um Mensch sein zu können. Von der Antwort auf diese Frage leiten sich alle Detailvorschläge ab.
Nun meine abschließende Empfehlung:
Sie haben sich mit Ihrem Schreiben offenbar an alle Parteien gewandt. Das ist gut, aber das reicht nicht. Das, was Sie umtreibt, betrifft Millionen Menschen und das lässt sich nicht delegieren. Engagieren Sie sich weiter und drängen Sie auf Veränderungen. Ich werde es auch tun.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Pau
31. März 2005
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