Der berüchtigte § 175
Rede von Petra Pau am Denkmal für verfolgte Homosexuelle
Berlin, 25. Juni 2011
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Berlin preist sich gern als weltoffene und tolerante Metropole. Da ist auch was dran. Wenn dem aber so ist, dann spricht auch wenig gegen den Besuch des Papstes im September in Berlin.
Benedikt XVI. könnte zudem über sieben Brücken springen, wenn er hier, am Denkmal für verfolgte Homosexuelle, ein Zeichen setzen würde: für Respekt, für Toleranz, für universelle Menschenrechte.
Er hätte dabei sogar die frühere Geschichte seiner Heimat auf seiner Seite. Denn im Gegensatz zu Preußen war Homosexualität in Bayern zwischen 1813 und 1872 nicht prinzipiell strafbar.
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Dann kam die erste deutsche Einheit unter Bismarck. Die Ächtung von Homosexuellen, auch strafrechtlich, wurde zur Staatsräson erhoben. Der berüchtigte Paragraf 175 galt nun allerorten.
Einer, der frühzeitig und fundiert dagegen opponierte, war Magnus Hirschfeld. Sein Institut für Sexualwissenschaft war weltweit Spitze. Sein Motto hieß: Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit.
Aktuell gibt es einen Aufruf: Berlin muss wieder Heimat eines Magnus-Hirschfeld-Instituts werden!& Dafür werden Unterstützerinnen und Unterstützer gesucht. Ich habe bereits unterschrieben.
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Die Ausgrenzungs- und Verfolgungsgeschichte Homosexueller ist lang und schlimm. Zum Exzess in Deutschland wurde sie nach der Machtübernahme der Nazis 1933.
Noch schärfer als vordem wurden sie als Volksverweser denunziert. Sie landeten in Gefängnissen und in Konzentrationslagern. Tausende wurden für ihre Liebe ermordet.
Daran erinnert dieses Denkmal. Deshalb sind wir heute hier. Wohl wissend, dass die Ausgrenzungs- und Verfolgungsgeschichte nach der Befreiung vom Faschismus nicht beendet war.
Sie ging weiter, in der DDR ebenso wie in der BRD-alt. Allerdings mit einem Unterschied: Zumindest rechtlich wurde sie in der alten BRD länger und wütiger betrieben, als in der DDR.
Das führte letztlich zu einer wundersamen Ausnahme. Nach der zweiten deutschen Einheit, 1990, wurde das vergleichsweise progressivere DDR-Recht für Gesamtdeutschland übernommen.
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Dieser - zugegeben - verkürzte Ausflug in die Rechtsgeschichte besagt wenig bis nichts über die gesellschaftliche Akzeptanz für anders Denkende, anders Lebende, anders Liebende.
Kein Artikel des Grundgesetzes steht de facto so auf schwankenden Füßen, wie Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wohl bemerkt: Aller Menschen, nicht nur Auserwählter.
Und ich befürchte nicht Gutes. Es war schon immer so. Je mehr die Verhältnisse kriseln, desto enger wird es in Volkes Stimmung für die anderen: für Juden, für Roma, für Homos.
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Das alles hatten wir schon mal. Wir alle waren damals nicht dabei. Aber wir können uns erinnern (lassen). Juden, Roma, Homos waren immer Ablenkungsfeinde für die wahren Probleme.
Man kann die Aufzählung aktuell verlängern. Faule Griechen sonnen sich auf Kosten fleißiger Deutscher. Die Portugiesen auch, ebenso die Spanier, die Isländer ohnehin und überhaupt.
Deshalb meine ich: Es ist gut, dass es rechtliche Fortschritte für anders Liebende gibt, auch, wenn sie noch immer nicht ausreichen. Aber die reale Politik und das wahre Leben sind häufig noch etwas anderes.
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Und so beobachte ich mit Sorge, wie zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für Respekt und Toleranz engagieren, gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, unter Generalverdacht gestellt werden.
Sie sollen absurde Eide aufs Grundgesetz leisten und ebenso engagierte gesellschaftliche Partner bespitzeln. Das ist derzeit Regierungspolitik und ich finde, nicht hinnehmbar.
Und wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten Teufelszeug ist, so wurde er von der sächsischen Polizei am 19. Februar geliefert.
Zehntausend demonstrierten in Dresden gegen einen europaweiten Naziaufmarsch. Die Polizei legte 138.000 Datensätze gegen sie an. Nicht gegen die Nazis, sondern gegen engagierte Bürgerinnen und Bürger.
Das alles erinnert an Zeiten, die wir längst überwunden hielten. Und deswegen dürfen wir solche Verstöße gegen das Versammlungsrecht und gegen die Pressefreiheit nicht unwidersprochen hinnehmen.
Ein abschließender Gedanke. Wir sind hier in ehrendem und mahnenden Gedenken. Da schließt sich jedweder Wahlkampf in eigener Sache aus. Aber in einem sind wir uns sicher einig.
Parteien, die mit Ausgrenzung und Hass für sich werben, sollten keine Chance haben. Aktuell sind in Berlin zwei weitere unterwegs. Helfen wir gemeinsam, dass sie einsam bleiben.
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