Aktuelle Notiz: Wer ignoriert den Bundestag?
von Petra Pau
Oberstaufen, 5. August 2009
Eine Handvoll Promis drehte einen Videoclip. Ob Jan Hofer oder Sara Kuttner, sie alle erklären darin, Wahlen brächten eh nichts, weshalb sie sich auch nicht an den Bundestagswahlen beteiligen würden. Sie hatten dabei alle Sprüche parat, die auch Volkes Stimme kennt. Sie klangen also glaubwürdig. Dumm gelaufen. Denn eigentlich dachten die Macher, das Video sei so überzogen, dass es das Gegenteil bewirke, quasi als Wahlbeteiligungswerbung.
Tatsächlich sinkt die Wahlbeteiligung, nicht immer, aber immer öfter. An der Wahl des EU-Parlaments im Juni 2009 nahmen in Deutschland gerade noch vier von zehn Wahlberechtigten teil. In anderen Ländern war das "historische Tief" noch tiefer. Kurzum: Die repräsentative Demokratie steckt in einer Krise. Dafür gibt es Gründe, objektive und subjektive. Sie sind ernst zu nehmen, viel ernster. Sie werden es aber nicht, leider.
Diese Krise war auch Thema der 10. Hannah-Arendt-Tage im Oktober 2007. Ich war gebeten worden, meine Sicht zu erläutern. Mein Beitrag von damals lässt sich nachlesen oder hören. Mein Fazit damals mündete in dem bekannten Slogan von Willy Brandt: Endlich mehr Demokratie wagen! Das wäre heute nötiger denn je. Doch die CDU/CSU und die unbotmäßigen Enkel von Willi Brandt, die Bundes-SPD, verweigern sie noch immer, wie jüngst im Bundestag.
Stattdessen erlassen Politiker immer, wenn die Wahlbeteiligung mäßig ist, moralische Appelle ans Volk. Je höher ihr Amt, desto moralischer ihr Bann. Nur eines vergessen sie regelmäßig - ihren möglicherweise eigenen Beitrag zum Parteien-, zum Wahl-, zum Politik-, zum Demokratie-Verdruss. Die Steigerung ist bewusst gewählt. In Hannover hatte ich behauptet: Der Bundestag schafft sich tendenziell selbst ab. Nun gab mir das Bundesverfassungsgericht recht.
Erst rügte es die Selbstkasteiung der politischen Gremien der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Europäischen Union. Dann erklärte sie die Unterwürfigkeit des Parlaments gegenüber der Regierung für verfassungswidrig. Schließlich stärkte es die Rechte der Opposition im Bundestag gegen die Arroganz der Parlamentsmehrheit. Drei juristische Paukenschläge, binnen weniger Monate, trefflich beschrieben durch Heribert Prantl.
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