Das Unvorstellbare kann wieder geschehen


Ausstellungseröffnung „Stumme Zeugnisse 1939“, Grußwort von Petra Pau
Berlin, Deutsches Historisches Museum, 1. September 2019

[pdf]

Sehr geehrte Damen und Herren,

nein, zum Inhalt der Dokumentation „Stumme Zeugnisse 1939“ werde ich nichts sagen. Natürlich habe ich den Begleittext gelesen und den rbb-Beitrag dazu bei „Kowalski und Schmidt“ gesehen. Aber darüber, was hier zu sehen ist, können andere viel kompetenter reden, allemal die beteiligten Studentinnen und Studenten der Freien Universität Berlin.

Ihnen allen danke ich, dass Sie dieses finstere Kapitel Deutschlands aufgegriffen haben, um es in Erinnerung zu halten. Gemeint ist der Überfall der Wehrmacht Nazi-Deutschlands auf Polen am 1. September 1939. Es war keine Militäraktion schlechthin, sondern ein rassistisch und antisemitisch fundierter Völkermord an Polinnen und Polen.

Und dabei geht es nicht nur ums Erinnern. Imre Kertész war Ungar, Autor und Literatur-Nobelpreisträger. Er war Jude und Überlebender der KZs Ausschwitz und Buchenwald. 2007 las er im Deutschen Bundestag aus seinem Buch „Kaddisch für ein ungeborenes Kind“. Und er mahnte eindringlich:
Das vordem Unvorstellbare, das einmal geschah, kann wieder geschehen.

Als wir uns damals in Ehrfurcht gegenüber Imre Kertész und allen Opfern des Faschismus von den Plätzen erhoben, da gab es im Bundestag noch keine so genannten Volksvertreter, für die die Zeit des Faschismus ein „Vogelschiss der Geschichte“ ist und die mehr Respekt für die Leistungen der deutschen Wehrmacht in zwei Weltkriegen anmahnen. Heute finden sie als vermeintliche Alternative für Deutschland bundesweit Zuspruch.

Und so will ich auch an Erich Kästner erinnern. Auch seine Bücher wurden 1933 von Studenten im Sinne der Nazis verbrannt, so wie die von Karl Marx, Kurt Tucholsky und Sigmund Freud, um nur einige zu nennen. Heinrich Heine hatte übrigens schon zu Lebzeiten gemahnt: Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man zuletzt auch Menschen. Und so kam es ja auch.

Erich Kästner hatte 1956 rückblickend gemahnt: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.“

Möge die Dokumentation „Stumme Zeugnisse 1939“ einen Beitrag dazu leisten.

Ein abschließender Gedanke zur Geschichte: Polen war 1939 das erste Land, das von der Nazi-Wehrmacht okkupiert wurde. Und polnische Streitkräfte gehörten 1945 zu den Alliierten, die Deutschland von der Nazi-Herrschaft befreiten. Letzteres wird häufig vergessen - zu Unrecht.
 
 

 

 

1.9.2019
Impressum
Datenschutzerklärung

 

Übersicht
Bundestag

 

 

Lesbares

 

Seitenanfang

 

Startseite