Vor 80 Jahren, am 9. November 1938, fanden in Nazi-Deutschland barbarische Pogrome gegen Jüdinnen und Juden statt. Wenig später fuhren die ersten Züge und Schiffe mit jüdischen Kindern nach Großbritannien. Die Hilfsaktion lief knapp ein Jahr lang, bekannt unter dem Kürzel Kindertransporte.
Davor gab es eine Debatte über Flüchtlinge im britischen Unterhaus. Ich habe nun das Protokoll dieser Sitzung gelesen und ich fand sie bemerkenswert. Denn sie hätte so oder ähnlich auch heute, 2018, in nahezu jedem europäischen Land stattfinden können. Vieles ist aktuell - wieder oder noch - höchst bekannt.
So wurde damals die Frage aufgeworfen, was die Aufnahme von Flüchtlingen wohl kosten könnte und wer das bezahlen solle, privat oder Staat. Wie viele Flüchtlinge seien unbedenklich oder anders gesagt: Bedarf es einer Obergrenze? Sollte Großbritannien souverän agieren oder müsste nicht vordem eine globale Lösung, allemal mit den USA, ausgehandelt werden? Was ist den Einheimischen, die schon jetzt auf dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt sind oder sich ausgegrenzt fühlen, an Neu-Bürgern zuzumuten? Und müsse man nicht jene ernster nehmen, die gegen Flüchtlinge im Allgemeinen und gegen Juden im Besonderen demonstrieren?
Alles aktuell bekannte Fragen, oder?
In dieser Unterhaus-Debatte 1938 ging es um die britische Flüchtlingspolitik generell, darunter um Jüdinnen und Juden aus Deutschland und anderen europäischen Staaten, in zwei Beiträgen auch um Kinder jüdischer Eltern.
Bemerkenswert, vielleicht auch entscheidend, waren drei Gedanken aus der damaligen Debatte.
Erstens: Alles ist international, was das Gewissen der Menschheit berührt.
Zweitens: Menschlichkeit darf man nicht mit Geld aufrechnen.
Drittens: Wir brauchen, allen Unterschieden zum Trotz, in dieser Frage Einigkeit.
Durch "Kindertransporte" nach Großbritannien wurden 1938/39 über 10.000 junge Menschen jüdischer Herkunft dem tödlichen Zugriff der Nazis entzogen. Das war Humanismus der Tat. Der Holocaust war ein unvergleichlicher Völkermord.
Und doch bleibt die Frage, ob es angesichts aktuell weltweiter Fluchtgründe nicht erneut einer britischen Politik von einst bedarf: Humanismus first!
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