Soziale Gerechtigkeit und Demokratie gehören zusammen

Pressekonferenz Vorstellung des „Kinderreports 2017“, Berlin, 02.02.2017,
Rede von Petra Pau, Bundestagsvizepräsidentin
Berlin, 2. Februar 2017

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1. 

„Lies nie in alten Papieren“, mahnt ein gut meinender Rat.
Ich tat es dennoch:
 
Vor zehn Jahren war ich Gast der Hannah-Arendt-Tagung zur „Krise der repräsentativen Demokratie?“. In meinem Beitrag ersetzte ich das Fragezeichen in der Überschrift durch drei Ausrufezeichen. Wenn politisch nicht grundlegend etwas geändert werde, drohen der Demokratie substantielle Gefahren, sagte ich damals. (lesbar unter www.petrapau.de, Tageseintrag vom 13. 10. 2007)
 
Kürzel, wie PEGIDA oder AfD, waren seinerzeit noch nicht erfunden. Aber es nahte bereits Ungemach, wenn die Demokratie als Anspruch und Praxis weiter kleingeschrieben werde. Heute sind Rechtspopulisten auf dem Vormarsch: Und sie erhalten Zuspruch: in Deutschland, in Europa, weltweit. Das wiederum birgt Gefahren für die Demokratie, wie sie kaum noch erwartet wurden. Rechtspopulisten setzen auf Einfalt und Ausschluss. Demokratie basiert auf Vielfalt und Einschluss. Beide widersprechen sich fundamental.

2. 

„Die Enkel fechten es besser aus“, hieß dereinst eine Hoffnung, also auf nachfolgende Generationen. Und damit komme ich zu Ergebnissen aus dem „Kinderreport 2017“.
 
Demnach bezweifelt ein Drittel der Erwachsenden, dass sich aktuell Kinder und Jugendliche in zunehmendem Alter hinreichend für die Demokratie engagieren werden. Woher diese Zweifel rühren, ist für mich aus der Studie nicht recht ersichtlich. Aber es ist ein Alarmsignal.
 
Zugleich meint das Gros der Befragten, dass Demokratie von klein auf im Alltag erfahrbar sein muss: In der Familie, in der Kindertagesstätte, in der Schule und in Vereinen, zum Beispiel im Sport.
 
Aber die Ansprüche an diese Demokratie-Träger sind im Vergleich zur zurückliegenden Befragung offenbar gesunken. Und sie tendieren mit Blick auf die Politik gen Null.
 
Ich finde: Das „mehr Demokratie wagen“ von Willi Brandt ist aktuell und richtet sich natürlich zuerst an die Politik. Zumal die Bundesrepublik in Fragen direkter Demokratie noch immer ein EU-Entwicklungsland ist.

3. 

Das Schulwesen in Deutschland gilt weiterhin als Auslesesystem. Kinder und Jugendliche aus wohlhabenden Verhältnissen werden gefördert, jene aus finanziell schwachen Verhältnissen benachteiligt.
 
2010 gab es in Hamburg einen Volksentscheid. Dabei ging es auch um Strukturänderungen, mit denen diese Auslese minimiert werden sollte.
Eine Mehrheit entschied sich dagegen. Und das hatte Ursachen:
Jene, die um Privilegien für ihren Nachwuchs fürchteten, nahmen zuhauf teil. Während jene, um die es eigentlich ging, den Volksentscheid ausschlugen. Sie waren offenbar in ihren sozialen Alltagssorgen befangen.
 
Auch im „Kinderreport 2017“ spielt der Zusammenhang zwischen sozialer Frage und Demokratie eine Rolle. Zu Recht angesichts grassierender Alltags-, Alters- und Kinderarmut. Eine klare Mehrheit der Befragten meint, dass hierzulande zu wenig gegen Armut getan wird. Nur eine Minderheit sieht Gründe dafür, warum das so ist. Die Erwartung an die Politik ist also übersichtlich.
 
Deshalb schließe ich meinen Eingangsbeitrag mit dieser Überlegung:
Demokratische Bürgerrechte und soziale Sicherheit dürfen nie mehr hierarchisiert, noch gegeneinander aufgerechnet werden. Das ist eine meiner zentralen Lehren, aus dem Scheitern des real existierenden Sozialismus. Und sie bleibt aktuell angesichts zunehmender sozialer und demokratischer Defizite des real existierenden Kapitalismus.
 

 

 

2.2.2017
www.petra-pau.de

 

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