Vier Bedrohungen der Demokratie

Führungskonferenz des Internationalen Bundes „Was ist Demokratie“
Berlin, 11. April 2019
Rede von Petra Pau

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1. Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich als demokratischer Rechtsstaat mit verbrieften Freiheits- und Bürgerrechten. So will es das Grundgesetz.
Demnach sind Bürgerinnen und Bürger Souveräne, von denen die Staatsgewalt ausgeht. Sie entscheiden durch Wahlen und Abstimmungen, siehe GG 20 (2).

Nun wird Demokratie gelebt und praktiziert oder sie bleibt ein Papiertiger.
Daran sei erinnert, damit wir hier keine bloße Grundgesetz-Debatte führen.
Zudem wird die Demokratie attackiert und bedroht, und zwar aus drei Richtungen:
von rechts-Populisten und -Extremisten, vom Staat und durch die Digitalisierung.

Zu den Themen von Staatswegen und durch Digitalisierung empfehle ich das Buch „Angst fressen Freiheit auf“ von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Auf Wunsch des Veranstalters werde ich etwas umfangreicher auf Bedrohungen von rechts eingehen, in der Theorie und in der Praxis.

2. Seit einigen Jahren explodiert die Zahl rassistischer und rechtsextremer Straf- und Gewalttaten bundesweit, nicht nur im Osten. Sie richten sich gegen Geflüchtete, gegen Journalistinnen und Journalisten, gegen Politikerinnen und Politiker, gegen Polizistinnen und Polizisten, gegen Bürgerinnen und Bürger, letztlich gegen alle, die nicht ins rechts-nationale Weltbild passen: zunehmend unverhohlen, keineswegs nur am rechten Rand, sondern inmitten der Gesellschaft.

Wir erleben eine bedrohliche Entwicklung, allerdings eine mit Ankündigung.
Ich war dabei, als Prof. Wilhelm Heitmeyer (Uni Bielefeld) am 11. November 2011 in Berlin die Ergebnisse einer Langzeitstudie vorstellte. Zehn Jahre lang hatten er und sein Wissenschaftsteam „Deutsche Zustände“ untersucht. Das Fazit in Kürze: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu, ebenso die Akzeptanz von Gewalt als Politikersatz. Sie hatten wohl in beidem Recht.

Wobei „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ mehr meint als Rassismus oder Antisemitismus. Dazu gehören ebenso die Erniedrigung von Arbeits- und Obdachlosen, von Schwulen und Lesben, auch von Menschen mit Behinderungen, kurzum von allen, die in den klein-karierten Weltbildern der PEGIDAs als fremdartig und unwürdig abgestempelt werden.

Ja, als Unwürdige! Obwohl Artikel 1 Grundgesetz besagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.&#!47; Wohl bemerkt: Aller Menschen, nicht nur der Schönen und Reichen, nicht nur der Deutschen und Weißen!
Und Artikel 2 Grundgesetz gebietet: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.6#147;
Und wieder gilt: aller Personen, nicht nur von Pass-Germanen.
Für beide Gebote gibt es weder Ausnahmen noch Obergrenzen.

3. Die Eingangsartikel des Grundgesetzes bergen Geschichte, schlimme Geschichte, deutsche Geschichte. Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen und sogenannte Asoziale, sie alle galten in Nazi-Deutschland als fremd, als undeutsch und gefährlich. Sie wurden systematisch verfemt, verfolgt, vergast, ebenso politisch Andersdenkende.

Jüngst las ich aus aktuellem Anlass erneut die Rede vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985. Sie wurde legendär, weil damit erstmals ein hoher Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland (alt) den Sieg über Nazi-Deutschland als „Tag der Befreiung“ würdigte. Aber er hatte viel mehr gesagt und gemahnt:

„Hitler hat stets damit gearbeitet, Vorurteile, Feindschaften und Haß zu schüren. Die Bitte an die jungen Menschen lautet:
Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Haß
gegen andere Menschen,
gegen Russen oder Amerikaner,
gegen Juden oder Türken,
gegen Alternative oder Konservative,
gegen Schwarz oder Weiß.
Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
Lassen Sie auch uns als demokratisch gewählte Politiker dies immer wieder beherzigen und ein Beispiel geben.
Ehren wir die Freiheit.
Arbeiten wir für den Frieden.
Halten wir uns an das Recht.
Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.
Schauen wir am heutigen 8. Mai, so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge.“

Soweit Richard von Weizsäcker vor fast 35 Jahren.

Führt ein Vergleich von PEGIDA mit den historischen Wurzeln der Nazi-Zeit zu weit? Darüber lässt sich streiten. PEGIDA ist ebenso wenig eine faschistische Bewegung, wie die AfD eine Nazi-Partei ist. Und doch gefährden beide extrem die Demokratie. Sie schüren genau den Hass, vor dem Richard von Weizsäcker gewarnt hatte. Und sie finden Zuspruch.

4. Vielfach wird die AfD als „populistisch“ bezeichnet und damit negativ markiert. Nun wird das Adjektiv „populistisch“ gern mal bemüht, um anders Denkende zu verteufeln. Ich kenne das als Linke. Wer den Kapitalismus als System in Frage stellt, wird schnell als „populistisch“ beschimpft und zuweilen als Verfassungsfeind beobachtet. Auch das kenne ich aus eigener Erfahrung.

Aber Wissenschaftler unterscheiden wohlweislich zwischen „populär“ und „populistisch“. Populär meint allgemeinverständlich. Welcher Politiker und welche Partei wollte das nicht gern sein, bürgernah und verstanden? Populistisch ist etwas anderes. Ich umschreibe es am Beispiel PEGIDA. Ihr Schlachtruf lautet „Wir sind das Volk!“ Bürgerrechtler aus DDR-Zeiten haben sich bereits vehement gegen diese Anleihe verwahrt. Denn damals war der Ruf „Wir sind das Volk“ emanzipatorisch gemeint, heute soll er ausgrenzen.

In PEGIDA-Lesart bedeutet „Wir sind das Volk“, wir und nur wir sind das Volk, niemand sonst! Wer anders denkt, anders glaubt, anders lebt, anders liebt, anders aussieht gehört nicht dazu. Das aber ist wider die Demokratie. Denn Demokratie basiert auf einer widersprüchlichen Vielfalt und nicht auf einer bornierten Einfalt.

Eine elitäre Einheit kann auch mit einem Führer leben. Eine widersprüchliche Vielfalt braucht demokratische Regeln und liberale Umgangsformen.

Und deshalb sage ich: Ja, PEGIDA und all die IDAs sind demokratie-gefährdend. Und da die AfD sich zunehmend als parlamentarischer Arm von PEGIDA versteht, ist sie es als Partei ebenso. Das alles macht es nicht leichter, schon gar nicht, wenn man nach den Wählern der AfD und ihren Motiven fragt - und nach den Ursachen.

5. Rechtspopulistische Parteien sind europaweit auf dem Vormarsch, auch in den USA. Es muss also etwas Übergreifendes geben, das Rechtspopulismus begünstigt. Das halte ich für eine wesentliche Frage.
Denn angenommen, die AfD zerlegt sich als Partei durch innere Querelen selbst, wie manche hoffen, so bleiben doch die Grundstimmungen, die sie tragen.
Und die heißen verknappt: zunehmende Unsicherheit und Zukunftsängste sowie eine gefühlte und häufig ja auch tatsächliche Unmündigkeit.

Damit komme ich noch mal auf Prof. Wilhelm Heitmeyer und auf die Langzeitstudie über „Deutsche Zustände“ zurück. Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu, ebenso die Akzeptanz von Gewalt, hieß ihr Befund. Sie nannten dafür auch Ursachen, wieder in Kurzform: Das Soziale wird ökonomisiert und die Demokratie entleert. Man nennt eine solche Politik auch „neoliberal“.

Salopper gesagt: Die Gemeinschaft und die Zugehörigkeit werden zunehmend vom Geld bestimmt. Wobei Reiche immer reicher und Arme immer zahlreicher werden.
Gesellschaftlich ist es noch schlimmer: Die extrem Reichen entziehen sich, die besonders Armen werden abgestoßen. Und die verbindende Mitte schwindet.
So zerfällt die Gesellschaft.

Zugleich fallen allzu viele Entscheidungen, ohne Bürgerinnen und Bürgern einzubeziehen. Beispiel Europäische Union: Sie ist wahrlich kein Hort von Demokratie und Transparenz. Hinzu kommt: Wie oft stellen regierende Parteien ihre eigene Politik als „alternativlos“ dar, mithin als Gott gegeben?

„Neoliberal“ bedeutet populär übersetzt in etwa das:
Das Soziale wird kleingeschrieben, die Freiheit der Wirtschaft groß.
Die Politik entmachtet sich dabei selbst und mithin auch die Demokratie.
Kanzlerin Angelika Merkel hatte sogar eine „marktgerechte Demokratie“ gefordert. Also einen weiteren Rückzug der Politik zugunsten des Kapitals.

Andere Studien bekräftigen die Heitmeyer-Analyse. So auch von Wissenschaftlern für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie empfahlen dringend einen Politikwechsel. Dazu gehörte für sie: Die EU müsse endlich sozial und solidarisch fundiert und die Macht der Banken gebrochen werden. Auf allen Ebenen bedürfe es mehr Mitbestimmung, auch direkte Demokratie. Anderenfalls, so ihre Warnung schon 2012, könnten Widersprüche explodieren.

Und das ist jetzt offenbar der Fall. Die „Mitte-Studie“ von 2016 spricht von einem tiefen Spalt, mitten durch die Gesellschaft, schwer überbrückbar, keineswegs kurzfristig. Zwar will eine klare deutsche Mehrheit eine freiheitlich-demokratische Grundordnung. Aber eine neu-rechte Minderheit radikalisiert sich dagegen. Diese wird obendrein von Medien überpräsentiert, also befördert.

6. Wobei ich aus meiner Sicht Dreierlei anmerke.

Erstens: Jene Politiker, die zu Recht warnend den Finger wider PEGIDA strecken, aber zugleich ungerührt ihren Anteil an gesellschaftlich negativen Entwicklungen ignorieren, verschärfen die Lage, anstatt sie zu entspannen.

Zweitens gilt für alle, die sich bedrängt fühlen oder verunsichert sind:
Nichts davon rechtfertigt Hass und Gewalt gegen andere Menschen.

Kleiner Einschub, um Vereinfachungen vorzubeugen: Neoliberale Politik enthemmt ohnehin vorhandene rechte und rassistische Einstellungen.
Und wir finden rechte Positionen nicht nur dort, wo Zukunftsängste zehren.

Wie angekündigt nun Drittens: Überall, wo Nazis Freilauf haben und Antifaschisten kriminalisiert werden, ist etwas faul im Staate.

Dazu nur so viel: Die Aufarbeitung der NSU-Nazi-Mord-Serie ist nicht abgeschlossen. Das beginnt bei der Frage, ob es sich wirklich nur um ein Trio handelte, und das schließt Konsequenzen in Behörden, bei Sicherheitsorganen und der Justiz ein. Zudem steht die Frage, ob nicht längst weitere rechtsextreme Terrorbanden unterwegs sind.

Zugleich wird erwogen, dem VdN/BdA die Gemeinnützigkeit zu entziehen.
Das ist absurd und gefährlich.

7. Zurück zu PEGIDA und zur AfD: Sie geben vor, das christlich-jüdische Abendland zu verteidigen. Ich halte das für Zynismus pur. Sie erinnern sich sicher an die Auseinandersetzungen in der AfD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg. Auslöser waren antisemitische Positionen ihres Abgeordneten Dr. Wolfgang Gedeon. Er hatte das Judentum als inneren und den Islam als äußeren Feind der westlichen Welt bezeichnet und obendrein den Holocaust geleugnet.
Wirklich distanziert hat sich die AfD davon nie.

Ein anderer Lautsprecher der AfD ist Björn Höcke.
Er rief tobenden Demonstranten in Sachsen-Anhalt zu:

„Ich stehe hier und atme Geschichte. (...) Ich will, dass Magdeburg und Deutschland nicht nur eine tausendjährige Vergangenheit haben. (...)
Ich will, dass sie auch eine tausendjährige Zukunft haben.
Und ich weiß, ihr wollt es auch!“

Wer dahinter Anspielungen auf Hitlers tausendjähriges Reich vermutet, dürfte so falsch nicht liegen und ihn wohl verstanden haben.

Nun höre ich gelegentlich, PEGIDA, auch die AfD, seien ein Fall für den Verfassungsschutz. Ich teile solche Auffassungen nicht.

Denn erstens gilt auch für bösartige Aussagen die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit. Es sei denn, es handelt sich um direkte Aufrufe zu Straftaten oder um die Leugnung des Holocaust.
Dann aber sind ohnehin die Polizei und die Justiz zuständig.

Und schließlich sollte niemand, der die Rolle der Ämter für Verfassungsschutz im NSU-Nazi-Mord-Desaster kennt, ausgerechnet vom Inlandsgeheimdienst Lösungen erwarten. Gefragt ist die gesellschaftliche Auseinandersetzung.

Hinzu kommt ein weiteres: Rechte Stichwortgeber für PEGIDA und Hass hierzulande heißen ja nicht nur Höcke, Storch oder Baumann. Sie kommen auch aus der Mitte der Gesellschaft, von Sarrazin, Buschkowsky, zuweilen auch von Seehofer. Sie alle sind gefragte Medienstars und Bestseller.

Richtig ist: Die AfD ist rechtpopulistisch im Auftreten und rechtsradikal in der Substanz. Oder wie AfD-Mitgründer Hans-Olaf Henkel inzwischen meint: Die AfD ist NPD-light. Wie sehr PEGIDA von Nazis unterwandert und Protagonisten der AfD mit Neo-Nazis vernetzt sind, dazu empfehle ich ihnen das Buch von Prof. Hajo Funke: „Von Wutbürgern und Brandstiftern“.

8. Was also tun? Die Demokratie ist gefährdet, zunehmend auch durch PEGIDA und die AfD. Aber sie kamen nicht aus dem Nichts. Ob Vergleiche mit der Vor-Nazi-Zeit angebracht sind, mag jede und jeder für sich wägen. Gleichwohl will ich ein Zitat des Schriftstellers Erich Kästner in Erinnerung rufen. Er sagte 1956:

„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf ...“

Es gibt noch eine zweite Mahnung. Denn die Faschisten kamen 1933 nicht an die Macht, weil die NSDAP so stark war, sondern weil die Demokraten zu zerstritten waren. Beide Lehren drängen, finde ich!

Damit habe ich allerdings einen weiteren Widerspruch eingeblendet.

Wenn neoliberale Politik rechts-populistischen Bewegungen befördert, dann bedarf es Bündnisse gegen alle, die neoliberale Strategien verfolgen.
Parteipolitisch hieße das aus linker Sicht: gegen CDU/CSU, FDP, SPD, zuweilen auch Grüne und selbstverständlich gegen die AfD.

Wenn wiederum rechtspopulistische Gefahren durch alle Demokraten,
auch durch alle demokratischen Parteien, gemeinsam abzuwehren sind,
dann erfordert das wiederum Bündnisse von CDU/CSU bis zur Linken.
Sie ahnen das Problem. Es muss dennoch gelöst werden.

Mein Fazit:

Die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland ist eine Lehre aus der Nazi-Zeit. Ich halte sie für unvollständig. Sie wird obendrein bedroht. Und doch und gerade deshalb ist sie als libertäre, offene und vielfältige Zukunft zu verteidigen.

Ich sprach eingangs von drei Gefahren für die Demokratie: von rechts, vom Staat, durch die Digitalisierung. Es gibt eine vierte: Nämlich wenn alles so bleibt, wie es ist. Es bedarf dringender Reformen: in der Wirtschaft, im Finanzwesen, in der Politik, hierzulande und EU-weit.
 
 

 

 

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