Verfassungsschutz als Geheimdienst auflösen

Beitrag von Petra Pau auf der Fachtagung der Fraktion DIE LINKE Sachsen-Anhalt „Verfassungsschutz - geht's auch ohne?“
Magdeburg, 29. April 2013

[pdf]

Mit dem Verfassungsschutz habe ich ja schon länger zu tun. Er hat sich emsig um mich bemüht. Im Jahr 2000 berichtete der „Spiegel“, dass er mir sogar einen V-Mann spendierte und in meinem Wahlkreisbüro platziert hatte.

So war er zum Wohle des Staates stets gut informiert. Nachdem ich den ungeschwärzten Teil meiner VS-Akte einsehen konnte, weiß ich:
Ihm blieb fast nichts verborgen. So gab es 2006 einen alarmierenden Eintrag: „Petra Pau wurde am 6. April zur Vizepräsidentin des Bundestags gewählt.“

Ich habe trotz dieser Zuwendung gegen die Bundesregierung wegen meiner Beobachtung durch den Verfassungsschutz geklagt. Verhandelt wurde im Februar diesen Jahres in Köln. Seitdem habe ich es vom Verfassungsschutz schriftlich und amtlich beglaubigt:

1. Petra Pau ist als Person eine Gute.
2. Petra Pau wird schon seit Wochen nicht mehr beobachtet.
3. Das wird auch so bleiben, sofern sie eine Gute bleibe.

Was übersetzt und im Verständnis des Verfassungsschutzes heißt: sofern ich keine herausgehobenen Funktionen innerhalb der Partei DIE LINKE anstrebe.

Das ist keine Drohung, sondern ein freundlicher Hinweis. Mit Partei-Politik hat das auch nichts zu tun, nur mit demokratie-fernem Irrsinn.

Deshalb nun nicht ironisch, sondern prinzipiell gesagt.

Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es nicht, Kriminelle aufzuspüren und Täter festzunehmen. Das obliegt allein der Polizei.
Der Verfassungsschutz forscht nach Meinungen, auch ohne jeden Tatverdacht. Er ist ein Gesinnungs-TÜV und zudem politisch missbrauchbar.
Er steht mithin im Widerspruch zu Artikel 5 Grundgesetz. Dort heißt es:

(1) „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten... Eine Zensur findet nicht statt.“

Diese verbriefte Meinungsfreiheit ist eine Grundsäule einer lebendigen Demokratie. Staatliche Meinungsschnüffler sind darin Fremdkörper.

Deshalb sage ich: Der Verfassungsschutz ist als Geheimdienst aus grundsätzlichen Erwägungen aufzulösen.

So viel vorweg.

Verfassungsschutz und NSU-Nazi-Desaster

Intensiver als sonst mussten wir uns mit dem Thema Verfassungsschutz natürlich im Zuge der Untersuchungen zum NSU-Nazi-Mord-Desaster auseinander setzen. Und dazu werde ich im Folgenden sprechen.

Zur Erinnerung, worum es eigentlich geht: Ein Nazi-Trio namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ zog 13 Jahre lang mordend und raubend durch Deutschland - unerkannt und unbehelligt. Die Sicherheitsbehörden haben total versagt. Am 4. November 2011 flog das Trio auf. Im Februar 2012 entschuldigte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und versprach lückenlose Aufklärung. Soweit die offizielle Darstellung.

Ich wiederhole: Man muss viele Fragezeichen wegwischen, um dieser Version arglos zu folgen. Zu viele Ungereimtheiten blieben bislang ungeklärt. Aus meiner Sicht gibt es bisher keinen Tatort, wo ich guten Gewissens sagen kann: Ja, so muss es gewesen sein.

Ich nehme nur mal den elften Tatort mit Todesfolge. Am 4. November 2011 überfielen Böhnhardt und Mundlos erneut eine Bank, diesmal in Eisenach. Die örtliche Polizei kam den beiden auf die Spur, sie kreiste sie ein. Böhnhardt und Mundlos brachten sich daraufhin in ihrem Fluchtwohnwagen selber um.

Unterstellen wir einmal, das war so. Zur selben Zeit war die Dritte im Bunde, Beate Zschäpe, in ihrer gemeinsamen Wohnung in Zwickau. Sie surfte arglos im Internet. Stunden später rief sie plötzlich bei den Eltern von Mundlos an und sagte: Die Uwes kommen nicht mehr, sie sind tot.

Preisfrage: Woher wusste sie das?

Sie merken: Es gibt viel Raum für Verschwörungstheorien. Und immer wieder spielen dabei Geheimdienste eine Rolle. Und jede im Nachhinein vernichtete Akte und jede verweigerte Auskunft nährt natürlich Verschwörungstheorien. Ebenso Erinnerungen aus der Geschichte westlicher Geheimdienste. Ich nenne hier als Stichwort nur „Gladio“. Wer googelt findet mehr darüber.

Gleichwohl haben wir uns als LINKE im Bundestags-Untersuchungsausschuss darauf nie eingelassen. Wir wollen untersuchen und aufklären, und das so transparent und seriös wie möglich. Das sind wir letztlich den Opfern und ihren Hinterbliebenen schuldig. Sie kommen ohnehin zu wenig vor.

Zwei zentrale Fragen

Zwei Fragen bewegten uns bei alledem wie ein roter Faden.
Erstens: War das NSU-Trio wirklich 13 Jahre lang unerkannt, und wenn nicht, warum dann unbehelligt?
Zweitens: Warum wurde die rechtsextreme Gefahr nahezu von allen Behörden so lange, so gründlich, so tödlich unterschätzt?

Beide Fragen haben viel mit dem Verfassungsschutz zu tun. Er definiert sich selbst als Vorwarnsystem für die Politik, als unverzichtbar obendrein. Der zurückgetretene Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Fromm, konstatierte: Wir haben versagt, wir hätten es besser wissen können.

Ich gehe einen entscheidenden Schritt weiter: Die Ämter für Verfassungsschutz agierten im Zentrum des Versagens. Sie haben Aufklärung nicht befördert, sondern Ermittlungen verhindert. Nicht aus Versehen, sondern aus Prinzip. Das Wort „Panne“ habe ich im NSU-Zusammenhang ohnehin gestrichen.

Ich will das an zwei Grundlinien, die zum System Verfassungsschutz gehören, verdeutlichen. Beide zeigen, sie sind nicht die Lösung, sondern das Problem.

Die V-Leute-Praxis

Als erstes die V-Leute-Praxis. V-Leute sind keine netten Informanten von nebenan. Sie sind vom Staat gekaufte Spitzel und bezahlte Täter. Sie sind aktive Nazis, mit denen die Sicherheitsbehörden eine Staats-Kumpanei eingehen.

Eine V-Mann-Geschichte werde ich illustrieren, drei andere nur anreißen.

Carsten Szczepanski wuchs in Berlin-Neukölln auf. Nach der Deutschen Einheit zog er wie viele Nazi-Kader in den Osten um, er nach Königs-Wusterhausen. Er radikalisierte sich zu einer Nazi-Größe, die weit über die Mark Brandenburg hinaus bekannt war. Sein Strafregister wurde lang und länger.

Gemeinsam mit Nazi-Kumpanen versuchte er 1992 einen Nigerianer zu erschlagen und final im Scharmützelsee zu ertränken. Er wurde wegen Mordversuches verurteilt, er kam in den Knast und er wurde daraufhin vom Verfassungsschutz als V-Mann „Piato“ eingekauft.

Das brachte ihm umgehend Hafterleichterungen. Sein V-Mann-Führer fuhr ihn verlässlich zu Nazi-Treffs. Das ermöglichte "Piato" zudem, in der Justizvollzugsanstalt eine Hetz-Postille zu erstellen, die in der Nazi-Szene gut ankam. Er galt als Held und Märtyrer, der sich nicht klein kriegen lässt.

Schließlich wurde er vorzeitig entlassen. Dazu bedurfte es einer positiven Sozialprognose. Ihm wurde ein Praktikum vermittelt und eine Festanstellung in Aussicht gestellt. Das Gericht stimmte seiner Freilassung zu. Unter der Maßgabe: Szczepanski habe sich fürderhin von der Nazi-Szene fern zu halten.

Was die Strippenzieher vom Verfassungsschutz dem Gericht vorenthielten, war: Das vermeintliche Praktikum hatte ihr V-Mann „Piato“ in einem Nazi-Szene-Laden in Sachsen. Und die in Aussicht gestellte Festanstellung sollte eine neue Filiale dieses Nazi-Treffs im Raum Berlin-Brandenburg sein.

Das mag aus Sicht eines Geheimdienstes logisch sein. Man platziert geheime Informanten dort, wo Informationen anfallen könnten. De facto aber hat der Verfassungsschutz die Brandenburger Justiz getäuscht und dazu beigetragen, die Nazi-Szene zu stärken.

Dieselbe Geschichte lässt sich über den Thüringer Nazi Tino Brandt erzählen. Auch er wurde vom Verfassungsschutz gekauft und fürstlich entlohnt. Von 200.000 Euro ist die Rede, die Brandt nach eigenen Aussagen in die Nazi-Szene steckte. Genau in die, aus der das NSU-Mord-Trio hervorging.

Thomas Starke war geheimer Informant des Landes-Kriminalamtes Berlin, ebenfalls ein Hardcore-Nazi. Das flog im vorigen Sommer auf. Der Berliner Senat hält sich bis heute bedeckt. Von aktiver Aufklärung kann keine Rede sein.

Schließlich V-Mann „Corelli“ aus Sachsen-Anhalt. Er hat viel mit der Gründung einer deutschen Sektion des Ku-Klux-Klan zu tun. Als der Generalbundesanwalt 2012 auch gegen ihn ermittelte, deckte der Verfassungsschutz ihn noch immer.

Sie können aus diesen Beschreibungen übrigens auch meine verhaltende Skepsis raushören, was der Münchener Prozess gegen Zschäpe & Co. bringen kann.

Schmutzfüße und Dreck als System

Vor einigen Wochen hatte die Fraktion DIE LINKE des Bundestages zu einer Veranstaltung in Berlin über den Verfassungsschutz eingeladen. Die Medien kamen zu Hauff. Denn zugesagt hatte auch der neue Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Hans Georg Maaßen. Und er kam auch.

Als ich die Piato-Geschichte erzählte, holte er kurz Luft und meinte dann:
Was soll ich dazu sagen. Das sind Schmutzfüße. Aber wir brauchen sie.

Das führt mich zur nächsten Frage. Es ist nachgewiesen, dass die Staats-Kumpanei mit V-Leuten die Nazi-Szene stärkt. Nun versuche ich wieder in Geheimdienst-Logik zu denken: Vielleicht muss man das in Kauf nehmen, um die Nazi-Szene letztlich zu zerschlagen? Eine Art Dialektik?

Die Praxis spricht eine andere Sprache. Und damit bin ich wieder beim NSU-Desaster. Beide Informanten, Szczepanski in Brandenburg und Starke in Berlin, haben in der Tat Informationen geliefert, die zur Erfassung des NSU-Nazi-Mord-Trios hätten führen können.

Die Inhaberin des Nazi-Szene-Landens in Sachsen, in dem „Piato“ ein Praktikum absolviert haben soll und von dem er einen Ableger in Berlin-Brandenburg leiten sollte, war keine Unbekannte. Sie war eine Nazi-Größe in Sachsen mit Kontakten zum NSU-Nazi-Trio.

Sie hatte Beate Zschäpe ihren Ausweis überlassen, damit diese mit fremder Identität agieren konnte. Und der Berliner Informant Starke hatte dem späteren NSU-Nazi-Trio vordem Sprengstoff und nachdem Unterschlupf besorgt. Von alledem erfuhren die Polizei-Ermittler nach dem NSU-Terror-Trio nichts.

Geheimdiensten war bekannt: Ein Sprengstoff-Trio ist untergetaucht. Es braucht Geld. Es sucht Waffen. Es ist wahrscheinlich in Sachsen. Es plant weitere Anschläge. Es braucht plötzlich kein Geld mehr. Jeder Ermittler hätte sich darauf einen Reim machen können. Nur: Sie erfuhren davon nichts.

Der Verfassungsschutz und andere Geheimdienste kooperierten mit der Nazi-Szene und ließen zugleich die Ermittlungsbehörden ins Leere laufen. Und zwar nicht als Panne, sondern systematisch. „Quellenschutz geht vor Aufklärung“, das wird uns immer wieder gesagt. Dem widerspreche ich heftig.

Quellenschutz vor Aufklärung

Aber das ist die Praxis. Am 6. April 2006 richtete das NSU-Trio in Kassel den Betreiber eines Internet-Cafés hin. Es war ihr neunter Mord. Zur Tatzeit surfte ein Beamter des Landesamtes für Verfassungsschutz im selben Café. Dienstlich führte er V-Leute, auch in der Nazi-Szene.

Die Polizei wollte ihn und seine V-Leute als Zeugen befragen. Das Landesamt für Verfassungsschutz verwahrte sich dagegen. Der Konflikt wurde damals vom Innenminister Hessens entschieden. Politisch ist er Dienstherr beider Ämter. Er entschied zugunsten des Verfassungsschutzes.

Der damalige Innenminister Hessens, Bouffier (CDU), ist heute Minister-Präsident von Hessen. Im Untersuchungsausschuss des Bundestages rechtfertigte er seine damalige Entscheidung noch immer mit dem Grundsatz:
Quellenschutz gehe vor Ermittlungen, selbst bei Mordfällen.

Ende der 1990er Jahre gab es ein Thesenpapier des Bundeskriminalamtes. Darin listete das BKA auf, dass und wie das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Arbeit be- und verhindere. Wieder entschied die politische Ebene, wieder zu Lasten der polizeilichen Ermittler.

Auch deshalb habe ich vorhin gesagt: Das Wort „Pannen“ habe ich im Zusammenhang mit dem NSU-Nazi-Morddesaster aus meinem Sprachschatz gestrichen. Es geht um systematische Fehler, um Systemfehler: die Geheimdienst-Logik und die Geheimdienst-Praxis des Verfassungsschutzes.

Gesetz und geheim

Nun wurde uns auch im Ausschuss immer wieder vorgehalten, dass diese Regelungen vielleicht misslich sind, aber vollends rechtens seien. Die strittigen Entscheidungen wären schließlich nicht nach Gutdünken, sondern zwingend nach einschlägigen Richtlinien gefällt worden.

Und in der Tat: es gibt solche Richtlinien, zum Beispiel für die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutzes. Darin heißt es unter anderem (Zitat):

Der „Quellenschutz“ umfasse „alle Maßnahmen, die erforderlich und geeignet sind, eine nachrichtendienstliche Quelle gegen eine Enttarnung und deren Folgen zu schützen.“

Halina Wawzyniak hat mich auf ein Buch aufmerksam gemacht. Sie hatte es auf ihrer eigenen Webseite bereits kommentiert. Es ist ein Buch, nach dessen Weisheiten alle Verfassungsschützer aus- und weitergebildet werden.

Es heißt „Handbuch des Verfassungsschutzrechtes“.
Es stammt aus dem Computer einer Bernadette Droste.
In einschlägigen Verfassungsschutz-Schulen gilt es als Bibel.
Zum Standard-Gebet gehört folgende Satz (Zitat):

„Ein Nachrichtendienst muss (...) alle Maßnahmen ergreifen, die erforderlich und geeignet sind, eine nachrichtendienstliche Quelle gegen Enttarnung (...) zu schützen.“

Und weiter (wieder Zitat): „Im Zweifel (...) ist ein mögliches Strafverfolgungsinteresse dem Schutz der Quelle unterzuordnen.“

In einem Audio habe ich sarkastisch kommentiert: „Und da schon Karl Marx gemahnt hatte, an allem ist zu Zweifeln, hüten die Geheimdienste ihre Geheimnisse und lassen die Ermittler vorsätzlich ins Leere laufen.“

Damit komme ich zu der Frage: Ist das, was ich geschildert und zitiert habe, wirklich rechtens? Dazu noch ein Zitat. Es stammt aus dem Gesetz über den Bundesverfassungsschutz. Darin heiß es:

„Das Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt den Staatsanwaltschaften und (...) den Polizeien von sich aus die ihm bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich sind“.

Das ist ein klarer Auftrag: „übermittelt von sich aus“ - alle Informationen - „zur Verhinderung oder Verfolgung“ von Verbrechen.
Und da wir in einem Rechtsstaat leben, gilt für mich das Gesetz und nicht, was sich Frau Droste und andere Geheimkrämer ausdenken.

Damit könnte ich einen versöhnlichen Schlusspunkt setzen. Man muss lediglich dem Gesetz Geltung verschaffen und den Verfassungsschutz reformieren.
Sein Image ist zwar ramponiert. Aber das lässt sich heilen.

Das ist ja auch die Botschaft, mit der Bundesinnenminister Friedrich und der neue Verfassungschef Maaßen derzeit durch die Lande und Medien reisen.
Damit begehren sie selbst Einlass in Schulen. Wogegen DIE LINKE ist.

Geheimes ist unkontrollierbar

Um die Reform-Absurdität zu illustrieren, zitiere ich nun mal Wahres, weil Nachvollziehbares, aus der Verfassungsschutz-Bibel von Bernadette Droste.

Zitat 1:
„Geheime staatliche Tätigkeit widerspricht an sich dem in der deutschen Verfassung angelegten Prinzip einer offenen Gesellschaft.“

Zitat 2:
„Der Rechtsstaat muss deshalb um des Spannungsverhältnisses zwischen Freiheit und Sicherheit willen damit leben, dass ‚seine' Nachrichtendienste partiell nicht kontrollierbar sind.“

Ich füge hinzu: Das Wörtchen „partiell“ können sie streichen.
Geheimdienste sind prinzipiell nicht zu kontrollieren.

Ich fasse zusammen:

Erstens: Der Verfassungsschutz als Geheimdienst widerstrebt Artikel 5 Grundgesetz. Er entzieht sich zudem jedweder Kontrolle. Er ist ein Fremdkörper in einer demokratischen Gesellschaft.

Zweitens: Auch beim NSU-Nazi-Desaster hat sich gezeigt: Die V-Leute-Praxis ist eine Kumpanei, mit der die Nazi-Szene gestärkt wird. Ihr Quellenschutz verhindert Ermittlungen gegen sie.

Drittens: Der Name „Verfassungsschutz“ suggeriert, diese Ämter würden die Verfassung schützen. De facto geschieht das Gegenteil. Die V-Leute Praxis ist zu beenden und die Ämter sind als Geheimdienste aufzulösen.

Zwei Nachgedanken

Gestatten Sie mir abschließend noch zwei Gedanken. Beide haben etwas mit dem NSU-Nazi-Desaster zu tun, gehen aber weit darüber hinaus.

Erstens: Ich habe eingangs gesagt, dass im Zentrum des Versagens die Ämter für Verfassungsschutz agierten. Aber sie sind nicht das einzige Problem.
Die Mordserie hatte rassistische Motive, die Ermittlungen hatten rassistische Züge. Wir haben ein gesellschaftliches Problem namens Rassismus. Dafür gibt es auch politische Ursachen. Aber wir haben keine gesellschaftliche Debatte über Rassismus. Die Untersuchungsausschüsse können diese nicht ersetzen.

Zweitens: Vor kurzem war ich in Köln. Ich habe auch die Keupstraße besucht. Dort hatte die NSU-Bande 2004 eine Nagelbombe gezündet. 22 Menschen, vorwiegend Türkinnen und Türken, wurden verletzt, einige lebensgefährlich. Ich wollte mir ein Bild von dem Tatort machen.

Ein engagierter Keupstraßen-Bewohner empfing mich und öffnete mir auch Türen zu Betroffenen. So auch zu dem Friseur, vor dessen Laden die Bombe explodiert war. Wie andere Opfer, wurde auch er noch bis in den Herbst 2011 hinein als Täter verdächtigt. Sieben zermürbende Jahre lang.

Sein Geschäft war zerbombt, seine Familie zerfiel, sein soziales Umfeld wurde zersetzt. Er sagte mir: „Auch die Polizei kann irren. Das verstehe ich. Aber man hat vergessen, dass wir Menschen sind. Darüber komme ich nicht hinweg.“

Danach lud mich mein Begleiter noch auf ein Glas Tee ein. Er spendierte Gebäck. Wir sprachen darüber, was man für die Opfer tun könne. Schließlich brach es auch aus ihm heraus, leise, aber vernehmbar:

„Ich lebe seit 50 Jahren hier. Ich bin seither Deutscher. Meine Kinder sind Deutsche, meine Enkel auch. Wo sollen wir denn hin?“ Diese Frage lässt mich seither nicht mehr los. Ich will sie ihnen abschließend allen mitgeben.

DANKE
 

 

 

29.4.2013
www.petra-pau.de

 

Übersicht
Bundestag

 

 

Lesbares

 

Seitenanfang

 

Startseite