Interreligiös und multikulturell

„Lange Nacht der Begegnung“ am 9. Juni 2017 in Hannover
Dr.-Buhman-Stiftung lädt ein zum interreligiösen Dialog im Ramadan
Grußwort Petra Pau

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0. Der Bundestag im Berliner Spreebogen birgt viele Kunstwerke.
Etliche erinnern an die Geschichte, allemal mahnend an die Nazi-Zeit.
Andere formulieren Ansprüche an ein modernes Parlament in einer vielfältigen Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland.

1. Zum Beispiel der Andachtsraum im Reichstagsgebäude von Günther Ücker.
Er wird auch von Abgeordneten als solcher genutzt, aber vorher gab es Krach.
Eine Fraktion mit zwei Mal „C“ im Namen hatte nämlich ein großes christliches Kreuz gefordert, das den Raum dominieren sollte.

Das war allerdings mit dem Künstler nicht zu machen. Er drohte gar damit, dem Bundestag sein Werk zu entziehen. Denn in seinem Raum war demonstrativ Platz für alle relevanten Religionen, die christliche, die jüdische, die muslimische, selbst Hinweise auf den Buddhismus hatte er platziert.

Günther Ücker plädiert damit nachdrücklich für einen interreligiösen Dialog, und zwar einen gleichberechtigten. Nicht irgendwo in der weiten Welt, sondern hierzulande. Gefördert durch den Bundestag.

2. Sicher kennen Sie die Inschrift am Westgiebel des Reichstagsgebäudes.
Dort steht in großen Lettern: „DEM DEUTSCHEN VOLKE!“
Wie es dazu kam, dazu gibt es eine eigene Geschichte aus der Kaiser-Zeit vor über 100 Jahren. Sie ist skurril. Aber die lasse ich jetzt mal weg.

Doch seit der Bundestag 1999 seinen Betrieb in Berlin aufnahm, gibt es in einem der Innenhöfe des Reichstagsgebäudes einen weiteren Schriftzug:
„DER BEVÖLKERUNG!“
Der Künstler Hans Haacke mahnt damit: Die Mitglieder des Bundestages haben allen Bürgerinnen und Bürgern der Republik zu dienen und nicht jenen eines deutschen Volkes, wer oder was immer das auch sei.

Hinzu kommt: Damals wurden alle Abgeordneten ermutigt, ein Säckchen Erde aus ihrem Wahlkreis mitzubringen. Ich tat das auch. Diese Erden wurden in den Kasten geschüttet, in dessen Mitte die Wörter „DER BEVÖLKERUNG“ stehen.

Und aus diesen unterschiedlichen Erden spross, was in ihnen angelegt war, Gräser, Kräuter, Sträucher usw. Nichts davon wird beschnitten, ausgerissen oder extra behandelt. Alles wächst wie die Natur es will.

Das war und ist eine klare Absage an irgendeine Leitkultur, nach der alle sich richten müssen, und bei der als unerwünscht gilt, wer sich nicht anpasst.

3. Zwei Künstler, zwei ähnliche Plädoyers:
für einen interreligiösen Dialog in einer multikulturellen Gesellschaft, jeweils auf Augenhöhe, gegen jedwede Besserdünkerei.

Bürgerinnen und Bürgern, die mich im Bundestag besuchen, zeige ich immer auch Kostproben der Kunst im Bundestag. Der Andachtsraum und „DER BEVÖLKERUNG“ gehören dabei zum Standardprogramm.

Allerdings hatte ich lange nicht geahnt, wie aktuell, ja brisant beide Botschaften seit zwei, drei Jahren wieder werden sollten, ja sind.

Erneut maßen sich Menschen an zu entscheiden, wer aus ihrer Sicht Deutscher und mithin vorrangig sein darf. Und schon wieder warten Spitzenpolitiker mit ganzen Katalogen auf, was zur deutschen Kultur gehöre und was nicht.
Ich halte das für falsch, für kreuzgefährlich obendrein.

4. Aus meiner Sicht bedarf es Zweierlei für ein möglichst konfliktarmes Zusammenleben in einer vielfältigen und bunten Gesellschaft - mehr nicht:
Das Grundgesetz als oberstes Regelwerk und Deutsch als Gesellschaftssprache.

Beides für alle und das beginnt bei Artikel 1 Grundgesetz:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Wohl bemerkt: Die Würde jedes Menschen, nicht nur der Schönen und Reichen, und nicht nur der Deutschen und Weißen.

Nur, wir wissen es alle und ein Blick in den Alltag zeigt es:
Bereits da fangen die Probleme an, in der Gesellschaft, in der Politik, in den Medien.
Und so erleben wir permanent Angriffe auf das Grundgesetz, auf Menschenrechte, auf individuelle Freiheitsrechte, auf die Demokratie.

Ich könnte hier Beispiele aus unseren Untersuchungen zur NSU-Nazi-Mordserie und dem dazugehörigen Staatsversagen nennen.
Ich lasse es und sage nur so viel: Wir haben in Abgründe geschaut.

Ich will an einem viel simpleren Beispiel illustrieren, was ich meine.
Vor Jahresfrist ging tagelang der Vorwurf durch nahezu alle Medien, dass Sami Kehdira bei einem internationalen Fußballturnier die deutsche Nationalhymne nicht mitgesungen habe. Das sei undeutsch, hieß es.
Na, holla! Er wurde in die Nationalmannschaft berufen, um Tore zu schießen und nicht um Hymnen zu singen. Wo also war das Problem?
Besonders spitze Kommentatoren verstiegen sich sogar zu der Behauptung, Kehdiras Singe-Verweigerung habe der Nationalelf eine Niederlage beschert.
Ich finde: Das ist Deutschtümelei mit einem gehörigen Schuss Rassismus.
Das ist ein Zurück nach Vorgestern! Und das war furchtbar.

5. Ja, wir haben ein Rassismusproblem in Deutschland. Mehr noch: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu. Das ist mehr, als Rassismus. Denn sie zielt auch gegen Arbeits- und Obdachlose, gegen Schwule und Lesben, gegen Menschen mit Behinderungen, letztlich gegen alle, die auf einer vermeintlichen Sozialskala tiefer rangieren, als man selbst.

Zunehmend kommen beide, der Rassismus und die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, offen und gewalttätig daher. Das zeichnete sich übrigens bereits ab, lange bevor 2015 sehr viele Flüchtlinge, also Menschen in Not, bei uns Zuflucht suchten.

Das wiederum ist ein Dreifachproblem:
Erstens: Unmittelbar für die Betroffenen, die bedroht werden.
Zweitens: Die offizielle Politik will das nach wie vor nicht wahrhaben.
Und drittens: Allzu viele Leute finden das normal, weil es wehrhaft sei.

Wir haben zudem anhaltend ein Antisemitismusproblem.
Jüdinnen und Juden fühlen sich zunehmend bedroht. Und sie werden es.
Das belegt auch der aktuelle Bericht einer unabhängigen Expertenkommission, den ich jüngst als Vizepräsidentin für den Bundestag entgegennahm.

Und wir haben ein Antiislamproblem. Eine Weltreligion wird pauschal für Hass und Terror verantwortlich gemacht. Für alle Vorwürfe finden sich Anlässe, die flugs verallgemeinert werden, zu Unrecht, aber mit Wirkung.

Das alles ist fatal für viele und wenig hilfreich, für niemanden.
Und deshalb schiebe ich hier einen kleinen Gedanken ein.

Seit Jahren plädiere ich dafür, Religionsunterricht an unseren Schulen abzuschaffen. Dabei geht es bekanntlich um christliche Fächer.
Darum mögen sich die Kirchen in ihren Räumen kümmern, finde ich.
Allemal in einem Land, in dem Kirche und Staat als getrennt gelten.

Stattdessen sollte für alle ein Pflichtfach „Ethik“ eingeführt werden.
So könnten Schülerinnen und Schüler mit allen relevanten Religionen, mit deren Grundsätzen, Kultur und Bräuchen vertraut werden.

6. Schließlich zurück zum Grundgesetz. Meine Erfahrungen sagen:
Der einzig verlässliche Verfassungsschutz sind Bürgerinnen und Bürger, die sich für Menschenrechte und Demokratie engagieren.

Es gibt sie. Sogar viele. Leider wissen sie häufig nichts voneinander. Und wenn dieses Zusammentreffen, wenn diese interreligiöse Verständigung hier unter dem Motto „In Verantwortung vor Gott und den Menschen“ zu mehr Miteinander etwas beitragen kann, dann wünsche ich dabei viel Erfolg. Wir brauchen ihn bitter nötig - für uns alle!

Ich wünsche Ihnen, so dieser Monat für Sie eine Bedeutung hat, einen gesegneten Ramadan und für Sie alle immer wieder Zeiten der Einkehr, des Friedens und der Erfüllung.
 

 

 

9.6.2017
www.petra-pau.de

 

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