Aktuelle Notiz: 
Amtsdeutsch: verstockte Türken und kriminelle Zigeuner

von Petra Pau
Berlin, 3. Mai 2013

1. 

Mehrfach wurde ich jüngst gebeten, eine Stellungnahme oder gar ein Interview zum bevorstehenden Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere möglicherweise Beteiligte an der NSU-Nazi-Mordserie zu geben. Ich werde alles meiden, was auch nur den Eindruck suggerieren könnte, ich wollte politischen Einfluss auf das Gericht ausüben. Das liegt mir fern.
 
Ohnehin geht es um verschiedene Sachverhalte. Der Ausschuss des Bundestages will untersuchen, warum die Politik und die Behörden rund um das NSU-Nazi-Mord-Desaster versagt haben. Das Gericht muss den Angeklagten persönliche Mitschuld an Morden, Anschlägen und Überfällen nachweisen. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

2. 

Es gab in der Nachkriegs-Geschichte Deutschlands drei, maximal vier Prozesse von internationaler Bedeutung: die Nürnberger Prozesse gegen die Nazi-Kriegsverbrecher 1945, die Auschwitz-Prozesse in den 1960er Jahre, die RAF-Prozesse in den 1970er Jahren. Vielleicht auch noch der Prozess der BRD gegen Ex-DDR-Staatschef Erich Honecker.
 
Nun also der NSU-Prozess und die Frage: Ist ein Münchener Gericht einfach zu borniert oder warum wird ein internationales Interesse daran einfach ignoriert? Neun der zehn Mordopfer der NSU-Nazi-Bande hatten türkische bzw. griechische Wurzeln. Trotzdem wurden türkische und griechische Medien im ersten Anlauf vom Prozess ausgeschlossen.

3. 

Man möge sich vorstellen, habe ich daraufhin erklärt: Türkische Faschisten würden in der Türkei systematisch Deutsche morden. Es käme zum Prozess in Ankara und kein deutscher Journalist oder Diplomat bekäme Zutritt. BILD würde sich zu doppelter Größe aufblasen und die Bundeskanzlerin ließe erklären, die Türkei sei nicht EU-reif.
 
Diese ganzen Super-Peinlichkeiten lenken allerdings nur vom eigentlichen Problem ab. Ein Nazi-Trio zog 13 Jahre lang mordend und raubend durch Deutschland, unerkannt und unbehelligt. Angeblich unerkannt, „mit Sicherheit“ unbehelligt. Darüber empört sich bestenfalls eine Minderheit. Es gibt keinen Aufstand der Anständigen.

4. 

Ich war jüngst in Köln, in der Keupstraße. Dort zündete die NSU-Bande 2004 eine Nagelbombe. 22 Türkinnen und Türken wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Man muss blind sein, um ein rassistisches Motiv auszuschließen. Aber die Politik und die Behörden taten es. Stattdessen wurden die Betroffenen als Täter verdächtigt.
 
„Noch im Herbst 2011 wurde ich vorgeladen und zu einem Geständnis gedrängt.“ Das sagte mir der Inhaber des Friseurladens, vor dem 2004 die NSU-Nagel-Bombe explodierte. Sieben zermürbende Jahre lang wurde er verfolgt. „Auch die Polizei kann sich irren“, sagte er mir. „Aber sie vergaß, dass wir Menschen sind. Das kann ich nicht verwinden.“

5. 

Es gab Sonderkommissionen, die in der Mordserie ermittelten. Sie hießen „Bosporus“ und „Halbmond“. Die meisten Medien verbreiteten ihre Vorverurteilungen als „Dönermorde“. Passend dazu ließ die Bayerische Polizei Dönerbuden betreiben, um türkische Killer zu provozieren, anzulocken und auf frischer Tat dingfest zu machen.
 
In Berliner Sicherheitsbehörden bekamen V-Leute aus der Nazi-Szene türkische Decknamen. In amtlichen Akten anderer Bundesländer finden sich Einträge, wonach die Morde so brutal gewesen seien, dass sie aus dem „mitteleuropäischen“ Rahmen fielen. Anderswo gibt es Notizen über verstockte Türken, die einfach nicht kooperieren wollen.
 
Nur einmal passte ein Verbrechen nicht in das Türken-Klischee. Man fand ein anderes. Nach dem Mord an der Polizistin Kiesewetter in Heilbronn 2007 fahndete man europaweit nach „kriminellen Zigeunern“. Auch diese diffamierende Formulierung kam aus deutschen Amtstuben. Und kein leitender Kriminalbeamte oder Staatsanwalt nahm daran Anstoß.

6. 

Die NSU-Nazi-Mordserie war rassistisch motiviert. Daran wird auch das Oberlandesgericht München nicht vorbeikommen. Aber auch die Ermittlungen hatten rassistische Züge. Das dürfte vor Gericht keine Rolle spielen. Die NSU-Opfer bzw. deren Angehörigen aber empfanden das als zweiten rassistischen Anschlag, diesmal von Staats wegen.
 
Der Untersuchungsausschuss des Bundestages wird dazu klare Worte finden, hoffe ich. Das gehört zur Analyse, das ist aber noch keine Lösung. Die Politik muss endlich aufwachen und die Gesellschaft auch. Noch nehmen nur wenige den Befund „Rassismus“ in den Mund. Dieses gefährliche Manko können kein Ausschuss und kein Gericht beheben.
 

 

 

3.5.2013
www.petra-pau.de

 

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