Religion - Fluch oder Segen für die Demokratie?

Statement in der Podiumsdiskussion „Wie viel Religion verträgt die Demokratie?“ auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag
Münschen, 13. Mai 2010

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0. 

Eine Vorab-Bemerkung: Meine Pro-Themen als Innenpolitikerin sind Bürgerrechte und Demokratie. Übrigens auch als Lehre aus meiner eigenen Geschichte. Und aus Sorge um die Zukunft. Dazu nur so viel:
 
Die Demokratie, die wir lobpreisen, ist spürbar unvollendet. Und die Demokratie, die wir kennen, ist extrem bedroht. Umso mehr freue ich mich, dass der Ökumenische Kirchentag der Demokratie ein extra Podium widmet.
 
Ich will ihnen dafür nur zwei Stichpunkte bieten. Als es um eine EU-Verfassung ging, gab es zahlreiche Volksabstimmungen. Nur hierzulande nicht. In Sachen direkter Demokratie ist Deutschland noch immer ein EU-Entwicklungsland.
 
Momentan erleben wir, wie Diener des Mammon die Politik dominieren. Demokratie bedeutet, dass Bürgerinnen und Bürger die Politik bestimmen. Nun erfahren wir fast ohnmächtig, wie diese Hoffnung kapital verhökert wird.

1. 

Die Frage, über die wir hier herzlich streiten sollen, lautet: Ist Religion oder sind Religionen für die Demokratie ein Fluch oder ein Segen. Meine Antwort ist ein glasklares „Jein“. Mit einem großen „J“ und einem langen „(n)ein“.
 
Damit bin ich übrigens durchaus im Widerspruch zum meinem Bundestags-Fraktionsvorsitzenden. Gregor Gysi hält Religionen für unverzichtbar für ein gedeihliches und damit auch demokratisches Zusammenleben.

2. 

Nun reden wir hier nicht allgemein über Religionen, sondern bestenfalls über die abrahamischen Religionen in seinen unterschiedlichen Ausprägungen, insbesondere in seiner katholischen und protestantischen.
 
Beide vermitteln zwei tragende Fundamente für eine funktionierende Demokratie. Einmal durch das Menschenbild, das ihnen zugrunde liegt. Und zweitens durch Moralvorstellungen, die ihnen innewohnen.

3. 

Nach der christlichen Lehre sind alle Menschen gleich und folglich mit derselben Würde ausgestattet. Oder anders ausgedrückt: Jede und jeder verfügt über die gleichen Rechte. Nur so kann wirkliche Demokratie gut gehen.
 
Denselben Anspruch finden wir ja auch in Artikel 1 Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Ich füge hinzu: Jedes Menschen, egal ob mit oder ohne deutschen Pass. Die politische Realität sieht allerdings anders aus.

4. 

Und es gibt Regeln des Zusammenlebens. Wir finden sie zum Beispiel in den zehn Geboten. Dabei ist es für diese Debatte zweitrangig, in welcher Reihenfolge sie geschrieben stehen. Sie sind geboten, zeitlos und ausnahmslos.
 
Gleichwohl halte ich es für einen Fehlschluss, daraus abzuleiten, nur gute Christinnen oder Christen könnten auch gute Demokratinnen oder Demokraten sein. Religionen haben für mich kein Monopol auf Moral und Ethik.
 
Ich könnte sogar belegen, wie es Kirchenleute mit den eigenen Geboten nicht allzu streng halten, wenn dies nützlich scheint. Ich habe es jüngst im Berliner Streit „Pro Reli“ kontra „Pro Ethik“ selbst erfahren. Aber das lasse ich jetzt.

5. 

Dem Doppel-Ja, das ich Verhältnis „Religion zu Demokratie“ sehe, stehen allerdings drei Neins gegenüber. Allemal, wenn ich nicht allgemein über Glauben und Religion, sondern konkret über Kirche(n) rede.

Ich behaupte erstens: Eine Organisation, die im Inneren selbst undemokratisch verfasst ist, kann nur sehr beschränkt Demokratie befördern.
Zweitens: Demokratie ist eine Bewegungsform der Vielfalt, sie verträgt keinen Alleinvertretungsanspruch und kein letztes Wahrheits-Wort.
Und drittens lehrt die Geschichte: Sobald Kirchen nach weltlicher Macht streben oder sich von ihr korrumpieren lässt, verlassen sie den Pfad der Tugend.

6. 

Womit ich keinesfalls für eine unpolitische Kirche werbe - um Himmels willen! Ich wünsche mir Kirchen, die sich ausgehend von ihren humanistischen Wurzeln viel mehr gesellschaftlich und vernehmbarer einmischen. Und an Gründen mangelt es wahrlich nicht. Drei aktuelle Beispiele:
 
Das erste: Bischöfin Käßmann hat sich gegen den Afghanistan-Krieg gewandt und gesagt, was eine Mehrheit der Bevölkerung denkt. Die „Berg-Predigt“ hatte sie auf ihrer Seite. Etliche Würdenträger hatte sie gegen sich. Sie warfen ihr Verrat an der Regierung und an unseren Soldaten vor. Ich finde das absurd.
 
Das zweite: Ein jüdisches Gesetz verbietet es, von Notleidenden Zinsen zu verlangen. Was macht die deutsche Regierung? Sie „hilft“ Griechenland mit Darlehen, für die sie doppelt so hohe Zinsen verlangt, wie die Bundesrepublik selbst dafür bei deutschen Banken zahlen muss. Ich nenne das Wucher!
 
Das dritte: 1997 gab es ein „Sozialwort Kirchen“ - „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“. Ich empfehle es weiterhin. Mit Bedauern. Denn hätten sich die Kirchen demokratisch so eingemischt, wie angekündigt, es hätte weder die „Agenda 2010“ noch „Hartz IV“ gegeben. Davon bin ich überzeugt.

7. 

Eine weitere, wiederkehrende Debatte sei aufgegriffen, die über eine vermeintliche „Deutsche Leitkultur“. Angestoßen wurde sie 1998 vom CDU-Politiker Jörg Schönbohm. Sein Aufsatz in der "Berliner Zeitung" war ein Rundschlag gegen Grüne und Linke, ein Plädoyer für Patriotismus und Volk.
 
Seither wurden Tausende Schriften verfasst, die oftmals davon ausgehen: Deutschsein heißt Christ sein, und wenn schon nicht bekennend, so doch fühlend. Jüdisch wird auch zugelassen. Beim Islam hört die Freundschaft häufig auf. Dabei gehört auch er zur abrahamischen Religions-Welt.
 
Für mich ist „Deutsche Leitkultur“ eine Worthülse mit Sprengsätzen. Ich halte es eher mit Heribert Prantl, einem Leuchtturm der „Süddeutschen Zeitung“. Er schrieb: „Leitkultur ist eine Kultur des Zusammenlebens. Sie heißt Demokratie. Sie heißt Rechtsstaat. Sie heißt Grundrechte.“ Mehr nicht und nicht weniger.
 
Nun erzähle ich an dieser Stelle gern die Geschichte, warum Papst Benedikt XVI. in Baden-Württemberg kein Deutscher werden durfte, obwohl er als Kardinal Ratzinger doch immerhin schon Bayer war und ist. Aber diese Episode lasse ich auf dem Kirchentag zugunsten einer aktuelleren weg.
 
Aygül Özkan wurde in der Türkei geboren. Am 27. April 2010 wurde sie eine deutsche Ministerin, als erste. Vordem stand sie auf dem Boden des deutschen Grundgesetzes. Sie war gegen religiöse Symbole in Schulen. Die CDU holte sie auf den Boden christlicher Leitkultur zurück - verfassungswidrig, aber klar.

8. 

Sie merken: Ich habe provoziert. Das wollte ich, weil es nicht böse gemeint ist. Mir ist es übrigens egal, woher jemand sein Engagement für Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit schöpft - aus der Bibel, aus dem Talmud, aus dem Koran, aus dem „Kapital“ von Bischof Marx oder aus dem „Kapital“ von Karl Marx. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, meinte Erich Kästner.
 
Deshalb will ich mit Hochachtung gegenüber allen schließen, die sich sozial engagieren und gegen Unrecht aufbegehren. Ohne die Solidarität, die in Kirchen gelebt wird, nähme unsere Demokratie noch mehr Schaden, als ohnehin. Meine Vision ist ein Land, in dem soziale und Freiheitsrechte gleichsam gelten - für alle, nicht nur für die Schönen und Reichen. Vielleicht treffen wir uns da.
 

 

 

13.5.2010
www.petra-pau.de

 

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