Geändert hat sich bisher nichts

Petra Pau auf der Pressekonferenz zum NSU-Untersuchungsausschuss in Erfurt

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1. 

Die NSU-Nazimord-Serie ist seit einem halben Jahr bekannt.
Das klingt schon fast wie Vergangenheit.
Auch die meisten Medien haben längst umgeschaltet.
 
Aktuell erinnert nahezu nur noch der norwegische Prozess gegen den Nazi Breivik und seinen Massenmord an das deutsche NSU-Todes-Netzwerk.
Sie sind im Geiste verbunden und nicht allein.

2. 

Die Aufklärungen hierzulande sind noch immer im Anfangsstadium.
Nach Thüringen und dem Bundestag hat nun auch Sachsen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt.
 
Unklar und zunehmend merkwürdig finde ich die Stille in Bayern.
Dort fanden immerhin fünf der zehn NSU-Morde statt.
Doch das CSU-dominierte Landesparlament ruht stumm.

3. 

Zudem ist bekannt, dass die Neonazi-Szene in Bayern, Sachsen und Thüringen sehr wohl vernetzt ist. Es gibt personelle Verbindungen zwischen Jena, Zwickau und Nürnberg.
 
So lange aber jedes Bundesland sagt, my home is my castle, wurde nichts begriffen. Kein Föderalismus steht dem entgegen, nur Mangel an demokratischer Vernunft.

4. 

Journalisten wundern sich über den UA im Bundestag. Noch immer gäbe es keinen Streit zwischen den Fraktionen.
Ja, das ist bislang (weitgehend) so.
 
Ich hoffe, das bleibt auch noch möglichst lange so.
Es geht immerhin um zehn Tote und um noch mehr Angehörige.
Und um ein grandioses Versagen aller Sicherheitsbehörden.

5. 

Dabei geht es um fachliches, vor allem aber auch um politisches Versagen. Angeblich wurde bei allen NSU-Morden in alle Richtungen ermittelt. Letztlich aber nie konsequent gegen Rechtsextremisten.
 
Es war politisches Versagen, sagt heute auch der damalige Bundesinnenminister Schily, spät aber richtig. Er schloss schon einen Tag nach einem Anschlag in Köln 2004 rechtsextreme Hintergründe aus.
 
So wurde bei den acht Morden an Türken vor allem gegen Türken in aller Welt ermittelt. Und beim NSU-Mord an einer Polizistin in Heilbronn waren Sinti und Roma im Visier, bis nach Serbien und Frankreich.

6. 

Das letzte dürfte ich ihnen gar nicht sagen. Die einschlägigen Akten sind geheim. Aber die taz brachte am 12. 4. einen Artikel „Heiße Spur ins Zigeuner-Milieu“. Ich widerspreche ihm ausdrücklich nicht.
 
Apropos Akten: Zumindest die Bundesbehörden liefern derzeit.
Bis gestern waren in meinem Büro über 10.000 Seiten aufgelaufen.
Nun suchen wir die Nadeln in Heuhaufen.

7. 

Der UA des Bundestags hat bisher Grundlagen gelegt. Es gab Anhörungen zur Opferperspektive, zur Entwicklung der rechtsextremen Szene und zur Sicherheitsarchitektur. Das war wichtig.
 
Mein Fazit bisher: Wirklich geändert hat sich bislang nichts. Nicht im Innen-Ministerium, nicht im Familien-Ministerium, nicht im Bundeskanzleramt. Sie alle haben kurz aufgestöhnt. Das war's.

8. 

Das Bundesinnenministerium will eine neue Verbunddatei und ein neues Bund-Länder-Zentrum gegen Rechtsextremismus wurde eingerichtet.
Beides gab es vordem schon - sie wurden abgeschaltet.
 
Zugleich werden olle Kamellen nun mit der NSU-Mordserie begründet: zum Beispiel die Vorratsdaten-Speicherung. Sie hätte nicht geholfen und sie bleibt aus meiner Sicht verfassungswidrig.

9. 

Der BT-UA befasst sich mit den zehn bekannten NSU-Morden. Seit 1990 wurden aber 150 bis 180 Menschen umgebracht.
Die Serie ist einmalig. Aber sie steht nicht allein.
 
Deshalb bleibt meine zentrale Frage:
Warum wurde der Rechtsextremismus so lange, so gründlich, so tödlich unterschätzt. Und warum ist das noch immer so.

10. 

Letzter Punkt: Wir brauchen eine neue Herangehensweise an die schlimmen Phänomene Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Das aktuelle heißt: „Der vormundschaftliche Staat.“
 
Sie kennen diesen Titel vielleicht aus ausgehenden DDR-Zeiten.
Aber es ist so: Wer ein guter und wer ein böser Antifaschist ist, entscheidet letztlich der Verfassungsschutz. Das ist absurd.
 

Erfurt, den 20. April 2012

 

 

20.4.2012
www.petra-pau.de

 

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