Petra Pau, die seit 1998 für die PDS im Bundestag sitzt, ist der Meinung, dass die Wahlentscheidung am 18. September nicht Schröder oder Merkel heißt, sondern: Sozialabbau oder soziale Gerechtigkeit. Mit der 41-jährigen sprach Gabriele Oertel.
Bundespräsident Köhler hat am Donnerstagabend den Bundestag aufgelöst. Wie fühlt man sich als aufgelöste Abgeordnete?
Ich fühle mich überhaupt nicht aufgelöst und werde selbstverständlich meinen Pflichten bis zur Konstituierung des neuen Bundestages nachkommen. Ich finde es aber politisch richtig, dass der Weg für Neuwahlen und damit für eine Volksabstimmung über den politischen
Kurs frei ist.
Die Vertrauensfrage des Kanzlers war doch aber eindeutig
eine fingierte Angelegenheit?
Richtig. Das gehört zu den Dingen, die sich aus
meiner Sicht sowohl Schröder als auch die ihn tragende
Regierungskoalition vorwerfen lassen müssen. Das ist im
Übrigen nicht neu. Der Kanzler hatte ja auch die
Abstimmung über die Beteiligung der Bundesrepublik am
Krieg gegen Afghanistan mit der Vertrauensfrage
verknüpft. Da kam es zu der absurden Situation, dass die
Abgeordneten der konservativen Opposition, die unbedingt
in den Krieg nach Afghanistan ziehen wollten,
gegen diesen Einsatz stimmten - weil er mit der Vertrauensfrage
verknüpft war. Und Abgeordnete der Regierungskoalition,
die zum Teil gegen einen solchen Kriegseinsatz
waren, wiederum sahen sich genötigt, Schröder das Vertrauen
auszusprechen und stimmten für den Einsatz. Insofern hat der
Kanzler wie die rot-grüne Koalition erhebliche
Demokratiedefizite.
Sollte die Abgeordnete einer Linkspartei aber derlei
Praktiken nicht eigentlich Widerstand entgegensetzen?
Zunächst: Ich halte Neuwahlen für politisch vernünftig,
sie entsprechen der Mehrheitsmeinung im Bundestag
und in der Bevölkerung. Und außerdem: Weder Gesine Lötzsch
noch ich hatten bei Schröders Vertrauensfrage ein Problem:
Wir haben kein Vertrauen zu diesem Kanzler. Aber
die Kollegen Jelena Hoffmann und Werner Schulz kann
ich gut verstehen.
Der Kanzler-Wunsch nach Neuwahlen geht vermutlich
in Erfüllung. Er wünscht sich damit auch die Abstimmung
des Souveräns über seine Politik. Wie geht's aus?
Ich bin keine Hellseherin. Ich werde aber jetzt
alle Kraft darauf verwenden, dass die Wählerinnen und
Wähler tatsächlich erfahren, worüber abgestimmt wird.
Es geht nicht darum, ob Angela Merkel Kanzlerin
wird oder Gerhard Schröder es bleibt. Es geht um eine
Volksabstimmung über die Agenda 2010, die von
konservativer Opposition und Rot-Grün gemeinsam getragen
wurde und der Gegenentwurf zu einem demokratisch verfassten
Sozialstaat ist. Wir stellen dem eine Agenda Sozial gegenüber.
Die Wählerinnen und Wähler haben also die Möglichkeit,
zwischen zwei politischen Konzepten zu entscheiden.
Sie nehmen Abgeordnetenpflichten weiter wahr, haben
Sie gesagt. Was passiert eigentlich in den nächsten
58 Tagen?
Der 15. Deutsche Bundestag bleibt im Amt bis zur
Neuwahl. Am 10. August habe ich den nächsten Wahlkreis-Tag.
In der ersten Septemberwoche ist er zur Sitzung einberufen.
Ich gehe davon aus, dass dort sowohl der Haushaltsentwurf
von Finanzminister Eichel als auch der Abschlussbericht
des Visa-Untersuchungsausschusses auf der Tagesordnung
steht. Gleichzeitig erwarte ich, dass die Bundesregierung
anstehende Fragen von Militärmandaten im Ausland natürlich
diesem Bundestag zur Abstimmung vorlegt. Ich werde
außerdem an Beratungen des Innenausschusses teilnehmen.
Das Bundesverfassungsgericht gab dem Bundestag völlig
zu Recht Hausaufgaben zum EU-Haftbefehl auf. Ich rechne mit weiterem
nächste Woche zum Lauschangriff.
Das Bundesverfassungsgericht hat ja ohnehin in Schröders
Regierungsjahren eine sehr große Rolle gespielt,
weil manches nun wirklich nicht so lief, wie es hätte
laufen müssen. Ist damit zu rechnen, dass Karlsruhe
bei der Frage Neuwahlen noch ein Strich durch seine Rechnung
macht?
Dies ist sehr gut möglich. Das Verfassungsgericht
ist da souverän und ich werde mit Achtung das Ergebnis
entgegennehmen. Aber richtig ist der Befund, dass Rot-Grün,
welches ja aufgebrochen ist, um mehr Demokratie
zu wagen, eher die Demokratie im Land abgebaut hat.
Nehmen wir nur das 98er Wahlversprechen und die 2002er
Koalitionsvereinbarung - da war immer von Volksentscheiden
die Rede. Dann hat der Kanzler erklärt, es gibt
mit ihm keine Volksabstimmung, basta!
Jetzt allerdings hat der Kanzler zu einer Volksabstimmung
über sich selbst aufgerufen.
Und die soll er bekommen.
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