Ein Brandmal deutscher Geschichte

Rede von Petra Pau zur Eröffnung der Sonderausstellung zum Reichstagsbrand im Berliner Feuerwehrmuseum
Berlin, 26. Februar 2013

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1. 

Noch immer streiten Historiker, wer den Reichstag am 27. Februar 1933 wirklich angezündet hatte. Ich maße mir als Politikerin nicht an, die richtige Antwort zu wissen. Trotzdem hat der „Tagesspiegel“ vielleicht Recht. Gerade der Bundestag sollte ein besonderes Interesse haben und auf eine Klärung drängen - gemeinsam mit Wissenschaftlern und Historikern. Das könnte ein Anliegen in der 18. Legislatur sein.

2. 

Unstrittig indes ist: Die Nazis nahmen den Reichstagsbrand zum Anlass, um Demokratie und Bürgerrechte zu schleifen. Rassismus wurde zur Staatsräson erhoben. Politisch Missliebige wurden verfolgt, inhaftiert, vertrieben, ermordet. Dazu gehört der Völkermord an Millionen Jüdinnen und Juden in ganz Europa. Schließlich eröffnete Nazi-Deutschland den 2. Weltkrieg, der 50 Millionen Menschen in den Tod trieb.
 
Der Reichstagsbrand ist daher ein Brandmal deutscher Geschichte.
Deshalb ist es wichtig, an ihn und an seine Folgen zu erinnern.

3. 

Zu der Ausstellung, die wir heute eröffnen, werden andere sachkundig sprechen. Ich sage etwas zur Erinnerungskultur und das aus ständiger Erfahrung. Seit 1999 ist das restaurierte und modernisierte Reichstagsgebäude Herzstück des Parlaments-Viertels. Es ist seither das weltweit am meisten besuchte Parlament. Und wer schon mal eine Führung erlebt hat, weiß: überall mahnen und erinnern Zeugnisse.
 
Dazu gehört auch ein Teil des historischen Tunnels, durch den der oder die Brandstifter 1933 in den Reichstag gelangten. Habe ich Besucherinnen und Besucher jenseits der 50 Jahre zu Gast, schaue ich meistens in wissende Gesichter. Ganz anders sieht es bei 30-jährigen und jüngeren aus. Für sie ist diese Geschichte, auch die des Reichstagsbrandes und der Pogrome danach, oft fern und fremd. Das ist nicht gut.
 
Unweit des historischen Tunnels hat der französische Künstler Christian Boltanski seine Mahnung hinterlassen, das Archiv der Abgeordneten. Alle zwischen 1919 und 1999 gewählten Parlamentarier haben hier einen Erinnerungskasten - fast alle. Zu lesen ist der Name und die jeweilige Partei. Ein schwarzer Streifen markiert jene, die von den Nazis ermordet wurden. Es sind sehr viele, quer durch alle demokratischen Parteien.
 
Die West-Lobby wird durch ein Gemälde von Katharina Sieverding dominiert. Es wirkt bedrohlich. Man kann es als loderndes Rückgrat sehen. Auf drei Tischen liegen drei Bücher. Darin findet man Namen, Bilder und Biografien von Abgeordneten, die von den Nazis inhaftiert, vertrieben, ermordet wurden. Jährlich müssen die Bücher neu gebunden werden. Sie werden genutzt, abgenutzt, als Geschichte zum Begreifen.
 
Andere Kunstwerke erinnern nicht, sie mahnen. Sie waren besonders umstritten, denn sie appellieren an die aktuelle Politik.
 
Zum Beispiel der Andachtsraum von Günter Uecker. Er drohte sogar mit Entzug, weil eine Fraktion auf einem großen christlichen Kreuz bestand. Uecker setzte sich mit seiner Botschaft durch, für alle Religionen offen zu sein, für die christliche, die jüdische, den Islam, den Hinduismus. Es ist ein Plädoyer für einen gleichberechtigten interreligiösen Dialog und bietet Gläubigen aller Konfessionen Raum und Muße.
 
In Nord-Innenhof finden Sie den Beitrag von Hans Haacke. In großen Lettern ist dort zu lesen „DER BEVÖLKERUNG“. Es ist Kontra-Punkt gegen die Giebel-Inschrift „DEM DEUTSCHEN VOLKE“. Letztere hat übrigens eine eigene Geschichte, aber die führte jetzt zu weit. „DER BEVÖLKERUNG“ steht auf einem Beet mit Erde aus allen Wahlkreisen Deutschlands. So wächst multikulturell frei, was der Boden enthielt.

4. 

Ich habe Ihnen diesen kleinen Ausflug durch den Bundestag geboten, weil Erinnern immer eine Brücke in die Gegenwart schlagen sollte. Zu den Lehren gehört auch, dass die Nazis seiner Zeit nicht an die Macht kamen, weil die NSDAP so stark war, sondern weil die Demokratinnen und Demokraten, gerade auch ihre Parteien, in einer Schicksalsfrage uneins, zerstritten, verfeindet waren. Das darf sich nie wiederholen.
 
Vieles jährt sich 2013 zum 80. Mal. Übrigens auch die Frage, wie aus einem durchaus widerständigen Berlin binnen Monaten eine braune Reichshauptstadt werden konnte. Zahlreiche Initiativen suchen unter dem Motto „Zerstörte Vielfalt“ nach Antworten. Ich wünsche Ihrer Ausstellung Erfolg, also viele Besucherinnen und Besucher, nachdenklich über damals und umso engagierter für Bürgerrechte und Demokratie heute.
 

 

 

26.2.2013
www.petra-pau.de

 

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