Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Horst Selbiger,
das Foto auf der Einladung zur Veranstaltung heute zeigt Horst Selbiger und mich beim Gedenken am Gleis 17 am Bahnhof Grunewald.
Von dort hatten die Nazis 1941 bis 1945 rund 50.000 Berliner Jüdinnen und Juden in Todeslager deportiert.
Alljährlich wird daran erinnert. Und es war mir eine bewegende Ehre, gemeinsam mit Horst Selbiger dort Blumen niederzulegen.
Er hat die Nazi-Barbarei überlebt. Er suchte danach eine linke Zukunft in der DDR, fand sie aber nicht. Und er ist noch immer als Antifaschist unterwegs.
Aber über sein Leben können andere besser reden, vor allem er selbst.
Mir gehen weitere Gedanken durch den Kopf, nicht nur am Gleis 17.
1985 hatte mit Richard von Weizsäcker erstmal ein BRD-Bundespräsident den
8. Mai 1945, den Sieg über den Faschismus, als Tag der Befreiung bezeichnet.
Von Stolz auf die Wehrmacht, wie aktuell von AfD-Politikern gefordert,
war da keine Rede, im Gegenteil. Er mahnte stattdessen:
Hitler hat stets damit gearbeitet, Vorurteile, Feindschaften und Haß zu schüren.
Die Bitte an die jungen Menschen lautet:
Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Haß
gegen andere Menschen,
gegen Russen oder Amerikaner,
gegen Juden oder Türken,
gegen Alternative oder Konservative,
gegen Schwarz oder Weiß.
Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
Lassen Sie auch uns als demokratisch gewählte Politiker dies immer wieder beherzigen und ein Beispiel geben.
Ehren wir die Freiheit.
Arbeiten wir für den Frieden.
Halten wir uns an das Recht.
Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.
Schauen wir am heutigen 8. Mai, so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge.
Auch der namhafte Schriftsteller Erich Kästner fällt mir ein.
Seine Bücher wurden 1933, wie die vieler anderer Autoren;
von Nazi-Fanaten auf dem heutigen Berliner Bebel-Platz verbrannt.
1956 meinte er rückblickend -
Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf ...
Seit der jüngsten Wahl gibt es im Bundestag eine Fraktion, in der Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit durchaus Sitz und Stimme haben.
Das hatte sich abgezeichnet. Von der Redaktion eines antifaschistischen Rundbriefes war ich daher gebeten worden, mich unmittelbar nach der Bundestagswahl dazu in einem Artikel zu äußern.
In ihm schrieb ich einleitend - Zitat:
Ich wäre auf diese Frage nicht gekommen. Was ist eigentlich schlimmer: eine AfD-Fraktion im Bundestag oder eine NPD-Fraktion? Natürlich die NPD, fand ich, weil naheliegend. Sie ist eine ausgewiesene und militante Nazi-Partei.
So weit, so scheinbar klar, sagte mir der Fragesteller. Aber gucken wir mal,
was da auf dem Ticket der AfD nun auch Sitz und Stimme im Bundestag hat.
Ja klar, sag ich: Darunter sind Leugner des Holocaust, Verfechter der Wehrmacht und Kämpfer fürs Deutsch-Nationale. Da gibt es viele Schnittstellen mit der NPD und weiteren Rechtsextremisten.
Die AfD im Bundestag sei dennoch schlimmer, meinte er. Die NPD marschiert auf, mit Glatzen und Stiefeln und dumpf. Sie ruft Sieg Heil und macht keinen Hehl daraus, was sie vorhat. Bei der AfD sei das verzwickter, sagt er, und deswegen gefährlicher. Sie ist keine Nazi-Partei, schlimmstenfalls deutsch-national, wider die EU und völkisch-borniert. Parole: Das wird man doch mal sagen dürfen.
Ja, sage ich. Dank AfD darf man wieder sagen, dass das Gedenken an die Opfer des Holocaust einer Schande gleich komme, und dass die Kriege der Wehrmacht neu-deutschen Stolz begründen mögen. Und die NPD frohlockt.
Wohl wahr, sagt mein Fragesteller, aber das Problem ist viel schlimmer, weshalb er ja sage, 13% für die NPD wären übel, 13% für die AfD sind übler.
Eine höchst gewagte These, fand ich.
Den Einwand habe er erwartet, sagte er, und verwies auf die Zusammensetzung der AfD-Fraktion: Viele sind Anwälte und Richter, Polizisten oder deren Ausbilder, Lehrer und Wissenschaftler, oftmals Beamtinnen und Beamten. Also sogenannte Staatsdiener, die der Demokratie und dem Grundgesetz verpflichtet seien und nun beides von rechts in Frage stellen. Obendrein Leute, die mitnichten sozial verunsichert sind.
Vor Jahresfrist gab es eine Studie über AfD-Anhänger in Sachsen. Die größte Zustimmung gab es demnach unter Beamtinnen und Beamten, weit höher, als bei Arbeitern und Arbeitslosen. Kurzum, sagte er: Das AfD-Ergebnis war kein Rechtsdraußen-Putsch, sondern ein demokratisch legitimierter Angriff
(übrigens gegen Artikel 1 Grundgesetz und die Würde aller Menschen)
aus der Mitte der Gesellschaft, und deshalb gefährlicher.
Soweit ein Auszug aus meinem Artikel. Fakt ist: Nahezu überall rücken Gesellschaften nach rechts, in Deutschland, in Europa, in den USA, in der Welt. Das ist kreuzgefährlich und hat mit Zukunft nichts zu tun. Dafür gibt es politische Ursachen und Brandbeschleuniger. Über sie ist zu reden.
Und über Antisemitismus, auch hierzulande.
Wiederholte Studien besagen, 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung hegen antisemitische Vorurteile, und zwar quer durch alle Gruppen und Schichten der Gesellschaft.
Demnach hat Antisemitismus weder zu noch abgenommen.
Aber Judenhass wird immer unverhohlener und aggressiver geäußert.
Das belegen auch jüngste antisemitische Vorfälle,
die von Jüdinnen und Juden selbstverständlich viel persönlicher wahrgenommen werden, als vom Rest der Gesellschaft.
Und Ja, viele Geflüchtete und Asylsuchende wurden in ihren Herkunftsländern, allemal im arabischen Raum, antisemitisch geprägt.
Das ist eine weitere Herausforderung.
Aber 90 Prozent der registrierten antijüdischen Attacken gehen auf das Konto Ur-Deutscher.
Deshalb ist es falsch und verkürzt, wenn einige nun fordern,
die Flüchtlingspolitik zu schärfen oder das Asylrecht zu kappen,
sobald Muslime antisemitisch agieren.
Zumal das deutsche Asylrecht auch eine bitternötige Konsequenz auf die tödliche Judenfeindlichkeit der Nazis war.
Es muss also mehr und anderes geschehen. Die Unabhängige Expertenkommission Antisemitismus hat dem Bundestag dazu erst vor Monaten, bereits zum zweiten Mal, umfangreiche Vorschläge unterbreitet.
Heute aber möchte ich vor allem Horst Selbiger gratulieren und danken.
Für sein langjähriges Engagement, das ich auch künftig nicht missen möchte.
Und ich verspreche auch weiterhin - in seinem Sinne - jedwedem Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu wehren.
Tun wir es gemeinsam und alltäglich. Es ist bitter nötig!
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