Richtig: Handeln ist angesagt!

Bundestag, 12. Mai 2011, Top 16: Antrag von CDU/CSU und FDP „Situation der Sinti und Roma in Europa verbessern“
Rede von Petra Pau

(zu Protokoll gegeben)

1. 

Bereits zum dritten Mal befasst sich das Plenum des Deutschen Bundestages in diesem Jahr, also 2011, mit der Situation der Sinti und Roma in der Geschichte und aktuell, in Europa und hierzulande. Das ist bemerkenswert, aber auch nötig.
 
Sinti und Roma sind die in Europa am meisten und vielfach systematisch diskriminierten Bevölkerungsgruppen. In Frankreich wurden sie des Landes verwiesen. In Rumänien müssen sie in Ghettos leben. In der Slowakei wurde ihnen gleichberechtigte Bildung verwehrt. In Ungarn trommeln rechte Schlägertrupps zur Hatz gegen sie, ohne dass der Staat die so bedrohten Sinti und Roma hinreichend schützt.
 
Aber auch die Bundesrepublik Deutschland ist nicht frei von Schuld. Zwei Drittel aller hier lebenden Sinti und Roma fühlen sich benachteiligt und ausgegrenzt, schätzt der Zentralrat der Sinti und Roma ein. Und der Deutsche Presserat gibt kund: In jeder seiner Sitzungen müsse er sich mit Beschwerden zum medialen Umgang mit Sinti und Roma befassen. Ich belasse es bei dieser knappen Schilderung. Aber schon sie zeigt: Es gibt akuten Handlungsbedarf.

2. 

Die EU-Kommission hat Anfang April 2011 einen „Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020“ beschlossen. Nach einer umfangreichen Analyse mit Handlungsempfehlungen mündet er in das „Fazit: Jetzt ist Handeln angezeigt“. Und zwar im Dreiklang „EU, national und regional“. Diesem Anliegen, so unterstelle ich positiv, folgen die CDU/CSU und die FDP mit ihrem Antrag „Situation der Sinti und Roma in Europa verbessern“. Zumal einige Passagen textgleich mit der EU-Vorlage sind. Aber das ist noch kein Güte-Siegel.
 
In der Kürze der Zeit kann ich nur auf wenige Mängel hinweisen. Sie beginnen bei den 12 Schlussfolgerungen. Bestenfalls vier davon haben etwas mit der Lage der Sinti und Roma hierzulande zu tun. Zwei Drittel klingen wie ein außenpolitisches Kommuniqué. Ich finde, DIE LINKE findet: So darf man sich vor den eigenen Problemen nicht wegducken.
 
Ich empfehle den Antragsstellern zudem: Geben sie ihre zwölf Empfehlungen mal Bürgerinnen und Bürger zu lesen, die nicht im Politikdeutsch verfangen sind. Ich garantiere, die werden nur „Bahnhof“ verstehen, so allgemein und unverbindlich sind sie formuliert. Niemand wird dort ein entschlossenes „jetzt ist Handeln angezeigt“ herauslesen.

3. 

Und sie weichen akuten Problemen weiterhin stur aus. Drei will ich exemplarisch benennen:
 
Erstens: CDU/CSU und FDP bleiben bei der umstrittenen Abschiebepraxis von Sinti und Roma ins kriegs- und krisengeschüttelte Kosovo, also ins asoziale Unbestimmte. Laut UNICEF erzeugt die Bundesrepublik Deutschland damit (Zitat) „eine Generation entwurzelter Flüchtlingskinder“. Kinder übrigens, die zum größten Teil hier geboren wurden und hier zuhause sind. Das ist inhuman und unverantwortlich.
 
Zweitens: Ich finde es unbillig, wenn CDU/CSU und FDP in anderen EU-Ländern gleichberechtigte Bildung für Sinti und Roma fordern, daheim aber nichts dafür tun. Auch hierzulande haben Sinti- und Roma-Kinder keine gleichberechtigten Bildungs-Chancen. Die Bundesregierung beklagt es und erklärt sich zugleich für nicht zuständig. Das ist schizophren, aber logisch, weil das Bildungssystem falsch ist. Auch darüber ist zu reden.
 
Drittens und abschließend: Natürlich fehlt nicht der Verweis auf die Geschichte der Sinti und Roma, auf den Versuch des NS-Regimes, sie auszurotten, und auf die dadurch wahrzunehmende besondere Verantwortung Deutschlands. Ein Denkmal südlich des Reichstagsgebäudes soll demnächst daran erinnern.
 
Viele Sinti und Roma haben eine viel irdischere Sorge. Die Gräber ihrer Holocaust-Überlebenden sollen eingeebnet werden, weil deren Frist nach deutscher Friedhofsordnung abgelaufen sei. Holocaust und deutsche Friedhofsordnung? Ich finde das instinktlos und Geschichtsvergessen. Aber auch dazu findet sich im Koalitionsantrag kein Lösungsvorschlag.
 
DIE LINKE plädiert für eine ehrliche und offene Beratung des vorliegenden Antrags in den Ausschüssen. Wir sind dazu bereit. Dazu gehört aber auch, dass man die Unbill der Sinti und Roma nicht länger als fremdes Leid ansieht, sondern als gesellschaftliches Problem. Es geht auch nicht um Minderheitenrechte, sondern um verbriefte Bürgerrechte. Ergo: Jetzt ist Handeln wirklich angesagt!
 

[download] Stenographischer Bericht, pdf-Datei

 

 

12.5.2011
www.petra-pau.de

 

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