Anrede,
vor kurzem war ich in Eisenach. Wir hatten einen geführten Rundgang durch die Innenstadt zu Gebäuden und Plätzen, die historisch, bis in die Weimarer Republik hinein, von Jüdinnen und Juden geprägt waren.
Davor war ich in einer Ausstellung. Sie dokumentiert das sogenannte Entjudungsinstitut. Es wurde 1939 auf der Wartburg gegründet. Die Mitarbeiter des Institutes waren bestrebt, alles Jüdische aus dem Christentum zu verbannen. Es wurde übrigens nicht auf Hitlers Weisung hin gegründet, sondern die Gründungsidee entstand in evangelischen Kirchenkreisen. Das Institut beförderte mithin einen christlichen Antisemitismus und förderte so eine gesellschaftliche Grundstimmung, die letztlich den Holocaust trug.
Nach der Befreiung vom Faschismus durch die Alliierten wurden 1949 die ersten deutschen Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit gegründet. Es gab historisch viel aufzuarbeiten, nebst der Frage, ob und wie Jüdinnen und Juden sowie Christinnen und Christen künftig gleichberechtigt und kulturvoll miteinander leben können.
Inzwischen gibt es quer durch die Bundesrepublik Deutschland 80 lokale und regionale Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Sie alle haben für ihre Arbeit meinen Respekt.
Die Erinnerung an die Geschichte, allemal die deutsche, bleibt im Kampf gegen Antisemitismus wichtig. Nachwachsende Generationen müssen sie kennen lernen. Und Menschen, die aus anderen Regionen zuwandern, ebenso.
Allemal solche, die aus Ländern kommen, in denen Antisemitismus Staatsräson ist. Die aktuelle Herausforderung heißt aus meiner Sicht daher auch, Chancen christlich-jüdisch-muslimische Zusammenarbeit auszuloten.
Zumal es wieder eine bundesweite Partei gibt, für die das Mordregime der Nazis ein Vogelschiss der Geschichte ist. Was auch besagt, dass es nicht nur um damals geht. Aktuelle Entwicklungen sind besorgniserregend.
25 bis 30 Prozent der Bevölkerung folgen antisemitischen Einstellungen. Diese Zahlen sind seit längerem stabil hoch. Aber seit einigen Jahren äußern sie sich ungehemmter und häufig auch gewalttätig. Man stelle sich nur vor, was passiert wäre, wenn sich jüngst die Tür zur Synagoge in Halle/Sa dem rechtsextremen Mörder nicht verwehrt hätte. Es hätte in Deutschland anno 2019 einen antisemitischen Massenmord gegeben, von einem Täter, der zugleich ein Feind aller Muslime ist.
Und wir sind schon wieder soweit, dass sich Jüdinnen und Juden aus Angst vor Anfeindungen im Alltag nicht mehr als Jüdinnen und Juden zu erkennen geben.
Ja, gegen diesen Rechtstrend gibt es Widerstand. Vor Jahresfrist demonstrierten hier in Berlin 240.000 Bürgerinnen und Bürger dagegen. Ein Jahr zuvor gab es hier einen weiteren Angriff auf einen Juden, weil er Jude ist. Berlin trägt Kippa hieß es danach. Die Solidaritätskundgebung vor dem Jüdischen Gemeindehaus sah groß aus. Ich war dabei. Aber bei genauerem Hinsehen waren es vielleicht 3.500 Berlinerinnen und Berliner - und das waren bei Gott nicht viel in einer 3,5 Millionen-Metropole.
Wir haben es insgesamt mit einer Rechtsentwicklung zu tun, in Deutschland, in Europa und darüber hinaus. Das hat Ursachen. Ich habe dazu eine Meinung. Diese zu erläutern, führte heute zu weit. Aber Fakt ist: Vormals rechte Einstellungen kommen inzwischen aus der so genannten Mitte der Gesellschaft. Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus gehören dazu. Außerdem nimmt die Akzeptanz von Gewalt als Politikersatz zu. Das sind schlimme, antidemokratische Tendenzen.
Umso mehr bedarf es Initiativen und Bündnisse, die sich dagegen stellen und Artikel 1 Grundgesetz verteidigen: Die Würde des Menschen ist unantastbar! Wohl bemerkt: aller Menschen.
Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit gehören dazu.
Dabei bin ich gern an ihrer Seite.
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