Aktuelle Notiz: Schwarzer Freitag

von Petra Pau
Berlin, 18. August 2012

1. 

Eine Episode vorweg: Im Juni 2007 tagte der so genannte G8-Gipfel in Heiligendamm, westlich von Rostock. Das Ostsee-Bad war zum Hochsicherheitstrakt ausgebaut worden. Der Ort wurde großräumig umzäunt. Kein Sterblicher durfte nahen. Dennoch gab es Proteste, Demonstrationen und Alternativgipfel, soziale, antikapitalistische. Ein Bild ging über die Sender. Aktivisten von Greenpeace drangen in die Sperrzone ein und wurden von Sicherheitsbooten „überrollt“.

2. 

Im Innenausschuss des Bundestages gab es damals ein Nachspiel. Eine Abgeordnete schilderte ihre Erlebnisse in einem Protestcamp. „Plötzlich kamen zwei Kampfjets im Tiefflug auf uns zugerast. Im letzten Moment starteten sie wieder durch ...“ „Die Piloten haben sie erkannt und waren erschrocken“, witzelte ein CDU-Kollege. Die Globalisierungs-Kritiker dürften die Drohung anders empfunden haben. Wohl bemerkt: Es war ein Einsatz der Bundeswehr im Innern.

3. 

Später wurde dazu im Plenum des Bundestags debattiert. Damals sagte ich: „Art. 35 Grundgesetz gestattet den Einsatz der Bundeswehr im Innern bei außerordentlichen Naturkatastrophen und bei besonders schweren Unglücksfällen. Wenn der G-8-Gipfel eine außerordentliche Naturkatastrophe war und ein besonders schwerer Unglücksfall, dann frage ich die Bundesregierung: Warum holen Sie so viel Unglück in unser Land?“ Eine offizielle Klarstellung gab es nicht.

4. 

Der Streit, ob und wann die Bundeswehr im Inland eingesetzt werden darf, ist Asbach-uralt. Bislang wähnten die Gegner das Verfassungsgericht auf ihrer Seite. Seit dem 17. August 2012 ist das nicht mehr so. Ein Einsatz der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr sei im Inneren zulässig, urteilte die Große Kammer, bei „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“. Hat das Bundesverfassungsgericht damit lediglich Artikel 35 des Grundgesetzes bekräftigt? Nein, sagen Kritiker, und dass finde ich auch.

5. 

Bislang galt: Die Polizei im Inneren zur Gefahrenabwehr, die Armee nach Außen zur Landesverteidigung. Den vom Grundgesetz beschriebenen Verteidigungsauftrag der Bundeswehr hat die Politik längst überdehnt. Sie ist seit 15 Jahren Kriegsarmee. Das Bundesverfassungsgericht hat dies gedeckt. Nun öffnet es schwammig und unbestimmt den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Den gab es längst, siehe G8 in Heiligendamm. Das aktuelle „kann sein“ ist auf jeden Fall kein „Nein“!

6. 

Heribert Prantl kommentierte in der „Süddeutschen“ vom 17. 08. 2012: „Die Richter haben mit ihrem Beschluss, Bundeswehreinsätze im Inneren zu erlauben, das Grundgesetz nicht interpretiert. Sie haben es verändert.“ Genau dieses Recht aber hat das Bundesverfassungsgericht nicht. Der Bundesregierung gefällt das Urteil. Sie lobte es prompt. Obwohl oder weil nun noch mehr Gefahr im Verzug ist: für Bürgerrechte und Demokratie. Und es war nicht der erste Kniefall der Karlsruher Wächter.

7. 

2010 ging es um die Vorratsspeicherung aller Telekommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger, rein prophylaktisch. Ein Generaleinbruch in die Privatsphäre und ein Generalangriff auf die Grundlagen der Demokratie. 1983 hatte das Bundesverfassungsgericht damals sensationell geurteilt: Ohne Datenschutz keine Demokratie. 2010 klang das anders: Vorratsdatenspeicherung? Warum nicht? Nur eben nicht so, wie es aktuell beschlossen und praktiziert wurde. Also doch!

8. 

So lange ich in der Bundespolitik unterwegs bin, habe ich eines immer wieder erlebt: Gut, dass das Bundesverfassungsgericht gelegentlich die jeweils herrschende Politik ausbremst. Schlecht, wenn sich Bürgerinnen und Bürger auf das Bundesverfassungsgericht verlassen. Auch nicht bei der so genannten Sicherheitsarchitektur. Die Versuche nehmen aktuell zu, die gewollt strikte Trennung zwischen den Polizeien, der Bundeswehr und den Geheimdiensten (weiter) aufzuweichen.
 

 

 

18.8.2012
www.petra-pau.de

 

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