Von Claudia von Salzen
So viel Politik war nie auf einem Kirchentag. Bundeskanzler Gerhard Schröder hätte sein Kabinett in diesen Tagen eigentlich auf dem Messegelände zusammenrufen können – der größte Teil war ohnehin dort. Auch in einigen Landesregierungen muss es in dieser Woche deutlich leerer als sonst gewesen sein. Der gerade wiedergewählte Erste Bürgermeister Bremens, Henning Scherf, kam nicht nur für einen Tag, sondern blieb gleich länger da. Und auch viele Bundestagsabgeordnete nutzten die Gelegenheit, um sich auf dem Christen-Treffen zu präsentieren. Der Kirchentag war seinerseits schon immer auch ein politisches Forum, das sich irgendwo zwischen Talkshow, politischem Seminar und Friedensdemo bewegte.
Die meisten Politiker blieben während des Kirchentages allerdings auf ihrem gewohnten Terrain. Außenminister Joschka Fischer sprach über Europa, Innenminister Otto Schily über islamistischen Terrorismus und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt über die Rentenreform. Nur wenige trauten sich an das Thema Glauben und Religion heran. Die CDU-Chefin Angela Merkel, Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne), Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) und Bremens Wahlsieger Scherf (SPD) beispielsweise wagten sich an eine Bibelarbeit, die Auslegung einer vorab festgelegten Bibelstelle. Merkel befasste sich mit der Schöpfungsgeschichte – und setzte dabei eigene Akzente: In der Schöpfungsgeschichte wird nach Merkels Worten deutlich, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind. Merkel erinnerte auch daran, dass die Menschen eine große Verantwortung für die Schöpfung trügen und an ihre Kinder und Kindeskinder denken müssten.
Henning Scherf plädierte indes für das vom Papst abgelehnte gemeinsame Abendmahl. Seit Jahren engagiert sich der Protestant in einer ökumenisch orientierten Bremer Stadtgemeinde, in der es auch gemeinsame Abendmahlsfeiern gibt. Wir haben den Papst zwar nicht gefragt, tun es aber trotzdem, sagte der Bürgermeister, der in Bremen zugleich Senator für kirchliche Angelegenheiten ist.
Es sind gerade die kleinen Bekenntnisse am Rande, die den Besuch von Politikern auf dem Kirchentag zu etwas Besonderem machen: Die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau sagte, die Bibel sei eine wichtige Grundlage westlicher Kultur – und damit Basiswissen. Sie sprach sich auch für einen Religionsunterricht in der Schule aus.
Von Politikverdrossenheit konnte bei den Besuchern des Kirchentages keine Rede sein: Mehrere tausend Zuhörer kamen zu den Diskussionen über die Zukunft Europas, über Einwanderung und Generationengerechtigkeit. Voller war es nur bei den heimlichen Stars des Kirchentages – dem Benediktinerpater Anselm Grün, dem Theologen Hans Küng und dem Dalai-Lama. Über ihr Publikum konnten sich die meisten Politiker nicht beklagen: Bundeskanzler Schröder ist wohl schon lange nicht mehr so begeistert empfangen worden wie an dem Tag, als er auf dem Kirchentag mit europäischen Jugendlichen über die Zukunft der EU redete. Fischer wurde für die deutsche Gegnerschaft zum Irak-Krieg geradezu gefeiert. Besonders viel Beifall bekam der Katholik auch, als er über sein Verhältnis zur Kirche sprach. In vielen Punkten stimme er mit der Kirche überein, sagte er. Aber manchmal ist es schwer.
Petra Pau: Anders, als im Tagesspiegel beschrieben, habe ich für Religionskunde-Unterricht und nicht für Religionsunterricht plädiert.:
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