IM WORTLAUT

DIE FRAKTION IN DEN MEDIEN

„Er war kein Lautsprecher“

15. August 2013

Petra Pau denkt nach dem Tod von Lothar Bisky über die politische Kultur hierzulande nach

Seit wann kannten Sie Lothar Bisky?

Petra Pau
Wahrgenommen hatte ich ihn erstmals durch seine Rede auf der großen Bürgerrechtskundgebung am 4. November 1989 auf dem Berliner Alex. Aus gemeinsamer Arbeit kenne ich ihn seit 1992, nachdem ich Landesvorsitzende der Berliner PDS geworden war.

Was haben Sie an ihm besonders geschätzt?

Als Politiker, auch als Parteivorsitzender, war er sehr angenehm atypisch. Mit Hierarchien konnte er wohl nie etwas anfangen, mit Rechthaberei schon gar nicht. Er war kein Lautsprecher. Lothar war ein Fragender, ein Suchender, ein Denkender, ein Bittender.

Ein Kommentator schrieb in seinem Nachruf: Ein Mensch wie Lothar Bisky käme heute in keiner Partei in eine Spitzenposition.

Seit Lothar Bisky gestorben ist, habe ich viel über die politische Kultur hierzulande nachgedacht. Das beginnt bei den Medien. 16.40 Uhr erfuhr ich von seinem Tod. 16.45 Uhr hatte ich bereits vier Interviewanfragen dazu.

Und?

Ich habe zugesagt. Wir leben in einer Mediengesellschaft und ich mache auch keinem Journalisten daraus einen Vorwurf. Aber trotzdem trägt diese Schnelllebigkeit schizophrene Züge. Man wird zu zitierfähigen Sätzen gedrängt, während man sich traurig Innehalten und Stille wünscht.

In den meisten aktuellen Kommentaren wird Lothar Bisky positiv gewürdigt.

Das finde ich angemessen, aber auch das gehört zum Widersinn. Wie oft wurde er in seiner Amtszeit gescholten, er habe eine langweilige Rede gehalten oder er setze sich als Vorsitzender einfach nicht durch. Plötzlich gilt das vermeintliche Manko als menschliche Tugend.

Sie beklagen schlechten Journalismus?

Nein, so einfach mache ich es mir eben nicht. Ich kenne Journalistinnen aus Medien, die in manchen linken Kreisen als böse-bürgerlich gelten. Es geht hier nicht um Namen. Aber sie haben Lothar Bisky seit 1990 begleitet. Sie schätzten ihn und seine Art sehr. Aber die Schlagzeilen setzten andere, meist parteipolitisch, also häufig gegen Lothar.

Lothar Bisky war selten in Talkshows.

Es gibt im deutschen Fernsehen keinen Mangel an Talkshows. Aber sie werden immer niveauloser. Entweder werden Politiker gegeneinander gehetzt. Oder es werden belanglose Themen aufgebläht. Typen, wie Lothar Bisky, sind da nicht gefragt.

Worte des Bedauerns über den Tod von Lothar Bisky kommen aus allen Parteien, der CDU, der SPD, der FDP ...

... ich unterstelle mal freundlich, die Worte sind ehrlich gemeint und nicht nur die übliche Huldigungs-Routine. Etwa, wenn Lothar nun bescheinigt wird, dass er immer kulturvoll mit anderen umging, selbst mit Konkurrenten, und dass er stets ein verlässlicher Partner war. Und schon sind wir wieder bei der politischen Unkultur, über die ich seit Tagen nachdenke.

Inwiefern?

Wenn Lothar Bisky in den Augen der CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen solche Qualitäten verkörpert hat, wie sie ihm nun posthum bescheinigt werden, warum hat man ihn dann 2005 bei seiner Kandidatur zum Vizepräsidenten des Bundestages vier Mal durchrauschen lassen?

Sie meinen, das passt nicht zusammen?

Leider doch. Nicht aus meiner Sicht, aber im unsäglichen Selbstverständnis der Politik. Ich illustriere das gern mit einem zweiten Beispiel.

Bitte!

Stefan Heym war Jude. Er musste als Jugendlicher vor den Nazis fliehen und kam mit der US-Armee als Befreier nach Deutschland zurück. Als gefragter Schriftsteller wurde er in der DDR mit Argwohn und Schlimmeren bedacht, weil er ein kritischer Linker war. In der BRD ward er deswegen hoch gelobt, weil er dadurch ein Kritiker in der DDR war. Im vereinten Deutschland wurde er 1994 für die PDS in den Bundestag gewählt und hielt dort als Alterspräsident eine sehr nachdenkliche Eröffnungsrede. Die etablierten Parteipolitiker, die den linken Heym noch vor Jahren gepriesen hatten, begegneten ihm, dem immer noch linken Heym, nun mit Eiseskälte. Diese menschliche Schmähung war eine politische Offenbarung.

In der Parteipolitik gilt der eigene Erfolg und nicht der Mensch?

Zu häufig. Das macht sie kulturlos und für viele abstoßend. Nehmen wir das Beispiel Heiner Geißler. Als CDU-Generalsekretär war er der bestellte Hau-Drauf gegen alle, die als Linke galten. Vom Amte befreit, als denkender Bürger, wurde er ein kapitalismuskritisches Attac-Mitglied.

Kurzum: Parteipolitik versaut den Charakter?

Da ist viel dran. Nur: Lothar Bisky hat das Gegenteil bewiesen und gelebt. Ich wünsche mir mehr solcher Vorbilder in der Politik.

Fällt Ihnen zu Lothar Bisky noch eine besondere Episode ein?

Da gibt es sehr viele, aber ich nehme mal eine ernste zum Schmunzeln. 1994 sollte die PDS mit einem Steuerbescheid politisch erledigt werden. Es ging um Forderungen von 67 Millionen D-Mark. Sie waren ungerechtfertigt. Aber der Rechtsweg gegen diese politische Attacke schien ausgeschöpft.

Die PDS-Spitze reagierte darauf mit einem Hungerstreik, richtig?

Ja, auch Lothar Bisky. Außerdem besetzten sie aus Protest das Büro der damaligen Kommission für DDR-Parteivermögen. Ich war dabei.

Die unberechtigte Steuerforderung wurde fallen gelassen. Sie hatten also Erfolg. Aber für die Besetzung hagelte es Anklagen wegen Hausfriedensbruchs.

Bei meinem Prozess erklärte ich dem Gericht, dass dies eine spontane Verzweiflungstat war. Was ja auch stimmte. Jedenfalls fast.

Und das Gericht?

Der Prozess fand ein paar Jahre später statt. Inzwischen gab es ein Buch von Lothar Bisky „Wut im Bauch“. Darin stand prominent bezeugt auch, wann und wo die Besetzung der Kommissionsräume geplant wurde. Also nix spontan. Die Richter hielten mir schmunzelnd Lothars Buch vor.

Ein Gericht hatte Bisky gelesen...

... und verurteilte mich darob zu einer deftigen Geldstrafe.

Interview: Rainer Brandt

linksfraktion.de, 15. August 2013

 

 

15.8.2013
www.petra-pau.de

 

Übersicht
Bundestag

 

 

Lesbares

 

Seitenanfang

 

Startseite