Aktuelle Notiz: Geißlers „Stuttgart 21“

von Petra Pau
Berlin, 4. Dezember 2010

1. 

Heiner Geißler wird allenthalben gelobt, zu Recht. Er hat in neun Schlichtungs-Runden „Stuttgart-21“-Gegner und „Stuttgart-21“-Befürworter domptiert, sie zu respektablen Debatten geführt und so Millionen interessierten „Phoenix“-Zuschauerinnen und -Zuschauern einen tieferen Blick in einen scheinbar unversöhnlichen Konflikt ermöglicht.

2. 

Er war sogar ein Retter in der Not. Er verhalf einer auf Gewalt gebügelten CDU-Regierung zu einem Dialog mit einer empörten Bürgerschaft. Er forderte Sach-Argumente statt Ideologie-Statements. Und so mussten sich selbst die Strategen der Bahn AG auf Augenhöhe mit Verkehrsexperten ihrer Kritiker auseinandersetzen. Das war neu!

3. 

Von einer „Revitalisierung der Demokratie“ schwärmten danach Kommentatoren. Von einem Beispiel, das Schule machen sollte - bei Großprojekten, in Parlamenten, überhaupt. Zumindest diese Hoffnung trog, vorerst. Im Bundestag sind zum Thema „Stuttgart 21“ längst wieder die alten Kesselflicker unterwegs. Wie vordem auch.

4. 

DIE LINKE beantragte am 03. 12. 2010, bis zu den Landtagswahlen in Baden-Württemberg einen Bau-Stopp zu verfügen, um zu verhindern, dass einseitig Fakten geschaffen werden. Das lag in der Logik von Bundeskanzlerin Merkel. Die hatte gemeint, Bürgerinnen und Bürger könnten ja mit ihrer Wahl zugleich über „Stuttgart 21“ abstimmen.

5. 

Trotzdem lehnten CDU/CSU und die FDP den Antrag der Linksfraktion ab. Und sie beriefen sich dabei auf Heiner Geißler. Mit der Schlichtung, so dessen Anmerkung, sei auch die Friedenspflicht vorbei. Was heißt: Die Gegner können weiter protestieren und die Befürworter dürfen weiter bauen. Und spätestens da zeigt sich: Heiner Geißler ist nicht Salomon.

6. 

Gewiss: Er war in einer Zwickmühle. Er genoss sie. Zwischen Bahnhof-oben und Bahnhof-unten gibt es kein Mittelding. Er musste (sich) für ein Projekt entscheiden. Und das tat er. Geißler stärkte der Bahn AG den Rücken. Zwar versah er sein Votum mit Auflagen. Aber die sind interpretierbar. Und so bleibt vorerst alles beim Alten.

7. 

Er konnte dies so tun, weil er einen zweiten Widerspruch abgeräumt hatte. Nämlich die weitergehende Frage, wer eigentlich das maßgebende Wort hat: die Regierenden oder die Regierten? Eine Volksabstimmung sei rechtlich nicht möglich, behauptete Heiner Geißler bereits im Vorfeld seines Urteils. Und so war er doch wieder ganz CDU-Veteran.

8. 

Dabei hätte er durchaus eine Bresche für direkte Demokratie schlagen können. Warum sprach er nicht: „Ich plädiere nach allen Abwägungen für ‚Stuttgart 21 plus'. Aber ich bin nicht das Volk. Deshalb empfehle ich eine Volksabstimmung. Der Landtag möge dies rechtlich regeln.“ Geißler sprang kürzer und verpasste damit eine große Chance.
 

 

 

4.12.2010
www.petra-pau.de

 

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