Die Shoa hinterlässt eine besondere Verantwortung Deutschlands

The London Conference on Combating Antisemitism, London, 17. Februar 2009,
Rede von Petra Pau

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Sehr geehrte Damen und Herren,

1. 

Ich bin gebeten worden, etwas zu den parlamentarischen Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland gegen Antisemitismus zu sagen, konkret zum Deutschen Bundestag. Als Vize-Präsidentin des Bundestages, aber auch als aktiv beteiligte Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE, tue ich das gern. Deshalb danke ich auch für die Einladung zu dieser Konferenz.

2. 

Vor rund eineinhalb Jahren hatte ich eine parlamentarische Anfrage gestellt. Ich wollte wissen, wie viele jüdische Friedhöfe in den zurückliegenden Jahren in Deutschland geschändet wurden. Die Antwort der Bundesregierung rüttelte die Medien auf. Denn im statistischen Schnitt war Woche für Woche ein jüdischer Friedhof davon betroffen.

3. 

Nun ist das mit den Medien so eine Sache. Sie erregen sich heute über dieses und morgen über jenes. Die Schlagzeilen sind groß, der Tiefgang ist flach und die Ausdauer ist flüchtig - von Ausnahmen abgesehen. Das war auch in diesem Fall so. Bleibt die Frage: Wie hat ob des schlimmen Befundes und ob der allgemeinen Erregung der Bundestag reagiert?

4. 

Es fand sich eine informelle Arbeitsgruppe mit Abgeordneten aus allen Fraktionen zusammen - also der CDU/CSU, der SPD, der FDP, den Grünen und der Linken. Der Initiator die überfraktionellen Arbeitsgruppe ist übrigens Teilnehmer dieser Konferenz: Prof. Dr. Gerd Weißkirchen, zugleich Antisemitismus-Beauftragter der OSZE.

5. 

Ich füge ein: Empirische Untersuchungen belegen, dass 15 bis 25 Prozent der deutschen Bevölkerung latent antisemitisch eingestellt sind. Das ist nicht neu. Das ist auch in anderen EU-Staaten so. Aber der Holocaust oder die Shoa waren Made in NS-Germany. Dieses historisch einmalige Verbrechen begründet daher eine besondere Verantwortung Deutschlands.

6. 

Darüber gab es Einigkeit innerhalb der überfraktionellen Arbeitsgruppe. Wir arbeiteten zudem eng mit Nicht-Regierungs-Organisationen zusammen, die sich gegen Antisemitismus engagieren. Außerdem ließen wir uns von parlamentarischen Initiativen aus anderen Staaten inspirieren, zum Beispiel auch von John Man aus dem britischen Parlament.

7. 

Schließlich einigten wir uns auf ein Ziel. Wir wollten, dass der gesamte Bundestag zum 9. November 2008 möglichst einhellig einen Beschluss fasst. Ein symbolisches Datum. 70 Jahre zuvor hatte das NS-Regime in Deutschland die offene Hatz gegen alle Jüdinnen und Juden eröffnet. In Geschichtsbüchern findet man dazu den Begriff „Reichs-Pogromnacht“.

8. 

Unsere parlamentarische Vorarbeit mündete in einem Beschluss des Bundestages. Er ist ein Appell gegen jedweden Antisemitismus. Er spricht sich für die Förderung eines vielfältigen jüdischen Lebens in Deutschland aus. Und er bekräftigt das Existenzrecht Israels. Zudem beinhaltet der Bundestags-Beschluss sieben konkrete Aufträge an die Bundesregierung.

9. 

So wurde die Bundesregierung verpflichtet, eine Experten-Kommission zu berufen. Die wiederum soll untersuchen und dem Bundestag regelmäßig berichten, welche nachweislichen Tendenzen zum Antisemitismus sie wahrnimmt. Und welche politischen Handlungs-Optionen sie dagegen empfiehlt. Das ist neu.

10. 

Der Bundestag übernahm mit diesem Beschluss zugleich die Arbeits-Definition der OSZE, was unter Antisemitismus zu verstehen ist. Das war kein formaler Akt. Das ist vielmehr die Voraussetzung dafür, antisemitische Vorfälle auch als solche zu begreifen, kenntlich zu machen und gesellschaftlich zu ächten.

11. 

Es wurde beschlossen, den Aufbau und die Pflege weiterer jüdischer akademischer, kultureller und gesellschaftlicher Institutionen mit Haushaltsmitteln des Bundes zu fördern. Das ist nötiger denn je, zumal sich sehr schnell zeigte, dass die aktuelle Weltfinanzkrise auch den Spendenfluss für jüdische Einrichtungen in Deutschland austrocknet.

12. 

Der Bundestag regte weiter an, die Lehrpläne an Schulen zu erweitern, um jüdischem Leben und jüdischer Geschichte mehr Raum zu geben. Dasselbe gilt für die Grundlagen von Demokratie und Toleranz. Das Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin hat dazu bereits gute Vorarbeiten geleistet.

13. 

Schließlich wurde die Bundesregierung beauftragt, der antisemitischen Hetze einen Riegel vorzuschieben, die durch ausländische Fernseh-Stationen via Satellit in Deutschland verbreitet wird. Das ist kein einfaches Thema, allemal in Zeiten des Internets. Aber es gehört zum Spektrum der Handlungsoptionen, die der Bundestag beschlossen hat.

14. 

Die antisemitischen TV-Sendungen kommen übrigens aus Ländern, die vorwiegend islamisch geprägt sind. Ich will aber auch nicht verhehlen: Ich errege mich genauso über den Papst, der als katholisches Oberhaupt mehrfach - bewusst oder fahrlässig - antisemitische Zeichen gesetzt hat. Und das umso mehr, da Benedikt XVI. aus Deutschland kommt.

15. 

Gleich wohl beobachte ich einen Unterschied, zumindest in Deutschland. Ich erlebe nämlich, dass sich zahlreiche katholische Unterhirten besorgt und öffentlich über ihren katholischen Oberhirten äußern. Eine ähnliche Protestkultur gegen antisemitische Rückfälle wünschte ich mir auch in der Welt des Islam. Sie sind dort noch Mangelware.

16. 

Zurück zum Beschluss des Bundestages: Meine Vorstellungen waren und sind weitergehender und konkreter. Ich will Ihnen das an einem Beispiel illustrieren. Die Expertenkommission, von der ich sprach, soll „regelmäßig“ berichten. „Regelmäßig“ kann auch alle zehn Jahre bedeuten. Der Bundestags-Beschluss ist also interpretierbar.

17. 

Hinzu kommt: 2009 wird ein neuer Bundestag gewählt. Manch gut gemeinter Beschluss droht daher vorerst im Strudel des Wahlkampfes zu ertrinken. Dass ist umso bedauerlicher, weil der eskalierende Nah-Ost-Konflikt einen Nährboden für alten und neuen Antisemitismus bietet. Das war in den vergangenen Wochen auch in Deutschland unübersehbar.

18. 

Deshalb will ich nochmals klarstellen. Ich gehöre durchaus zu den Kritikern der Militär-Politik Israels. Aber Antisemitismus ist keine politische Kritik. Antisemitismus ist eine menschenverachtende Ideologie. Und niemand darf sich mit jenen gemein machen, die als politische Kritiker getarnt ihr antisemitisches Süppchen kochen.

19. 

Der beschriebene Bundestags-Beschluss ist ein Kompromiss. Und er ist trotzdem ein Fortschritt. Vordem war Antisemitismus im Bundestag vorwiegend ein moralisches und symbolisches Thema. Aber er war kaum ein politisches Thema mit wirklichen Konsequenzen. Das könnte sich jetzt ändern und deshalb begrüße ich den Kompromiss im Bundestag.

20. 

Interessanter finde ich etwas anderes. Am Beginn fanden sich Fachpolitiker aus allen Fraktionen. Sie waren sich insofern einig: Wir wollen gemeinsam etwas gegen den Antisemitismus unternehmen. Die Beratungen brachten Fortschritte. Die angestrebte Erklärung des gesamten Bundestages schien zum Greifen nah.

21. 

Plötzlich tauschten einige Fraktionen ihre Verhandlungspartner aus. Den neuen lag weniger das Gemeinsame am Herzen. Sie hatten vielmehr im Sinn, die eigene Partei gegen die anderen zu profilieren. Wahrscheinlich war auch das ein Vorgriff auf kommende Wahlkämpfe. In der Bundesrepublik Deutschland finden 2009 insgesamt 19 Wahlen statt.

22. 

Jedenfalls führte das alles zu Irritationen und warf einen Schatten über das gut gemeinte Anliegen. Die Einigkeit in der Sache, also im Kampf gegen Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens, drohte zu platzen. Entsprechend kritisch wurde das parlamentarische Trauerspiel in der jüdischen Gemeinschaft aufgenommen. Ich habe das bedauert.

23. 

Mehr noch: Ich halte das für gefährlich. Rassismus und Antisemitismus richten sich immer gegen die Menschenwürde. Im Kampf um Menschenrechte aber hilft Parteien-Konkurrenz wenig. Miteinander, nicht gegen einander, sollte daher für alle demokratischen Parteien gelten. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar, aller Menschen, ausnahmslos.

24. 

Meine politischen Pro-Themen sind Bürgerrechte und Demokratie. Meine Anti-Themen sind Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Dabei habe ich einen Grundsatz. Ich will weder der bessere Antifaschist, noch die bessere Freundin von Jüdinnen und Juden sein. Ich strebe breiteste gesellschaftliche Bündnisse an.

25. 

Es gibt in Deutschland etliche solcher Bündnisse, übrigens auch zwischen israelischen und palästinensischen Friedensaktivistinnen. Ich finde: Es gehört zu den höchsten Ansprüchen an ein Parlament, solche gesellschaftlichen Initiativen zu fördern. Das ist zugleich das Mindeste, auch im Kampf gegen den latenten Antisemitismus.

 

 

17.2.2009
www.petra-pau.de

 

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