Erste Anmerkung:
Es gibt nicht die eine Schraube, an der man nur drehen muss und die Demokratie wird demokratisch. Dieser aktuelle Einwurf ist von Prof. Wolf-Dieter Narr. Er war vor 4 Wochen Diskussionspartner der Querschnitts-Arbeitsgruppe Demokratisierung der Demokratie der Fraktion DIE LINKE.
Es gibt diese Arbeitsgruppe, weil wir genau diese Auffassung teilen.
Wenn Parlamente alle Entscheidungen für sich beanspruchen und sich zugleich immer mehr selbst entmachten, dann bekommt die Demokratie Schwindsucht.
Wenn Bürgerinnen und Bürger sich alle paar Jahre für Parteien ihrer Wahl entscheiden dürfen, sonst aber ungefragt bleiben, dann tritt derselbe Effekt ein.
Wenn Kommunen verarmt werden oder wenn Befugnisse in undurchsichtigen Sphären entschwinden, die EU gehört dazu, dann entleert sich die Demokratie.
Wenn gesellschaftliche Kompetenzen erniedrigt werden, weil Bildung zugeteilt oder zur Ware wird, dann werden demokratische Rechte unterspült.
Wenn entscheidende Bereiche, allen voran in der Wirtschaft, jeder Mitbestimmung entzogen werden, dann wird die Demokratie kastriert.
Wenn zwischen (deutschen) Bürgerrechten und (universellen) Menschenrechten unterschieden wird, dann wird Demokratie ein Gewährtes Privileg.
Diese Wenn-dann-Aufzählung ist unvollständig. Aber sie soll illustrieren, warum das Eingangs-Zitat stimmt: Es gibt nicht die eine Schraube, an der man nur drehen muss und die Demokratie wird demokratischer. Alle Politikfelder, die wir als LINKE vertreten, sind demokratie-relevant. Die Kommunalpolitik ebenso wie die Wirtschaftspolitik. Die EU-Politik ebenso wie die Innenpolitik. Die Bildungspolitik ebenso wie die Rechtspolitik. Die Haushaltspolitik ebenso wie die Medienpolitik. Die Sozialpolitik ebenso wie die Gewerkschaftspolitik. Die Umweltpolitik ebenso wie die Friedenspolitik.
Wenn das alles richtig ist - ich bin davon überzeugt - und wenn DIE LINKE die Demokratie als weiteres Markenzeichen ausprägen will - ich bin seit langem dafür - dann darf sie das nicht verengt tun. Wir brauchen diesen komplexen Ansatz, den ich skizziert habe. Das ist auch der tiefere Sinn der Querschnitts-Arbeitsgruppe. Sie soll zusammenführen, was zusammen gehört. Das kann aber nur gelingen, wenn sich alle Arbeitskreise der Bundestagsfraktion einmischen, wenn Kommunal-, Landes-, Bundes-, und EU-Politiker der LINKEN zusammenfinden und wenn wir dabei so gesellschafts-offen bleiben, wie bisher.
Botschaft 1:
Will DIE LINKE die Demokratie-Frage als drittes Markenzeichen ausprägen, dann brauchen wir diesen komplexen Ansatz und diese vernetzte Arbeitsweise. So, wie Die Grünen es geschafft haben, alle Politik-Felder grün zu markieren, so muss die LINKE alle Politik-Felder nach ihren Demokratie-Defiziten und nach ihren Demokratie-Potentialen durch deklinieren.
Zweite Anmerkung:
Seit ich im Bundestag bin, also seit 1998, streite ich für mehr direkte Demokratie, auch auf Bundesebene, also für Volksbegehren bis Volksentscheide. In Fragen direkter Demokratie ist die Bundesrepublik Deutschland noch immer ein EU-Entwicklungsland. Und das, obwohl sie in Artikel 20 (2) Grundgesetz angelegt ist: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen (...) ausgeübt. Wahlen gibt es, Abstimmungen nicht, jedenfalls nicht auf Bundesebene. Sie müssten durch den Bundestag mit Zweidrittel-Mehrheit frei geschaltet werden.
Dagegen steht verlässlich die Sperrminorität der CDU/CSU. SPD, FDP und Grüne sind programmatisch für mehr direkte Demokratie. Was nicht heißt, dass sie auch praktisch dafür agieren. Als es um die EU-Verfassung ging, haben sich Schröder (SPD) und Fischer (Grüne) vehement gegen eine Volksabstimmung ausgesprochen. Aber die ideologisch geprägten "Dagegen-Parteien" sind die CDU und die CSU. Ich habe mich in einem Web-Interview für die Fraktion DIE LINKE mit ihren Kontra-Argumenten auseinandergesetzt. Fünf von sechs sind arrogant. Hinter dem sechsten Einwand habe ich für mich ein Fragezeichen gesetzt. Das ist nachlesbar. Dabei geht es um den Schutz von Minderheiten.
Ich will hier trotzdem anmerken: Wer mehr Demokratie wagen will, wer mehr direkte Demokratie anstrebt, muss es auch prinzipiell tun, nicht parteitaktisch. Seit im Land Berlin Rot-Rot regiert ist Berlin im Ländervergleich von Mehr Demokratie e.V. von vordem Rang 15 auf Platz 1 im bundesweiten Vergleich vorgeschnellt. Das ist wesentlich der Berliner Linken zu verdanken. Das schließt aber nie aus, dass Volksentscheide auch andere Ergebnisse erbringen, als man selbst erhofft hat. Wir haben das in Hamburg zur Schulreform erlebt. Auch der Berliner Wasser-Entscheid ist nicht ohne Probleme.
Botschaft 2:
Wer glaubt, mehr Demokratie ist ein Leichtes für DIE LINKE, irrt.
Mehr direkte Demokratie ist für alle Parteien eine zusätzliche Herausforderung.
Die beginnt damit, dass der Ideen-Wettbewerb viel Irdischer wird. Und das schließt ein, dass auch andere Mehrheitsmeinungen zu respektieren sind.
(Der folgende Absatz konnte aus Zeitgründen in der zeitlich begrenzten Magdeburger-Debatte nicht ausgeführt werden.)
Dritte Anmerkung:
Wir leben im 21. Jahrhundert. Malen wir uns alle mal aus, was passiert, wenn das Internet zerstört würde. Wobei ich Internet hier verkürzt als Synonym für mehr benutze. Wie auch immer: Die Welt würde aus allen Fugen geraten. Auch der Teil der Welt, der sich selbst als demokratisch definiert. Nichts ginge mehr! Zugleich birgt das Internet nie dagewesene Potentiale für mehr Demokratie.
Ich habe schon vor Jahresfrist den Programm-Entwurf der Linkspartei kritisiert. Und ich bleibe dabei: Es ist nicht auf der Höhe der Zeit, auch in der Demokratie-Frage nicht. Es gibt technologische Entwicklungen, die, wie auch Karl Marx prophezeit hatte, immer janusköpfig sind. Sie können unterdrückend wirken, sie können befreien helfen. Daher rührt übrigens auch die prinzipielle Bedeutung des Datenschutzes für die Demokratie. Ich kann das hier nur beispielhaft andeuten.
Botschaft 3:
Unsere Forderung mehr Demokratie wagen geht daher weit über die drei politischen Klassiker Wahlrecht, Mitbestimmung, Volksentscheide hinaus.
Stichwort: Internet und digitale Welt.
Stichwort: Solarrevolution und Demokratie
Stichwort: bedingungsloses Grundeinkommen und Selbstbestimmung.
Das eine ist unterbelichtet, das andere umstritten. Wir haben also gute Gründe, die Programm-Debatte weiterzuführen, unverkrampft und weiterblickend.
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