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FORUM: Sollte der Zentralrat der Juden das Mahnmal-Kuratorium verlassen?

11. Dezember 2003

PRO: Nix wie weg!
von Henryk M. Broder

Schon möglich, daß die Idee, ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin zu bauen, ganz ehrenwert war. Sie entstand Ende der achtziger Jahre, als es die Bonner Republik noch gab und die deutsche Vergangenheit im Vollrausch der westdeutschen Zufriedenheit unterzugehen drohte. Man hatte sich gemütlich in einer Nische der Geschichte eingerichtet, genoß den Wohlstand und die Sicherheit, die von den Alliierten garantiert wurde, stellte am 17. Juni Kerzen in die Fenster, feierte den Karneval und die Woche der Brüderlichkeit und kam an jedem 9. November zusammen, um „Wehret den Anfängen!“ zu rufen.

Da wäre ein Ort der Verstörung, eine kleine, offene Wunde in der Idylle nicht verkehrt gewesen. Nur hatte die ehrenwerte Idee einen kleinen, aber relevanten Schönheitsfehler. Man wollte nur an die Juden erinnern, die anderen Opfergruppen – die Homosexuellen, die Zigeuner, die geistig und körperlich Behinderten, die politisch und religiös Verfolgten, die Deserteure – sollten unbedacht bleiben. Die Vernichtung der Juden, hieß es, sei das wichtigste Ziel der NS-Politik gewesen, der Kern- und Angelpunkt der NS-Philosophie. Das stimte. Deswegen müßten die Juden ein Mahnmal ganz für sich bekommen, um die anderen Gruppen würde man sich später kümmern. Das war falsch. Denn es bedeutete die Übernahme der von den Nazis vorgegebenen Hierarchie der Opfer. Die Juden zuerst! Es bedeutete, daß die Sonderbehandlung fortgesetzt wurde, diesmal mit positivem Vorzeichen.

Natürlich meinten es die Initiatoren des Mahnmals gut, sie merkten nicht einmal, auf was für einen gruseligen Weg sie sich begaben. Und die Juden übersahen, daß sie wieder selektiert wurden. Viele ahnten jedoch, so viel Auffälligkeit könnte antisemitische Reaktionen provozieren. Die offizielle Haltung des Zentralrats der Juden in Deutschland war zu Recht: „Macht, was ihr wollt, aber laßt uns draußen. Wenn die Deutschen das Mahnmal wollen, dann sollen sie es bauen. Wir brauchen es nicht.“ Das änderte sich erst, als der Bundestag im Juni 1999 das Projekt adoptierte und ein „Kuratorium“ gebildet wurde, in das auch Vertreter des Zentralrats berufen wurden. „Wie hätte es denn ausgesehen“, sagt einer der Berufenen heute, „wenn der Bundestag ja sagt und wir nein sagen oder: Ohne uns?“ Also ließen sich die Juden, ganz wörtlich, über den Tisch ziehen und erklärten das Projekt für koscher. Was aber wäre passiert, wenn sie in der Tat „nein“ oder wenigstens „ohne uns“ gesagt und ihre Entscheidung höflich, aber bestimmt begründet hätten? Nichts wäre passiert, das Projekt wäre weitergegangen und die Juden säßen heute nicht mit Degussa in einem Boot. Doch jetzt sitzen sie da und sollen die Suppe auslöffeln, die sie mit gekocht haben. Denn das Mahnmal, das wissen sie genau und intern sagen sie es auch, dient nicht mehr der Erinnerung an die ermordeten Juden, sondern der Rehabilitation von Firmen, die beim Holocaust mitgemacht haben, vorneweg Degussa, die nicht nur über eine Tochterfirma das Zyklon B für die Gaskammern lieferte, sondern auch das Zahngold der vergasten Juden verarbeitete. Aber, sagt etwa Avi Primor, der Wunderheiler gegen deutsche Phantomschmerzen, die Degussa von heute ist nicht mehr die Degussa von damals. Gut beobachtet, Avi! Seit 1945 stellt die Degussa kein Giftgas mehr her und dafür muß man ihr auch dankbar sein. Am besten wäre es, raunt ein jüdischer Vertreter im Kuratorium, „wenn der Bundestag seinen Beschluß revidieren würde“. Aber er weiß, daß es nicht passieren wird. Also bleiben die Juden an Bord, wie blinde Passagiere, die hoffen, daß die Reise bald endlich vorbei ist. Wir aber sehen dem Tag mit Spannung entgegen, da Vertreter des Zentralrats und der Degussa nebeneinander an der Einweihung des Holocaust-Mahnmals teilnehmen werden. Optimal wäre der Tag der Deutschen Einheit. Die Degussa hat den Juden längst verziehen, nun sind die Juden an der Reihe.

Henryk M. Broder ist als Publizist, Reporter des „Spiegel“ und Autor der Jüdischen Allgemeinen seit Jahren gegen das „Holocaust-Mahnmal“.

CONTRA: Hiergeblieben!
von Petra Pau

Warum bin ich nicht von selbst drauf gekommen? Warum mußte mich erst der Streit um eine Baubeteiligung der Degussa darauf stoßen, daß da ein weiteres unbedachtes Problem lauert? Und warum fällt es mir nun, da es offenbar ist, so schwer, eine schlüssige Antwort zu finden? Vielleicht war ich zu kurzsichtig, als ich 1999 überzeugt für ein Holocaust-Mahnmal in Berlin stimmte? Ganz sicher aber stimmt: Die anhaltende Debatte ist schon jetzt ein Teil desselben Mahnmals, das unweit des Brandenburger Tors entsteht.

Manche bestreiten den Sinn dieses Streits. Schlimmere fordern gar: „Der Worte sind genug gewechselt.“ Wiederum andere fühlen sich bekräftigt, weil sie ein „deutsches Denkmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden Europas“ schon immer für falsch hielten, das von Peter Eisenman allemal. „Es ist von oben verordnet“, heißt es. „Viel zu teuer“, lese ich. „Völlig unangemessen“, höre ich.

Ich bin Lehrerin und Politikerin, in Architektur-Dingen also Lernende. Die gestaltende Kompetenz kommt anderen zu. Meine Maßstäbe sind schlichter: Weckt das Denkmal Fragen, schafft es Unruhe, provoziert es? Ich weiß nicht, ob der Stelen-Wald von Peter Eisenman vermag, was ich mir erhoffe. Selbst das fertige Mahnmal wird darauf keine schlüssigen Antworten geben, bestenfalls viele einzelne, ganz individuelle Antworten. Das ist fürwahr ein Risiko, aber ein lohnendes.

Wie andere Abgeordnete auch empfange ich viel Besuch, häufig Schülerinnen und Schüler. Sie lassen sich etwas über den parlamentarischen Alltag erzählen und sie durchstreifen die gläserne Kuppel. Spannend wird es meist, wenn ich sie im Reichstag zu den historischen Zitaten führe, die erhalten oder neu geschrieben wurden. Dazu gehören drei Bücher. Sie liegen in der Lobby aus. Jede Seite ist eine Kurzbiographie von Parlamentariern, die in der NS-Zeit verfolgt und ermordet wurden.

An der Stirn des Gemäuers steht ehern der Satz: „Dem deutschen Volke“. Im Innenhof widerspricht seit fünf Jahren ein begraster Kasten mit der Inschrift: „Der Bevölkerung“. Dieses Projekt war von Anfang an höchst umstritten, künstlerisch und politisch. Ich führe die Jugendlichen bewußt dorthin, um sie nachdenken und streiten zu lassen. Sehr oft gelingt es. Wir reden dann über deutsche Geschichte und persönliche Verantwortung. Deshalb plädiere ich für solcherart anstößige Verunsicherung. Sie ist etwas anderes als das Gerede von ewiger Schuld oder über die Gnade der späten Geburt.

Vor kurzem wurde auf dem Potsdamer Platz ein alter Sockel „geweiht“. Er erzählt eine doppelte Geschichte. Eine über Karl Liebknecht, der 1914 als Sozialdemokrat gegen die Kriegskredite stimmte und 1919 ermordet wurde, weil er Kommunist war. Eine zweite über ein Denkmal, das geplant, aber nie vollendet wurde, nicht zu DDR-Zeiten, nicht danach. Nun steht der Stein allen im Wege, die durch den Alltag hasten. Ausgerechnet die Zeitung Neues Deutschland kommentierte dagegen: „entweder ein richtiges Denkmal oder keines.“

Doch was ist ein richtiges Denkmal? Ich habe gelernt: Allem, was fertig oder üblich dünkt, ist zu mißtrauen. Die Bedenken gegen ein deutsches Mahnmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden Europas kommen von Betroffenen und von Tätern. Zuweilen ähneln sich sogar die Argumente. Es werde auch ohne Denkmal genug oder falsch über den Holocaust diskutiert. Die Hinter- und Vordergründe dieser Meinungen sind gegensätzlich, aber sie treffen sich. Ich teile weder die Befunde noch die Konsequenz. Es wird mitnichten hinreichend debattiert, was Antisemitismus ist und wohin er führt. Im Gegenteil: Er findet – unheimlich – Zuspruch.

Im Bundestag gab es im Jahr 2000 eine große Aussprache. Anlaß bot der Anschlag auf jüdische Aussiedler, die in Düsseldorf eine Heimat suchten. Es folgte ein „Aufstand der Anständigen“. Dann herrschte wieder offizielle Ruhe im Lande, nur unterbrochen durch die „Fälle“ Möllemann und Hohmann. Zum deutschen Alltag zwischen den Aufregungen aber gehören Synagogen und jüdische Schulen und Kindergärten, die bewacht und beschützt werden müssen. Vielleicht sind sie sogar das bewegendere Mahnmal. Nur: Diese Heimkehr der Angst will ich bedacht, aber mitnichten bewahrt wissen.

Und so geht es weiterhin um ein deutsches, kein jüdisches, Denkmal, das neben dem Brandenburger Tor begonnen wurde und nun erneut bezweifelt wird. Dürfen Unternehmen, deren Vorgänger am Holocaust verdient haben, daran mitbauen? Das ist die aktuelle „Degussa-Frage“. Ich finde ja, und ich bin zugleich unsicher. Ja, weil alles andere suggeriert, die Bundesrepublik hätte keine deutsche Vorgeschichte, oder eine, die sich einfach verdrängen läßt. Unsicher, weil es um ein Mahnmal in Respekt gegenüber Jüdinnen und Juden geht. Ihre Bedenken wiegen folglich schwerer als ein umstrittenes Baugeschäft.

Wenig hilfreich ist es allerdings, das zuständige Kuratorium anzufeinden oder es zu verlassen. Es sei denn, man will das Mahnmal überhaupt nicht haben. Ich jedenfalls werde weiter dafür werben, mit allen Zweifeln und Ungewißheiten.

Petra Pau MdB, sitzt seit 1998 für die PDS im Bundestag und hat 2002 das Direktmandat in Marzahn-Hellersdorf gewonnen.
 

 

 

13.12.2003
www.petra-pau.de

 

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