Aktuelle Notiz: „Pegida“ ernster nehmen

von Petra Pau
Berlin, 16. Dezember 2014

1. 

Von 2002 bis 2011 lief die Langzeitstudie von Prof. Wilhelm Heitmeyer (Universität Bielefeld) und seinem Team. Überschrieben war sie mit „Deutsche Zustände“. Nach zehn Jahren Forschung, im November 2011, stellte er die Ergebnisse vor. Sein Fazit: Die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nimmt zu, die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt bei ungelösten Problemen wächst.

2. 

Erleben wir derzeit dafür die praktische Bestätigung? Etwa in Dresden, wo Tausende unter dem Kürzel „Pegida“, zu Deutsch „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ mobilisierbar sind?
Oder in Marzahn-Hellersdorf, wo besorgte Bürgerinnen und Bürger sich „Bürgerbewegungen“ anschließen, die von strammen Nazis organisiert und beworben werden? Ähnliches geschieht bundesweit.

3. 

„Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ ist mehr als Rassismus. Sie richtet sich gegen Obdach- und Arbeitslose, gegen Schwule und Lesben, gegen Menschen mit Behinderungen, kurz gegen alle, die in einer erdachten oder gefühlten Sozialskala unter einem selbst rangieren. Zugleich schließt „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ Rassismus stets ein, aktuell gegen Flüchtlinge, gegen Menschen in Not.

4. 

Ich muss hier nicht länger argumentieren, dass „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ asozial und falsch ist. „Hartz IV“ wurde nicht von Ausländern erfunden, sondern von deutschen Politikern beschlossen. Vielen Kommunen geht finanziell nicht die Luft aus, weil Asylsuchende en masse und in Saus und Braus hier schmarotzen, sondern weil Politiker die „kleinen Deutschen“ schröpfen und die Reichen entlasten.

5. 

Aber zweifellos gibt es ein politisches Unbehagen, das sich offenbar angestaut hat und sich nun zweifelhaft Bahn bricht. Die Zustimmung zur repräsentativen Demokratie schwindet von Wahl zu Wahl. Zugleich finden Rechtspopulisten immer mehr Zuspruch, hierzulande und EU-weit. Und so richtig es ist, rechtspopulistischen „Bürgerbewegungen“ nicht die Straßen zu überlassen, so wenig reicht das.

6. 

Professor Heitmeyer & Co. hatten - kurz gefasst - zwei Übel für die Zunahme „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ und die Akzeptanz von Gewalt ausgemacht: Das Soziale wird ökonomisiert, die Demokratie entleert. Politdeutsch nennt man das „Neoliberalismus“, eine Unterwerfung der Politik und damit auch der Demokratie unter Kapitalinteressen. Das geißelt selbst der Papst.

7. 

Das Soziale, das ökonomisiert wird, meint nicht Sozialleistungen a lá „Hartz IV“, sondern die Gesellschaft, das Zusammenleben, das Miteinander, die Solidarität. Sie werden zerstört. Die gesellschaftliche Mitte bricht weg, mahnt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, und damit jedweder Zusammenhalt. Auch sie mahnt einen generellen Politikwechsel an, auch gegen die ihr nah stehende Partei, die SPD.

8. 

Ein allgemeiner Unmut wächst offenbar. Politiker sollten sich mit einfachen Antworten, gar Schuldzuweisungen zurückhalten. Ich versuche es zumindest. Gleichwohl gibt es einen Limes, an dem sich Linke klar unterscheiden müssen: Sie sollte sich nie dem Verdacht aussetzen, auch nicht des lieben Friedens willen, mit vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtspopulisten gemeinsame Sache zu machen.
 

 

 

16.12.2014
www.petra-pau.de

 

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