IM WORTLAUT

DIE FRAKTION IN DEN MEDIEN

Aussage steht gegen Aussage

9. Juli 2012

Petra Pau, für DIE LINKE Obfrau im Untersuchungsausschuss des Bundestages, der die Hintergründe der dem so genannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) angelasteten Mordserie aufklären soll, mit einer ersten Zwischenbilanz nach 24 Sitzungen und mit einem Ausblick, wie es im September weiter geht

Der Untersuchungsausschuss zur NSU-Nazi-Mordserie pausiert jetzt...

Petra Pau
...nach bislang 24 Sitzungen.

Was ist Ihr Zwischenresümee?

Bitte einen Schritt zurück. Denn ich erlebe immer häufiger, dass der Ausgangspunkt aus der Erinnerung vieler schwindet.

Es ging um zehnfachen Mord.

Um regelrechte Hinrichtungen aus germanisch-rassistischem Antrieb. Ein Nazi-Trio zog über ein Jahrzehnt durch die Bundesrepublik Deutschland, mordend und raubend, unerkannt und unbehelligt.

Das war das erschütternde Eingeständnis der Sicherheitsbehörden, nachdem die NSU-Bande am 4. November 2011 aufflog.

Ja, aber genau das birgt nach wie vor ungeklärte Fragen. Zum Beispiel: War das NSU-Nazi-Trio seit seinem Abtauchen 1998 wirklich unerkannt? Und seine Helfer auch? Und falls nicht, wieso blieb es dann unbehelligt?

Falls nicht? Im NSU-Umfeld habe es keinerlei V-Leute des Verfassungsschutzes gegeben, meinte die SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss am 4. Juli 2012.

Ich bleibe da viel skeptischer. Der Bundesverfassungsschutz hat einschlägige Akten spektakulär vernichtet und sie hernach rekonstruiert.

Heißt es.

Es lässt sich nur nicht überprüfen, was vernichtet und was rekonstruiert wurde. Nach einem halben Jahr Untersuchungsausschuss habe ich weniger Anlass denn je, dem Verfassungsschutz mit Treu und Glauben zu begegnen.

Weil DIE LINKE schon immer etwas gegen den Verfassungsschutz hat?

Ein Ergebnis der bisherigen Untersuchungen ist: Fast immer, wenn der Verfassungsschutz dabei oder gefragt war, egal ob im Bund oder in den Ländern, gingen die Ermittlungen – vorsichtig formuliert – schief.

Also überflüssig, weil ahnungslos?

Schlimmer: Die Verfassungsschutzämter wussten zu jeder Zeit mehr, als sie zu- und preisgaben. Sie behielten Erkenntnisse für sich. Niemand sollte ihnen in die Karten schauen. Sie agieren als Geheim-Staat im Staate.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, hat ob des NSU-Desasters seinen Rücktritt erklärt.

Ich ahne seinen Frust, kenne aber seine wahren Motive nicht. Aber er ist bislang der einzige Spitzenbeamte, der das mörderische Desaster – auch seiner Behörde – einräumt und persönliche Konsequenzen zieht.

Die eigentlichen Ermittlungen wurden durch das Bundeskriminalamt, durch Landeskriminalämter und durch Sonderkommissionen geführt – erfolglos.

Wieder zur Erinnerung: Acht der regelrecht hingerichteten Opfer hatten türkische Wurzeln, einer griechische. Von einer begrenzten Ausnahme abgesehen, gingen die Ermittler nie von einem rassistischen Motiv aus. Sie verdächtigten Türken und Roma. Sie suchten die Täter aber nie ernsthaft im rechtsextremen Spektrum.

Aber bevor der erste NSU-Mord geschah, wurden in Deutschland seit 1990 doch bereits über hundert Menschen aus menschenfeindlichen Gründen ermordet.

21 davon wurden erstochen, zwölf Opfer erlagen Brandschatzungen, elf wurden erschossen. Die anderen Opfer wurden erschlagen, ertränkt oder überfahren. Das haben Journalisten und Initiativen recherchiert.

Was die Bundesregierung offiziell nicht anerkennt.

Sie stapelt noch immer tief. Auch das hatte offenbar Auswirkungen auf den NSU-Fall. So wurden vor rund zehn Jahren in etlichen Sicherheitsbehörden Spezialabteilungen gegen Rechtsextremismus aufgelöst.

Entwarnung von Amts wegen?

Vorrang bekam nach den Attentaten in den USA am 11. September 2001 der so genannte islamistische Terror. Hinzu kam – spätestens mit der CDU-Kanzlerschaft 2005 - der eifernde Kampf gegen Linksextremisten. So verschwand der Rechtsextremismus zunehmend von staatlichen Bildschirmen.

Der Staat ist auf dem rechten Auge blind!

Er war auf dem rechten Auge nie besonders hell. Im Fall der NSU-Mordserie führte das allerdings zum Total-Ausfall aller Sicherheitsbehörden...

...und der zuständigen Politiker, zum Beispiel der jeweiligen Innenminister.

Bisher war nur Günther Beckstein aus Bayern als Zeuge geladen. Andere kommen nach der Sommerpause. Dann wird auch zu klären sein, welche Rolle die Nazi-Mordserie bei den regelmäßigen Lagebesprechungen im Kanzleramt spielte.

BKA-Chef Jürgen Ziercke sagte aus, man habe dort ständig berichtet, auch über rechtsextreme Spuren.

Da steht Aussage gegen Aussage. Nach den Erinnerungen von Verfassungsschutzchef Heinz Fromm haben rechtsextreme Annahmen in der gemeinsamen Lagebesprechung nie eine Rolle gespielt.

Demnach hat einer gelogen?

So sieht es aus.

Zunehmend wollen alle Parteien nun die so genannte Sicherheitsarchitektur umbauen. Ist doch naheliegend, oder?

Auf den ersten Blick: Ja!

Und auf den zweiten Blick?

Alle Sicherheitsbehörden, Kriminalämter ebenso wie die Geheimdienste, haben versagt. Egal, wie man die Kompetenzen oder Zuständigkeiten auch anders gemischt hätte, das Desaster wäre wohl dasselbe geblieben.

Pessimistischer geht es kaum?

ch ziehe ein Zwischenresümee, mehr nicht. Und ich warne vor Schnellschlüssen. Richtig ist, es werden längst erste Versuchsballons gestartet: Mehr Kompetenz für die Bundesbehörden, weniger Trennung von Polizei und Geheimdiensten, mehr Eingriffe in Bürgerrechte.

Aber so, wie erlebt, kann es doch auch aus Sicht der LINKEN nicht weitergehen?

Auch DIE LINKE wird sich zur Sicherheitsarchitektur äußern, ja müssen. Aber uns bewegen drei andere Prämissen.

Die da wären?

Erstens: Vor der Strukturdebatte steht die inhaltliche Frage. Warum wurde die rechtsextreme Gefahr so lange, so durchgehend und so tödlich unterschätzt?
Zweitens: Wie können Sicherheitsbehörden effektiver wirken, ohne verbriefte Grundrechte von Bürgerinnen und Bürger noch weiter einzuschränken?
Drittens: Was läuft präventiv im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus schief? Auch dazu schweigt die Bundesregierung beharrlich.

Sie sprachen eingangs davon, dass die Erinnerung an die NSU-Nazi-Mordserie bei vielen verblasst.

Das sage ich vorwurfsfrei. Unser Team ist Tag und Nacht damit beschäftigt. Andere haben andere Sorgen.

Nun Ihr Tipp!

Für viele ist Urlaubs- und damit Lesezeit. Deshalb empfehle ich zwei Bücher.

Nur zu.

Erstens: "Made in Thüringen – Nazi-Terror und Verfassungsschutz-Skandal", VSA-Verlag Hamburg, 12,80 Euro. Und zweitens: "Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland", Rohwolt-Verlag, 14,95 Euro.

Danke und erholsamen Urlaub!

Interview: Rainer Brandt

linksfraktion.de, 9. Juli 2012

 

 

9.7.2012
www.petra-pau.de

 

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