von Petra Pau, PDS im Bundestag
in: Das Blättchen, Nr. 26 vom 23. Dezember 2003
Bürgerrechtler zu DDR-Zeiten hießen Dissidenten. Das war aus Westsicht positiv gemeint. Widerständige in der BRD heißen Abweichler und das soll negativ klingen. Der Duden bietet statt Dissident auch Freidenker und für Abweichler Ketzer an. Als unbelehrbar gelten jene, die zu DDR-Zeiten opponierten und zu BRD-Zeiten schon wieder abweichen. Andere Dissidenten von einst haben sich prostituiert. Sie geifern rückwärts: Gegen Staatssicherheit, gegen Militärdenken, für Bürgerrechte. Und sie eifern vorwärts: für Militäreinsätze, für Geheimdienste, gegen Bürgerrechte.
Nach dem 11. September 2001 meldeten sich zwei Dutzend Unbelehrbare zurück. Wir haben es satt!, war ihr Appell überschrieben. Ein Satz daraus heißt: Keiner von uns hat damit gerechnet, daß nach Beendigung des Kalten Krieges die Telephonabhöraktivitäten steil ansteigen, daß die von uns abgerissenen Stasi-Videokameras nur durch neue ersetzt werden. Sie wollten überhaupt keine Geheimdienste mehr, keine östlichen, keine westlichen, keine deutschen, keine ausländischen. Als jüngst publik wurde, dass der Bundes-Nachrichten-Dienst (BND) Quartier in Berlins Mitte begehrt, da regte sich spontan Widerstand. Die einen wollten ihr Wohnumfeld nicht bewehrt wissen. Andere fanden das ganze Amt schlicht überflüssig. Ein SPD-Senator erteilte ihnen flugs eine Lektion über gute und schlechte Geheimdienste. Gelacht wird im Kabarett.
Vor kurzem war ich Hotel-Gast. Im Zimmer lag ein freundlicher Hinweis. Demnach wurden meine persönlichen Daten weitergegeben, um mir auch künftig günstige Angebote unterbreiten zu können. Sie seien nun in den USA gespeichert und für 20 US $ könne ich sie einsehen. Die Hotelkette betreibt weltweit über 2000 Filialen in 58 Staaten aller Coleur. Das Merkblatt trug die Überschrift Datenschutz. Zwei Tage später meldeten die Agenturen: Die USA und Deutschland wollen zur Terrorismus-Bekämpfung die Daten Reisender wesentlich umfangreicher als bislang austauschen. Den Reiseverkehr, so Innenminister Schily (SPD), werde das natürlich nicht beeinträchtigen. Das beruhigt ungemein.
Die EU wächst und sie wird verfasst. Das Parlament soll mehr Rechte erhalten. Interpol hat sie längst. Obendrein werden Haftbefehle künftig wechselseitig anerkannt und Beweismittel ausgetauscht. So wird ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geschaffen, sagt der zuständige EU-Kommissar Antonio Vitorino. Derweil kursiert der Entwurf einer neuen EU-Verordnung. Danach sollen zwei biometrische Daten mit Hilfe von Chips in Ausweisen und Visa gespeichert werden. Möglich sei auch die Aufnahme eines dritten Merkmals, zur Iriserkennung. Anfang der 80er Jahre wurde in der BRD eine simple Volkszählung gestoppt. Zu Recht, befand das Bundesverfassungsgericht damals und stärkte den Datenschutz. Nun werden andere Zeiten aufgezogen.
Ein verlässlicher Garant für bürgerrechtliche Unmöglichkeiten ist Brandenburgs Innenminister Schönbohm (CDU). Sein jüngster Vorschlag: Schulschwänzer sollen mit einer elektronischen Fußfessel gebannt werden, damit sie nicht noch krimineller werden. E-Fesseln gelten als Gefängnis im Freien. Sie signalisieren, sobald sich sein Träger bewegt und wohin. Ein pädagogisches Hochlicht, allemal bei schulschwänzenden Kindern. Wehret den Anfängen, findet auch die CDU in McPomm. Sie will die DNA aller Neugeborenen speichern und buhlt dafür - erfolgreich - bei der SPD. Spätere Opfer könnten so schneller identifiziert und spätere Täter schneller ermittelt werden. So oder so, das Leben wird vorgezeichnet, datentechnisch.
Ich erinnere mich gut an eine Podiumsdiskussion. Es ging um Bürgerrechte. Plötzlich fragte jemand: Nähern wir uns Big-Brother, der totalen Überwachung? Statt einer Antwort erzählte ich die Geschichte eines Mitarbeiters. Er lief gern zur Arbeit, zwei Kilometer, vom Alex bis zum Reichstag. Dabei gibt es 150 Meter, hatte er beobachtet, auf denen er nicht videoüberwacht wird. Der Datenschutz-Beauftragte von Sachsen-Anhalt fasste sich kürzer und beschied die Frage nach Big-Brother mit einem klaren "Ja". Aber auch er hatte eine Episode parat. Zwei Partner unterbrachen ihr Telefonat, damit Internes nicht an Dritte gelange. Ich faxe Dir das besser, soll der eine gesagt haben. Wir waren beim Komplex naiver Leichtsinn angelangt.
Wer im Internet surft, hinterlässt Spuren. Wer sich im Auto navigieren lässt, wird geortet. Wer ein modernes Handy hat kann selbst dann abgehört werden, wenn er nicht telefoniert. Die Technik macht's möglich, die Gesetze lassen es zu, wir vielfach Ahnungslosen zahlen für die Rundum-Erfassung noch die Grundausstattung und die laufenden Gebühren. So häuft sich der Alltagsabfall zum geheimen Sondermüll. Auf jedem Medikament ist vermerkt, welch böse Nebenwirkungen ihm innewohnen. Inzwischen drohen Zigarettenschachteln mit großen Lettern: Rauchen tötet! Wäre es nicht naheliegend, jeden Computer, jedes Handy oder jede E-Card wenigstens mit dem Verweis zu versehen: Schützen Sie sich und ihre Daten?
Ich weiß nicht, ob dies mehr nützt, als der hilflose Tabakaufdruck. Aber derzeit warnt fast niemand mehr, kein Dissident, kein Abweichler, kein Freidenker, kein Ketzer. Und wer dennoch opponiert, wird ausgeblendet. Die Bürgerrechte sind verbrieft. Aber die Briefgeschäfte werden vermarktet. Mein Hotel hat mich daran erinnert und die vorherrschende Politik forciert diese Entmündigung. Der gläserne Mensch ist längst dem Horror-Buch entsprungen - mit Sicherheit.
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