Sehr geehrte Damen und Herren
In meinem Berliner Heimatbezirk, in Marzahn-Hellersdorf gibt es seit etlichen Jahren einen Otto-Rosenberg-Platz. Wer seine Autobiografie Das Brennglas kennt, weiß warum. Wer das Buch nicht kennt, dem sei es empfohlen.
Schon bevor der Platz nach ihm benannt wurde, gab es dort eine Gedenkstätte. Sie erinnert an 1936. Die Nazis wollten, dass Berlin zu den Olympischen Spielen Zigeuner-frei sei. Ergo wurden Sinti & Roma, die alle schon vordem erfasst worden waren, in Marzahn in ein Lager gezwungen, zur Zwangsarbeit getrieben und schließlich in KZs deportiert, wo sie ermordet wurden.
2010 fuhr ich nach Ungarn. Ich wollte schon länger dorthin. Aber nun gab es einen zusätzlichen schlimmen Anlass. Und so traf ich mich mit Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates der Sinti und Rose in Deutschland, und mit Theo Zwanziger, damals Chef des Deutschen Fußball-Bundes, in einem ungarischen Dorf. Dort hatten Nazis das Haus einer Roma-Familie angezündet. Als der Vater mit seinem Sohn dem Inferno entkommen wollte, wurden beide erschossen.
Wir solidarisierten uns demonstrativ mit den Opfern, ja überhaupt mit Sinti & Roma. Abends waren wir im Budapester Nep-Stadion beim Fußball-Länderspiel Ungarn-Deutschland. Fünf Tausend Zuschauer erlebten ein 1:0 für die deutsche Mannschaft. Das waren im Fußball-verrückten Ungarn sehr wenige. Zur selben Zeit wurde der neue Ministerpräsident öffentlich vereidigt. Dabei waren mehr als 50.000 Ungarinnen und Ungarn. Gestützt wurde der neue Ministerpräsident auch von der Nazi-Organisation, die Jagd auf Sinti & Roma macht.
Alarmiert hat mich jüngst eine Anfrage eines AfD-Parlamentariers an die sächsische Landesregierung. Er wollte wissen, wie viele Sinti & Roma im Freistaat leben und was noch über sie bekannt sei. Genau das gab es in Deutschland schon einmal. Trotzdem oder deshalb, ich weiß es nicht, jedenfalls wurde diese AfD jüngst in Brandenburg und in Sachsen von einem Viertel der Wählerinnen und Wähler angekreuzt, also für gut befunden.
Und so habe ich zunehmend Gründe, an Erich Kästner zu erinnern. Er war Schriftsteller. Auch seine Bücher wurden 1933 im Unsinne der Nazis verbrannt.
1956 meinte er rückblickend:
Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.
Und wenn ich Erich Kästners Mahnung aufrufe, dann stellt sich die Frage:
Sind wir aktuell in Deutschland und Europa bei einer mit 1928 vergleichbaren Entwicklung oder sogar schon bei 1929 oder später?
Sie haben mich heute als Landesverband der Sinti & Roma gewürdigt. Das hat mich überrascht und zugleich natürlich sehr gefreut. Dafür danke ich. Und deshalb will ich abschließend sagen, was mich als Linke inspiriert.
Es ist Artikel 1 Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wohl bemerkt, aller Menschen, nicht nur der Schönen und Reichen, und nicht nur der vermeintlich besonders deutschen, sondern gemeint ist jede und jeder,
also auch Sie und alle Sinti und Roma.
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