Berliner Zeitung

„Der Mythos vom faschistischen Putsch ist widerlegt“

Die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau zur ost- und westdeutschen Geschichtsschreibung über den 17. Juni

Aus: Berliner Zeitung, Sonderbeilage, 14. 06. 2003

Die PDS hat die Ereignisse des 17. Juni gut aufgearbeitet, sagt die Bundestagsabgeordnete Petra Pau.

Frau Pau, einige Opferverbände wollen den Gedenkfeiern zum 17. Juni fern bleiben, weil die PDS teilnimmt. Können Sie das verstehen?

Nein. Ich verstehe das heute noch weniger als in den vergangenen Jahren. Seit der Wende nehme ich an Gedenkfeiern zum 17. Juni teil, treffe mich mit Zeitzeugen und Opferverbänden. Meist hat sich hinterher gezeigt: Alle haben davon profitiert.

Die SED-Verfolgten werfen der PDS aber vor, sie hätten den Aufstand nicht ehrlich aufgearbeitet.

Damit kann ich nichts anfangen. Die PDS hat in einer Erklärung den Aufstand als einen der Sargnägel der DDR bezeichnet. In unserer Gründungserklärung haben wir uns bei der Bevölkerung der DDR für die Ereignisse entschuldigt und das damalige stalinistische Sozialismus-Modell klar verurteilt.

Die Praxis sieht manchmal aber anders aus. Ein Beispiel: Die PDS-Fraktion hat in Berlin-Marzahn verhindert, dass Straßen nach Menschen benannt werden, die damals auf die Straße gingen. Wie erklären Sie das?

In Pankow und Kreuzberg-Friedrichshain, beides Bezirke mit starker PDS, werden Straßen umbenannt. Dort ist es auch richtig, weil es authentische Orte gibt, die einen historischen Bezug zum 17. Juni haben.

In der PDS gibt es aber immer noch sehr viele, die den Aufstand als eine vom Westen gesteuerte Konterrevolution sehen. Wie kann die PDS da glaubwürdig sein?

Das war das von der SED bis 1989 vertretene Geschichtsbild. Es war falsch, das belegen auch Historiker, die der PDS nahe stehen. Der Mythos vom westgesteuerten faschistischen Putsch ist widerlegt. Zur Geschichte gehören aber immer auch Erlebnisse oder Überlieferungen. Daraus erklären sich unterschiedliche Sichten. Nehmen Sie etwa den ehemaligen Volkspolizisten, der mit den Ereignissen selbst gar nichts zu tun hatte. Der sieht möglicherweise seine Lebensgeschichte in Frage gestellt oder delegitimiert, nur weil er seinen Beruf immer ernst genommen hat. Darauf sollte man Rücksicht nehmen.

Ist der 17. Juni für Sie persönlich ein Ereignis der Freiheitsgeschichte?

Man sollte die Ereignisse nicht gleich auf die Ebene der Französischen Revolution heben, wie es Marianne Birthler tut. Es ist aber ein Tag, bei dem Menschen auf demokratische Teilhabe und Mitbestimmung gepocht haben. Das wurde ihnen verwehrt und das ist aus heutiger Sicht scharf zu verurteilen. Einen gerechten Sozialismus kann es nicht ohne Demokratie geben.

Wie sehen Sie die westdeutsche Geschichtsschreibung?

Viele Historiker mühen sich seit Jahrzehnten um eine realistische Darstellung. Politiker pflegen gern ihre eigene Sicht. So gab es nicht nur in der DDR Mythen. Umso weiter man von Berlin Richtung Westen geht, umso größer werden diese. So glauben noch heute viele in den alten Ländern, es hätte in der SED keinerlei Widerstand gegen den damaligen Kurs gegeben. Das aber ist falsch. Manchmal nervt die westdeutsche Besserwisserei.

Das Gespräch führte Jörg Michel.
 

 

 

14.6.2003
www.petra-pau.de

 

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