Kinder-Transporte

Rede von Petra Pau zur Einweihung eines Denkmals anlässlich des 70. Jahrestages der Kindertransporte von Gdansk nach London
Gdansk, 6. Mai 2009

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1. 

Am 30. November vorigen Jahres, also vor fünf Monaten, wurde in Berlin-Mitte eine Skulptur von Frank Meisler eingeweiht, die an die „Kinder-Transporte“ anno 1938/39 erinnert.
 
Das Wort „Kindertransporte“ ist bewusst zwiespältig gemeint. Rund 10.000 Kinder aus Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechoslowakei konnten so nach Großbritannien emigrieren.
 
Hunderttausende jüdische Kinder indes wurden in die Vernichtungslager des NS-Regimes transportiert. Sie wurden Opfer eines einmaligen Massenmordes, geplant und ausgeführt mit deutscher Gründlichkeit.

2. 

Am Tag nach der Einweihung des Berliner Denkmals, also am 1. Dezember, durfte ich als Vizepräsidentin zahlreiche „Kinder“ von damals im Bundestag empfangen.
 
Sie waren aus aller Welt gekommen. Und sie nannten sich noch immer „Kinder“. Für manche war es das erste Mal, dass sie wieder nach Deutschland kamen. So etwas bewegt: die „Kinder“ und mich.
 
Nun bin ich in Gdansk. Ich danke herzlich für die Einladung. Auch hier wird ab heute ein Denkmal an die historischen Kindertransporte erinnern. Und Erinnern ist wichtiger denn je.

3. 

Bei alledem geht es immer um Geschichte, auch um Schuld. Aber noch mehr geht es um Zukunft und um Verantwortung. Ein Verbrechen, wie der Holocaust, darf sich nie wiederholen.
 
Das ist keine fromme Fürbitte, sondern eine ständige Herausforderung an meine und an künftige Generationen. Zumal: Menschenverachtung, Rassismus und Antisemitismus sind höchst aktuell.
 
Anders-Glauben, Anders-Sein, Anders-Leben, Anders-Lieben stößt noch immer auf Widerstand - am rechten Rand und inmitten der Gesellschaft. Dagegen muss erinnert werden, wohin das führen kann.

4. 

„Und so wünsche ich der Gedenk-Skulptur an die Kindertransporte eine ebenso große Aufmerksamkeit und ebenso viele Fragen an die Geschichte, wie es das Holocaust-Mahnmal offenbar vermag.“
 
Das hatte ich mit Blick auf Berlin gesagt, als die „Kinder“ am 1. Dezember 2008 im Bundestag waren. Heute kann ich sagen: Das Denk-Mal an der Friedrichsstraße erheischt viel Aufmerksamkeit.
 
Und noch etwas halte ich für bemerkenswert. Berliner Polizei-Schülerinnen und -Schüler haben Patenschaften über die Skulptur und für die Geschichten der jüdischen „Kinder“ von 1938/39 übernommen.

5. 

Das einmalige Traumata des Holocaust hat in Polen besonders große Wunden hinterlassen. Es betrifft nicht nur die ermordeten, sondern auch die geretteten Jüdinnen und Juden. Das darf niemand relativieren.
 
Mein Schluss-Gedanke: An die "Kindertransporte" erinnern ab heute vier Denk-Orte: in London, Wien, Berlin und Gdansk. Vielleicht lässt sich daraus mehr machen - aus gemeinsamer Verantwortung für die Zukunft.
 

 

 

23.4.2009
www.petra-pau.de

 

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