Die Bundes-Politik forciert die eigentliche Zeitbombe

Statement von Petra Pau auf der Pressekonferenz in Erfurt zu Untersuchungsausschüssen zu NSU-Morden

1. 

Der Untersuchungsausschuss des Bundestags wurde fraktionsübergreifend eingesetzt. Alle Fraktionen haben bekräftigt, sie wollen eine gründliche Aufklärung. Alle Fraktionen haben betont, es geht um die Sache, nicht um Parteipolitik. Wie lange das Gemeinsame hält, wird sich zeigen.

2. 

Mich interessieren vor allem drei Fragen.
Erstens: Warum wird die rechtsextremistische Gefahr so unterschätzt?
Zweitens: Ist der Verfassungsschutz nur unnütz oder gar schädlich?
Drittens: Wie kommen wir zu einem Konzept gegen Rechtsextremismus?

3. 

Zu den strittigen Fragen gehört, ob der Untersuchungsausschuss des Bundestages auch Landesbehörden vorladen kann. Ich sage: Er kann. Dafür sprechen Gesetze und Urteile. Umgekehrt stellt sich die Frage: Warum sollten sich Landesbehörden einer Aufklärung entziehen?

4. 

Es geht wieder einmal um die Rolle von V-Leuten. Ich bleibe dabei: Sie sind vom Staat gekaufte Spitzel und bezahlte Täter. Sie sind keine Lösung, sondern ein Problem. Hinzu kommt: So lange die CDU an der V-Leute-Praxis festhält, garantiert sie der NPD das Parteien-Privileg.

5. 

Aktuell geht es um zehn Tote, die den NSU-Nazis zugeordnet werden. Die Bundesstatistik weist - über die NSU-Morde hinaus - seit 1990 48 Tote aus. Seriöse Recherchen gehen im selben Zeitraum von 150 und mehr Morden aus. Diese Differenz ist politisch, nicht statistisch.

6. 

Schließlich bitte ich bei allen Fehlern oder Zutun der Sicherheitsbehörden nicht auszublenden: Was bereitet Rechtsextremisten einen Boden zunehmender Akzeptanz? Der millionenfache Zuspruch für Sarrazin ist jedenfalls kein Ausdruck gesellschaftlicher Gegenwehr.

7. 

Ich empfehle ihnen dazu die Langzeitstudie über „Deutsche Zustände“ von Prof. Heitmeyer & Team. Das Fazit lautet: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu: Gegen Ausländer, gegen Schwule, gegen Obdachlose, gegen alle, die scheinbar noch tiefer rangieren.
 
Mit Artikel 1 Grundgesetz hat das alles nichts zu tun. Im Gegenteil. Das Heitmeyer-Team resümiert: Das Soziale wird ökonomisiert. Die Demokratie wird entleert. Die Solidarität schwindet. Das ist die eigentliche Zeitbombe, forciert von der Bundespolitik.

8. 

Maßnahmen der Innenminister
 
 Wie sie wissen haben der Bundesinnenminister und seine Landeskollegen auf die Nazi-Mordserie reagiert. Im Kern sind es drei Maßnahmen:
 
•  Ein Zentrum gegen Rechtsextremismus soll gebildet werden,
•  einschlägige Täter sollen in einer Verbunddatei erfasst werden,
•  und eine Bund-Länder-Sonderkommission soll Schwachstellen ermitteln.
 
 Ich bitte sie mir einen Moment in die Geschichte zu folgen:
 Ab 1992 gab es eine "Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer / -terroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte" - Abkürzung IGR.
 
 In ihr sollten alle Informationen zusammenfließen, über die Polizei, Kriminalämter und Geheimdienste im Bund und in den Ländern verfügten. Also ein Vorgänger des neu geschaffen Abwehrzentrums.
 
 Anfangs tagte die IGR häufig, später seltener, 2007 wurden die informellen Treffen komplett eingestellt. Was ja nur bedeuten kann: Weder im Bund noch in Ländern gab es Hinweise auf Rechtsterrorismus.
 
Hinzu kam, dass die Spezialdatei des BKA über rechtsextreme Kameradschaften 2010 gelöscht wurde. Noch mal realitätsferne Entwarnung von Amts wegen.

9. 

Geheimhaltung der Bundesregierung
 
Vor diesem Hintergrund hat nun die Fraktion DIE LINKE bei der Bundesregierung nachgefragt, welche Informationen denn der Verfassungsschutz, der BND, der MAD, das BKA usw. überhaupt hatten.
 
Die Antwort aus dem Bundesinnenministerium liegt inzwischen vor. Sie besagt:
•  Aus Geheimhaltungsgründen könne nicht öffentlich geantwortet werden.
•  Einige Antwortung könne man im Geheimhaltungsraum lesen.
•  Andere sind so geheim, dass sie nicht mal "Verschriftlich" werden dürfen. Sarkastisch könnte ich kommentieren: Nichts gewusst, aber auch das Nichts ist geheim.
 

Erfurt, den 2. Februar 2012

 

 

2.2.2012
www.petra-pau.de

 

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